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Lasst uns ein paar Leichen ausgraben

Voodoo Jürgens beweist samt Band in Dresden, dass die besten Abgrund-Lieder immer noch in Wien geschrieben werden.

Von Andy Dallmann
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Der Mann kommt auf der Bühne rüber wie ein übereifriger Zuhälter-Lehrling aus den Siebzigern, der seine Tanzschritte bei Helge Schneider und das Singen bei Johann Schrammel gelernt hat. 

Tatsächlich gehört David Öllerer alias Voodoo Jürgens zur ganz kleinen Minderheit von Musikern im deutschsprachigen Raum, deren Lieder das Schöne, das Nervende, das Abgründige im wahren Leben exakt erfassen, die mit dezentem Sarkasmus und hintergründigem Humor garniert und zudem originell durchkomponiert sind. Völlig ohne belanglose Refrains mit viel Huhuhuhu, dafür mit einem rhythmischen Grundgerüst, das Tom Waits neidisch machen könnte. Der würde zudem die stilistischen Verästelungen von Schrammellied über Folkrock, Blues, Balkanbrass-Attitüde und Gassenhauer-Pop bis hin zu expressivem Jazz bestaunen. Gibt’s so leider kaum in Deutschland, eher schon in Österreich, woher auch Voodoo Jürgens stammt. Ein Wahlwiener aus dem Donaustädtchen Tulln, der dem Genre des Wienerliedes das Überleben sichert.

Seine Shows sind dank der in allen leicht abgründigen Nummern skizzierten Szenen ein wenig wie eine Philosophie-Debatte, zu der sich Obdachlose, Profi-Zocker und Freizeitgangster in einem abgeranzten Puff treffen – ein spezielles, ein äußerst seltenes Vergnügen. Das durften am Sonntag rund 300 Menschen im Dresdner Beatpol erleben, wo Voodoo Jürgens sein kürzlich veröffentlichtes zweites Album „’S klane Glücksspiel“ präsentierte.

Flankiert von vier flexiblen Mitmusikern – der Trompeter etwa spielte auch Waldhorn, Tuba, Geige und Keyboard – führte Voodoo Jürgens bei bestem Sound und in einer optimalen Licht-Inszenierung vor, was den Wiener Schmäh so einzigartig macht. 

Mit einer Bierflasche in der Sakko-Tasche, Kippe zwischen den Fingern und leicht angekratzter Stimme machte er „Heite grob ma Tote aus“ zu einem furiosen Mitsing-Hit, sezierte mithilfe von „Angst haums“ die Überwachungsmentalität spießiger Nachbarn und streute das feine Liebeslied „In deiner Nähe“ gezielt ein, damit „die Stimmung hier mal wieder etwas runterkommt“. Klappte nicht, der Jubel hielt. Kein Wunder bei diesem Stoff.