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Soll man Vögel auch im Sommer füttern?

20 Millionen Euro geben die Deutschen jährlich für Vogelfutter aus. Bedrohte Vögel retten sie damit aber nicht. Auch in Dresden fehlen schon Arten.

Von Nora Domschke
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Das Vogelfutter in Knödelform lockt eine kleine Blaumeise regelmäßig auf einen Laubegaster Balkon. Umstritten ist, ob das Füttern gut ist für die Tiere. Und es kommt auch auf die Art des Futters an, sagt ein Experte.
Das Vogelfutter in Knödelform lockt eine kleine Blaumeise regelmäßig auf einen Laubegaster Balkon. Umstritten ist, ob das Füttern gut ist für die Tiere. Und es kommt auch auf die Art des Futters an, sagt ein Experte. © Marion Doering

Dresden. Es herrscht reges Treiben an den Vogelhäuschen, Meisenknödel locken auch jetzt im Frühjahr noch zahlreich gefiedertes Getier auf Balkone und Terrassen. Obwohl gerade in den letzten Tagen riesige Insektenschwärme in der Luft zu beobachten sind, nutzen die Vögel das üppige Angebot der Menschen auch in den warmen Jahreszeiten gern. Doch ist eine Ganzjahresfütterung für die Tiere überhaupt gut?

„Das Thema ist ziemlich umstritten“, erklärt Sebastian Schmidt, Sachgebietsleiter im Umweltamt. So gebe es die Meinung, dass man Vögel nicht einmal im Winter füttern sollte, weil damit der natürliche Ausleseprozess gestört sei und das die Population im Ganzen schwächen würde. 

Den anderen Pol bilden jene, die der Ansicht sind, dass den Vögeln durch eine lebensfeindliche Umwelt großer Schaden zugefügt werde, den es mit einer gezielten Fütterung zu kompensieren gilt. „Im Umweltamt vertreten wir die Meinung, dass eine Sommerfütterung weder nutzt noch schadet, und wer füttern möchte, der sollte das tun“, so Schmidt. Das gehe mit handelsüblichem Vogelfutter, das es auch im Winter gibt. Denn Schmidt sieht einen weiteren Vorteil der Fütterung auf Terrasse oder Balkon: Wenn Eltern mit ihren Kindern die Vögel beim Fressen beobachten, würde das die Kinder für den Naturschutz sensibilisieren. Und doch gibt es aus Sicht des städtischen Vogelexperten auch Argumente gegen Futter aus dem Handel: Gut 20 Millionen Euro geben die Deutschen mittlerweile jährlich dafür aus. „Geld, das im Naturschutz durchaus zielgerichteter eingesetzt werden könnte.“

Steffen Keller ist Chef der Wildvogelauffangstation in Dresden
Steffen Keller ist Chef der Wildvogelauffangstation in Dresden © Norbert Millauer (Archiv)

Dass die Fütterung aber durchaus nötig ist, bestätigt Steffen Keller, Chef der Wildvogelauffangstation in Kaditz. „Die Anzahl von Insekten wie Mücken und Käfern ist deutlich zurückgegangen.“ Besonders während der Brutzeit und Aufzucht der Jungen fehle heimischen Vogelarten wie Rotkehlchen, Grasmücke und Nachtigall wichtiges tierisches Eiweiß. „Das können diese Vögel, die Weichfresser, also Insektenfresser sind, nur schwer ausgleichen.“

Maden oder Ähnliches zu füttern ist in den warmen Monaten zwar keine Option. Allerdings gibt es auch im Handel spezielles Vogelfutter, etwa mit getrockneten Ameiseneiern und Fliegenlarven. In der Auffangstation füttern Steffen Keller und sein Team ihre Sorgenkinder mit aufgeweichten Pellets, die eigentlich für Katzen oder Hunde bestimmt sind. Schon jetzt haben sie viel Arbeit, denn immer mehr Jungvögel werden von ihren Eltern aus dem Nest geworfen, weil sie sich nicht gut entwickeln. Und das liegt an fehlenden Insekten. Die Mangelernährung zeige sich auch am Gefieder junger Krähen, das inzwischen häufig weiße Stellen aufweise, so Keller. Deshalb rät er, ein bisher gut frequentiertes Vogelhaus auf jeden Fall weiterhin zu befüllen.

Sperlinge gehören zu den Arten, die sich häufig im Garten blicken lassen. Gerade sie brauchen eigentlich kein zusätzliches Futter.
Sperlinge gehören zu den Arten, die sich häufig im Garten blicken lassen. Gerade sie brauchen eigentlich kein zusätzliches Futter. © Lukas Schulze/dpa

Eines macht Sebastian Schmidt vom Umweltamt aber auch deutlich: Die Fütterung reicht nicht aus, um den Rückgang der Vögel zu stoppen. Denn damit erreiche der Tierfreund gerade einmal 15 bis 20 Arten, darunter Meisen, Sperlinge, Finken. „Das sind in der Regel nicht die Arten, für die vorrangig etwas getan werden müsste.“

So seien in Dresden – wie in ganz Deutschland auch – vor allem Arten bedroht, die im landwirtschaftlich geprägten Offenland leben. So gab es noch vor 20 Jahren Rebhühner im Elbtal. „Heute ist nur noch ein kleines und isoliertes Vorkommen am Stadtrand vorhanden und perspektivisch wird das Rebhuhn wohl auf dem Gebiet der Landeshauptstadt aussterben.“ Sachsenweit ist die Population seit den 1970er-Jahren um 95 Prozent zurückgegangen. Auch brütende Kiebitze und die Feldlerche, „einst ein Allerweltsvogel“, seien in Dresden kaum noch zu finden. Durch eine industriell betriebene Landwirtschaft könnten sich diese Arten nur noch ungenügend fortpflanzen, denn der Rückzugsbereich zum Brüten fehlt. All diese Arten sind mit einer Fütterung nicht zu retten, meint Schmidt. Feldraine, Blühstreifen, Heckenstrukturen, Kiebitzinseln, Lerchenfenster im Acker und der Verzicht auf Pestizide – das seien sinnvolle Schutzmaßnahmen.