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Der zähe Kampf gegen den Motorradlärm

Braucht es Streckensperrungen für laute Motorräder? Bislang gibt es die nirgendwo in Sachsen. Ortstermin an einer beliebten Route durch das Müglitztal.

Von Andreas Rentsch
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Bärbel Lehmann (l.) hat eine Bürgerinitiative gegen Motorradlärm im Müglitztal gegründet. Auch Maik Sebald (r.) und Susanne Schneider (M.) aus Dresden sind der Gruppe beigetreten.
Bärbel Lehmann (l.) hat eine Bürgerinitiative gegen Motorradlärm im Müglitztal gegründet. Auch Maik Sebald (r.) und Susanne Schneider (M.) aus Dresden sind der Gruppe beigetreten. © Christian Juppe

Dresden. Wenn sie wieder einen kommen hört, hört Bärbel Lehmann einfach auf zu reden. Notgedrungen wartet die 62-Jährige, bis der Motorradfahrer den Gasgriff weit aufgedreht und röhrend das Ortsausgangsschild von Mühlbach hinter sich gelassen hat. „Zu Spitzenzeiten donnert hier alle fünf Minuten so einer durch“, sagt sie, nachdem es still geworden ist. Grundsätzlich habe sie gar nichts gegen Motorradfahren. An manchen Sonn- und Feiertagen werde es aber einfach zu viel. „Zu Himmelfahrt haben wir unsere Enkelkinder gegen 16 Uhr ins Haus geholt, weil der Lärm im Garten nicht mehr zu ertragen war.“

Das südlich von Dresden gelegene Müglitztal zählt zu jenen Regionen Sachsens, die bei Bikern besonders beliebt sind. Sanft kurvt die malerisch gelegene Müglitztalstraße am Fluss entlang hinauf ins Osterzgebirge. Der Asphalt ist glatt, auch einige Serpentinenpassagen gibt es. An manchen Tagen, das hat eine offizielle Zählung im Jahr 2016 gezeigt, rollen bis zu 800 Biker bergauf und bergab. Der vor allem durch Raser und Poser verursachte Krawall ist schon lange ein Politikum. Vor zehn Jahren hat Bärbel Lehmann deshalb eine Bürgerinitiative gegründet. Sie und ihre Mitstreiter haben einiges erreicht: Der Freistaat ließ Schilder mit dem Hinweis „Ruhe! Lärm tut weh“ aufstellen, außerdem gibt es Tempo-Displays und zwei stationäre Radaranlagen. Diese Doppelblitzer können auch von hinten fotografieren, also das Kennzeichen am Motorradheck erfassen.

Der Freistaat ließ Schilder mit dem Hinweis „Ruhe! Lärm tut weh“ . Einige Unbelehrbare lassen sich selbst davon nicht abschrecken.
Der Freistaat ließ Schilder mit dem Hinweis „Ruhe! Lärm tut weh“ . Einige Unbelehrbare lassen sich selbst davon nicht abschrecken. © Christian Juppe

Einige Unbelehrbare lassen sich selbst davon nicht abschrecken. Sie bremsen nur kurz am Blitzer ab und hupen, während sie wieder beschleunigen. Eine Art höhnischer Gruß. In solchen Momenten wünscht sich mancher genervte Anlieger ein Fahrverbot für die Möchtegern-Rennfahrer.

Obwohl es in vielen Orten des Erzgebirges, aber auch im Vogtland oder in Ostsachsen, ähnliche Probleme gibt, existieren nirgendwo in Sachsen Streckensperrungen für Motorradfahrer. Einzige Ausnahme ist das Elbsandsteingebirge. Die Serpentinen der S 165 zwischen der Hocksteinschänke und dem Polenztal dürfen in der Motorradsaison sonnabends, sonntags und an Feiertagen nicht befahren werden. Mitarbeiter des zuständigen Landratsamts in Pirna betonen jedoch, das 2018 angeordnete Fahrverbot sei nicht durch Lärm bedingt, sondern durch das hohe Unfallaufkommen. „Seitdem sind die Unfälle deutlich zurückgegangen“, sagt Referatsleiterin Astrid Uhlig. Ob der kurze Abschnitt des einstigen Deutschlandrings auch in der nächsten Saison zwischen gesperrt wird, muss noch entschieden werden.

Zu laxe Vorgaben für Geräuschemissionen

Anders ist die Situation im Müglitztal. Dort, so bestätigt es auch Maik Sebald von der Bürgerinitiative, gibt es keine Unfallschwerpunkte für Biker, die ein ähnliches Verbot rechtfertigen würden. Nicht mal an den einladenden Kurven bei Lauenstein, die die Einheimischen „Brenner“ nennen.

