SZ + Freital
Merken

Von der Provinz vors Ministerium

Der Profi-Sprayer Marcel Ebersbach aus Freital macht mit einer Skulptur Geschichte lebendig. Für Tausende ist sie bald sichtbar.

Von Verena Schulenburg
Teilen
Folgen
NEU!
Von Sachsen über Deutschland bis nach Europa: Marcel Ebersbach hat in Dorfhain ein drei Meter hohes „D“ besprüht.
Von Sachsen über Deutschland bis nach Europa: Marcel Ebersbach hat in Dorfhain ein drei Meter hohes „D“ besprüht. © Egbert Kamprath

Noch steht es versteckt und verschlossen im grauen Hinterhof, hier in Dorfhain. Ende dieser Woche aber wird der überdimensional große Buchstabe auf einen Lkw verladen und den Weg nach Dresden antreten. Dann erhält das kunterbunte „D“ einen Platz vorm Gebäude des Innenministeriums, für alle sichtbar. Aber wozu?

Wer die Idee hinter dem „D“ begreifen will, muss näher ran, ganz nah ran. „Wir sind das Volk“, brüllt es aus einer Blase über den Farben Deutschlands. Weiter unten über Sachsen heißt es: „Die Mauer muss weg!“ Und sie kommt weg. Denn Bruchteile davon liegen dem Buchstaben zu Füßen. Es sind Stimmen, die vor 30 Jahren auf den Straßen laut und die einst an die Mauer geschmiert wurden. Nun finden sie sich auf der drei Meter hohen Skulptur wieder – diesmal aber nur aus einer Hand.

Marcel Ebersbach heißt der Mann, der dem „D“ zur Farbe verholfen hat, auf ganz spezielle Weise. Das Sprayen ist die Leidenschaft des 38-jährigen Künstlers. Der gebürtige Thüringer, der bis zur Hochzeit mit seiner Lisa-Marie im vorigen Sommer noch den Nachnamen Graf trug, wohnt seit mehr als 15 Jahren in Freital. Nicht nur hier kennen ihn viele unter seinem Künstlernamen „Costwo“ – der blieb unverändert. Etliche Mauern und Wände, an denen täglich Tausende Menschen vorbeiziehen, hat er mit Leben erfüllt.

Das Café „Positano“ in Freital, die Fassade der Maler GmbH oder Wände am Weißeritzpark gehen auf sein Kunstkonto. Und das reicht bereits weit über Freital hinaus. Für bekannte Marken wie Freiberger und Adidas hat er zu Farben gegriffen, besprüht für Privataufträge sogar ganze Flugzeuge. Seine Spraykunst reicht über Alltagsfarben hinaus bis ins Schwarzlicht. In den China und derzeit regelmäßig in den USA ist Marcel Ebersbach für Aufträge unterwegs und so aktiv, dass er heute sein Geld damit verdienen kann.

Für diese Freiheit, seine Leidenschaft zum Beruf machen zu können, hat er gekämpft – ähnlich wie vor mehr als 30 Jahren viele für ihre Freiheit eintraten. Mit 14 Jahren packte den jungen Marcel die Sprayer-Leidenschaft. „Meine Mutter war total dagegen“, erinnert er sich. Da sei diese Angst um ihren Sohn gewesen, der in ein dunkles Milieu abrutschen könnte. Wer Graffiti sprüht, stehe schließlich schon fast mit einem Bein im Knast, so die damalige Vorstellung vom Sprayer-Dasein. Dieses Image habe sich heute zum Glück gewandelt, meint Marcel Ebersbach – so wie vieles. Die Ausbildung zum Energieelektroniker, die er seiner Mutter zuliebe antrat, brach er nach knapp zwei Jahren ab, ging dann zum Bund. „Auch das Militär war mehr mein Feind als Freund“, erzählt Marcel Ebersbach. Die Kunst war immer spannender.

Spannend fand der Freitaler auch die Idee von der übergroßen Buchstabenskulptur, die auf dem Gelände der Georado-Stiftung in Dorfhain für ihren großen Auftritt hergerichtet werden soll. Das „D“ aus Stahlblech hat Hüseyin Arda entworfen. Der Deutsch-Türke, Jahrgang 1969, hat bereits die Wortskulptur „Heimatliebe“ zusammengeschweißt, die seit einigen Wochen auf einer Kreuzung mitten im Dorf steht. Und was soll das „D“ bedeuten? „Was Sie wollen“, sagt Marcel Ebersbach. Vielleicht stehe „D“ für Deutschland, für Dresden oder Dorfhain, vielleicht aber auch für Demokratie. Dahingehend ist das Kunstwerk noch namenlos.

Voraussichtlich am Freitag wird die fast 400 Kilogramm schwere Skulptur nach Dresden gefahren und vorm Staatsministerium aufgestellt, quasi auch ein bisschen als Einladung, einen Blick ins Innere zu werfen. Im Foyer soll in den kommenden Tagen eine Ausstellung an den Mauerfall erinnern. Werke des Berliner Künstlers Harald Hoffmann de Vere und des Künstlers Olaf Stoy, der vor Kurzem mit seinem Atelier von Freital nach Dorfhain zog, sollen dieses Ereignis thematisieren.

Hinschauen statt weggucken, mitmachen statt resignieren, ist das Credo. „Wir müssen wieder mehr Mut haben, mehr Vertrauen zueinander und mehr Zuversicht“, sagt Marcel Ebersbach. Der Mauerfall sei das beste Beispiel dafür, dass Menschen nur gemeinsam stärker sind.

Mehr Nachrichten aus Freital lesen Sie hier

Informationen zwischendurch aufs Handy gibt es hier