Manfred schaut Phillip an. Was er empfindet? Dankbarkeit. Ohne Phillip säße er wahrscheinlich nicht mehr hier. Manfred ist 81 Jahre alt, pensionierter Ingenieur, der bei Robotron Datenspeicher entwickelte. Phillip ist 16, Schüler, der gern Fußball und Gitarre spielt. Sie sind Opa und Enkel. Immer schon hatten sie ein inniges Verhältnis. Aber jetzt ist es noch ein Stück inniger, sagt Manfred. Denn Phillip ist nicht mehr nur sein Enkel. Er ist auch sein Lebensretter.
Überlebenskampf wie in einem bösen Traum
Es geht um wenige Sekunden, in denen Manfred Prescher beim Paddeln vor Wehlen in die Elbe stürzte und vom Strom verschluckt wurde. Wie lange er unter Wasser war, weiß er nicht. Unendlich lange, so kam es ihm vor. Er sieht diese Augenblicke nur unscharf, wie im Traum, sieht die Dunkelheit, hört das Gluckern und Brodeln des Wassers. Eins war ihm klar: "Ich kämpfte um mein Leben." Als er wieder Licht sah, sah er Phillip.
Polizei und Bootsvermieter wussten nichts von der Beinahe-Katastrophe. Aber jetzt will Manfred Prescher die Geschichte erzählen, zur Warnung anderer, und um sich bei Phillip zu bedanken. Die Jugend ist besser als viele glauben, da ist er sicher. Den schlechten Nachrichten, die in vielen Zeitungen stehen, will er etwas Gutes entgegensetzen.
Es ist der 11. August, ein strahlend schöner Ferientag, als Manfred Prescher mit seiner Lebenspartnerin Ursula Büchner bei Kanu-Aktiv-Tours in Königstein einen Schlauchkanadier besteigt. Die beiden haben je einen Enkel dabei, Phillip und den dreizehnjährigen Tom. Es ist viel los. Etwa ein Dutzend Leute will gleichzeitig auf den Fluss. Bei der Sicherheitsbelehrung habe man ganz schön "die Ohren spitzen" müssen, sagt Ursula. "Aber auf dem Wasser ging es uns gut."
Die vier kennen den Fluss. Schon im Vorjahr sind sie auf der Elbe gepaddelt. Sie wissen, auf welcher Seite man fährt, dass man Abstand hält zu Schiffen, zu den Fahrwassertonnen und zur Seilfähre von Rathen. Alles läuft glatt. Doch als sie nach Wehlen kommen, gibt es ein Problem. Der Dampfer Pillnitz schaufelt ihnen in Höhe der Fährstelle entgegen. Zeitgleich legt die Fähre ab. Es wird eng auf dem Strom.
Kraft der Strömung überrumpelt die Paddler
Um die großen Fahrzeuge zu meiden, paddeln die vier weiter nach rechts. Zu weit. Die Strömung greift nach dem Boot, zieht es in Richtung Fähranleger. Die Macht des Wassers überrascht die Paddler. Ihre Gegenwehr kommt spät und unkoordiniert. "Wir waren nicht gut vorbereitet", sagt Manfred. Während die anderen wie wild paddeln, versucht er, im Heck liegend und sein Paddel als Ruder benutzend, den Zusammenstoß abzuwenden. Umsonst.
Mit Wucht prallt das Bootsheck gegen die vordere Ecke des Pontons. Manfred Prescher wird über Bord geschleudert. "Ich sehe mich durch die Luft fliegen", erzählt er. Dann wird es schwarz. Das Wasser hat ihn unter den Anleger gesaugt. Orientierungslos und panisch will er sich irgendwo festhalten, irgendwas greifen. "Ich hatte mit dem Leben abgeschlossen."
Im Boot merkt Phillip als erster, dass sein Opa weg ist. Einen Lidschlag später springt er in voller Montur ihm nach. Er glaubt, der Verunglückte steckt an der Vorderseite des Pontons fest. Er will ihn irgendwie da raus holen. Doch er schafft es nicht, zu dieser Stelle zu schwimmen, wird stattdessen den Anleger entlang auf die andere Seite getrieben. Dort sieht er plötzlich einen weißen Schopf auftauchen.
Ein Rettungsassistent in Rente kommt zu Hilfe
Der Fluss hat Manfred Prescher unter dem etwa sieben Meter langen Anleger hindurch und wieder ans Licht gespült. Erneut handelt Phillip blitzschnell. Er fasst seinem Opa, der benommen wirkt und keine Anstalten macht zu schwimmen, unter die Arme. Sie sind nahe am Ufer. Trotzdem ist es zu tief zum Stehen. Phillip rudert heftig mit den Beinen. Hauptsache über Wasser bleiben, denkt er sich. "Mehr war in meinem Kopf nicht drin."
Zur gleichen Zeit sitzt zwanzig Meter weiter der pensionierte Rettungsassistent Ingo Ulrich aus Gießen auf dem Bootsanleger der Wehlener Pension, in der er gerade Urlaub macht. Er sieht die beiden auf sich zu treiben, springt aus seinem Stuhl auf, hin zum Steg, der an Land führt, und auf den Opa und Enkel zuhalten. Dort gelingt es ihm, Manfred Prescher an Arm und Kragen zu fassen und auf den Steg zu ziehen.
Ulrich untersucht den Geretteten. Seine Sorge, er könnte sich unter Wasser den Kopf gestoßen haben, bestätigt sich nicht. Er ist ansprechbar, hat nicht mal eine Schürfwunde. Ein Riesenglück, sagt Ulrich. "Die Chance war sehr groß, dass er sich was tut." Seiner Ansicht nach war Manfred Prescher kurz vor dem Ertrinken. Phillip hat sich bei der Rettungstat das Knie aufgeschlagen. In der Notfallambulanz wird er noch am selben Abend eine Tetanus-Spritze kriegen.
Leben gerettet, Handy und Hörgerät eingebüßt
Von seiner Rettung und dem Verschnaufen an Land, vom Trocknen der Papiere und Kleider weiß Manfred Prescher nur Bruchstücke. "Ich muss wie in Trance gewesen sein." Beim Sturz ins Wasser hat er eins seiner Hörgeräte und das Handy eingebüßt. Die Lust aufs Paddeln sowieso. Für ihn ist das Thema abgehakt. Lebensgefährtin Ursula Büchner sieht das anders. Sie würde wieder einsteigen, sagt sie. Das sei der beste Weg, das Trauma zu überwinden.
Ursula Büchner glaubt, dass die Tücken der Anleger bei der Einweisung am Bootsverleih nicht extra erwähnt wurden. Andernfalls wäre das Unglück vielleicht nicht passiert, sagt sie. Bei Kanu-Aktiv-Tours hat Inhaber René Hofmann eine klare Meinung: Im Mietvertrag für jedes Boot werde vor Sog und Strömung bei Anlegern ausdrücklich gewarnt. Zusätzlich gebe es die mündlichen Warnungen. Dass die Anleger darin vorkämen, dafür lege er seine Hand ins Feuer. "Denn Gehörtes ist besser, als nicht Gelesenes."
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