Um das Lärmproblem zu lösen, müsse man ohnehin woanders ansetzen, meinen die Mitglieder der Interessengemeinschaft. Mehr Polizeikontrollen würden helfen. Das Grundübel sehen sie jedoch in den laxen Vorgaben für Geräuschemissionen und der Tatsache, dass viele Hersteller dies ausnutzen. Umstritten sind zum Beispiel sogenannte Klappensteuerungen: Das sind Vorrichtungen, die den Abgasstrom bei Bedarf in einen leiseren, schallgedämpften Auspuffkanal umleiten. Zwar halten die Motorradbauer damit bei Zulassungstests die Vorgaben ein, im Alltagsbetrieb bollern ihre Maschinen dagegen häufig mit geöffneter Klappe, also deutlich lauter. Unter Umständen kann das zu der absurden Konstellation führen, dass Motorräder mit älterer Euro-3-Norm leiser unterwegs sind als Maschinen mit einem Klappenauspuff und vermeintlich strengerer Euro-4-Norm.

Genussbiker willkommen, Hobbyrennfahrer nicht.
Genussbiker willkommen, Hobbyrennfahrer nicht. © Christian Juppe

Geht es nach dem Bundesrat, könnte mit dieser und anderen legalen Tricksereien bald Schluss sein. In einer Mitte Mai verabschiedeten Entschließung zur „wirksamen Minderung und Kontrolle von Motorradlärm“ hat die Länderkammer erklärt, man befürworte für alle neu zugelassenen Motorräder eine Begrenzung der Geräuschemissionen auf 80 dB(A) – in allen Fahrzuständen. Der Industrieverband Motorrad bemängelte daraufhin, es sei nicht definiert, bei welchem Tempo, wo und wie gemessen werde.

Fachleute halten die 80-Dezibel-Vorgabe ohnehin für kaum umsetzbar. Um diesen Wert unter realen Bedingungen zu erreichen, müsse eine Maschine komplett gekapselt und vollständig verkleidet sein, sagte Professor Hermann Winner von der TU Darmstadt im Interview mit der Zeitschrift Auto Motor und Sport. Sein Fazit: „Motorradfahren hat dann nichts mehr mit dem zu tun, was es heute ist.“

Die Anti-Lärm-Lobby:

Silent Rider: Die Initiative für leises Motorradfahren ist 2019 auf Betreiben von Kommunen in der Eifel gegründet worden. Inzwischen wirbt sie bundesweit um Mitglieder. Stimmberechtigt sind juristische Personen, also Gemeinden, Städte oder Landkreise. Aber auch Privatpersonen können Mitglied werden. Kommunen aus Sachsen sind bislang nicht vertreten.

VAGM: In den Vereinigten Arbeitskreisen gegen Motorradlärm haben sich Natur- und Umweltschützer mit betroffenen Anwohnern vernetzt. Der Verein betreibt die Onlineplattform motorradlaerm.de, auf der Lärm-Hotspots gemeldet werden können. (rnw)

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Es gibt aber noch andere Dezibel-Werte, die Deutschlands Motorradlobby in Rage bringen. Vor Kurzem hat das österreichische Bundesland Tirol entschieden, dass einige beliebte Routen nur noch von Maschinen befahren werden dürfen, die ein Standgeräusch von höchstens 95 dB(A) haben. Wer lauter ist und das Verbot ignoriert, dem drohen seit Mitte Juni 220 Euro Bußgeld. Für die örtliche Polizei ist die Einhaltung der Regelung leicht zu kontrollieren. Die Beamten müssen lediglich einen Blick in die Fahrzeugpapiere werfen. Dort ist der Wert verzeichnet.

Auch eine Mehrheit der Deutschen findet, es dürfe durchaus härter gegen Motorradlärm vorgegangen werden. Laut einer repräsentativen Umfrage der Civey-Meinungsforscher im Auftrag des Magazins Spiegel befürworten mehr als 70 Prozent Fahrverbote für besonders laute Zweiräder – zumindest auf bestimmten Strecken.

Karte existierender Streckensperrungen in Deutschland, der Schweiz und Österreich: 

In Sachsen seien momentan keine Sperrungen oder anderweitige Einschränkungen vorgesehen, erklärt Kathleen Brühl vom sächsischen Verkehrsministerium auf Nachfrage der SZ. Auch einen regionalen Motorradgipfel aller Interessenvertreter, wie ihn die Müglitztal-IG angeregt hat, halte man derzeit „für nicht zielführend“. Stattdessen solle die Stellungnahme des Bundesverkehrsministeriums zu den Forderungen des Bundesrats abgewartet werden. Was von dort komme, sei klar, sagt Holger Siegel von den Vereinigten Arbeitskreisen gegen Motorradlärm. „Herr Scheuer versucht, das auszusitzen.“

Die Bürgerinitiative im Müglitztal kämpft trotzdem weiter. Vergangenes Wochenende hat Bärbel Lehmann ein Treffen mit Vertretern der Biker Union (BU) in Mühlbach organisiert. Die Stimmung war zurückhaltend freundlich, eine Annäherung in der Sache gab es allerdings noch nicht. Nein, man werde auch keine lokalen Verbote akzeptieren, sagt Guido Bernütz vom BU-Regionalbüro Chemnitz. „Wir wollen fahren.“ Die Sorge der erklärten Genussbiker: Ein Flickenteppich gesperrter Straßen im ganzen Land könne das Fahren beliebter Tourenrouten unmöglich machen. Für ihn und seinesgleichen sei Motorradfahren mehr als nur ein Mittel, um von A nach B zu kommen, so der 57-Jährige. „Das ist ein Lebensgefühl.“