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Was Albert Einstein mit Niesky zu tun hat

Zu Besuch in Brandenburgs Bauhaus-Schätzen, zu denen auch das Sommerhaus des Nobelpreisträgers gehört.

Von Gabriele Fleischer
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Sein „Häusle“ nannte Einstein das Sommerhaus in Caputh.
Sein „Häusle“ nannte Einstein das Sommerhaus in Caputh. © AdK, Konrad-Wachsmann-Archiv, Fotogr. Edda Reinhar

Es sind nur ein paar Schritte bis zum Wald, und hinter Bäumen gibt der Templiner See ein Stück seiner glitzernden Wasserfläche preis. Versteckt liegt das schlichte Holzgebäude am Rand des kleinen Ortes Caputh, wenige Kilometer von Potsdam entfernt. Am Eingang erinnert eine Tafel an den berühmten Hausherren, der vor genau 90 Jahren hier einzog. Nur eine unbefestigte Straße führt dorthin. Eine Idylle. Fast so wie damals, als Nobelpreisträger Albert Einstein diesen Fleck für sein Sommerhaus fand. „Das Segelschiff, die Fernsicht, die einsamen Herbstspaziergänge, die relative Ruhe, es ist ein Paradies“, soll Einstein gesagt haben, als er das Haus 1929 bezog.

„Es ist das einzige bauliche Zeugnis in Deutschland, dem der berühmte Wissenschaftler sein Gepräge gab“, sagt Georg Zankl, Geschäftsführer des Einstein-Forums, das das Haus verwaltet – für die Hebräische Universität Jerusalem, der Einstein in seinem Testament den Hauptteil seines Besitzes vermachte. Caputh wurde für Einstein mehr als ein Sommerhaus, es wurde ein Zufluchtsort. Hier konnte er anders als in Berlin in Ruhe arbeiten und über die Straße gehen, ohne angesprochen zu werden. Er war nahe bei seinem geliebten Segelboot und spielte ungestört Geige, wann immer er wollte.

„Als linksintellektueller Jude war Einstein in den 1920er-Jahren unter Druck geraten, erhielt Morddrohungen – ein weiterer Grund, dem Berliner Großstadtleben zu entfliehen“, sagt Thomas Schubert vom Einstein-Forum während einer Führung. Angeboten werden die nur an den Wochenenden und an Feiertagen. Denn Einstein wollte nicht, dass aus seinem Haus ein Museum wird. Es sollte funktional und lebendig sein und der Wissenschaft dienen. So fanden und finden hier zunächst unter dem Dach der Akademie der Wissenschaften der DDR, seit einer Generalsanierung 2005 unter Federführung des Einstein-Forums, wissenschaftliche Tagungen, Seminare und Werkstätten für Stipendiaten statt. Auch wenn die Apfelplantage hinter dem Garten längst Häusern gewichen ist und Einstein heute nur auf Umwegen zum See zu seinem Segelboot käme, so liegt das Haus noch immer paradiesisch.

Schlicht und funktional: Das Sommerhaus in Caputh war für Albert Einstein einige Jahre ein Zufluchtsort. Rechts unten das Arbeitszimmer des Physik-Nobelpreisträgers
Schlicht und funktional: Das Sommerhaus in Caputh war für Albert Einstein einige Jahre ein Zufluchtsort. Rechts unten das Arbeitszimmer des Physik-Nobelpreisträgers © Gabriele Fleischer

Zwar steht Einsteins Sommerhaus nicht auf der Liste der Bauhaus-Objekte in Brandenburg – es ist mit den typischen Bauhaus-Bauten, wie man sie aus Dessau oder Weimar kennt, nicht zu vergleichen. Dass sich dort dennoch Spuren der Bauhäusler in und an dem idyllischen Sommersitz finden, hat vor allem etwas mit der Entstehungsgeschichte des Gebäudes zu tun. Es wurde in einer Zeit gebaut, als sich die Epoche der Moderne auch in der Bauhaus-Idee widerspiegelte. Entworfen nach Plänen des jungen Architekten Konrad Wachsmann war es wegen seiner Holzbauweise nicht nur vom Bauhaus inspiriert, sondern es lässt auch Grundzüge dieser 1919 gegründeten Kunst- und Architektenschmiede erkennen. Holzfertigelemente mit intelligenten Verschlusssystemen, schnörkellose Wände, eine für die damalige Zeit moderne Koks-Zentralheizung, all das sind Elemente der Neuen Sachlichkeit, wie sie das Bauhaus lehrte: zweckbetont und gegenständlich zu bauen.

Wachsmann, ab 1926 beim Holzbauunternehmen Christoph & Unmack in Niesky als Chefarchitekt angestellt, ließ das Holzhaus dort in einer der großen firmeneigenen Industriehallen vorfertigen. Auseinandergenommen und verpackt, wurde es nach Caputh versandt. Auf der Baustelle selbst benötigten die Arbeiter zwei Wochen für den Rohbau und die Verkleidung der Fassade, weitere zwei Wochen für den Innenausbau. Das Museum Niesky widmet sich in dem nach seinem Entwurf entstandenen Konrad-Wachsmann-Haus auch dem Wirken des Architekten.

Nicht nur Einsteins Frau hatte Änderungswünsche, auch Einstein selbst griff in die Entwürfe seines Architekten ein. Er wolle keine Bauhaus-Fenster, sondern französische und ließ Türen zu Fenstern umbauen. Entgegen dem von Wachsmann geplanten Flachdach favorisierte Einstein ein Walmdach mit Unterzügen als eine Reminiszenz an die Schweizer Hütten. Er wollte einen offenen Dachgarten, der noch Schutz für eine Terrasse im Erdgeschoss bietet.

Jeder Privatraum hat eine Schlafnische

Selbst wenn er nie dort gearbeitet und sich sogar von der Institution Bauhaus distanziert hatte, so befasste sich Wachsmann, der damals gerade 27 war, mit deren avantgardistischen Entwicklungen. Wenn auch nicht alle Ideen, so beeindruckten doch einige den Sozialisten Einstein. Und dass Bauhaus-Gründer Walter Gropius die Philosophie vertrat, Kunst mit Technologie und das Individuelle mit dem Industriellen zu verbinden, war ganz im Sinn des Physikers. Er war zwar moderner Architektur gegenüber eher kritisch, aber die Bauhaus-Idee, funktionalen und ästhetischen Wohnraum zu schaffen, passte dann doch in seine Welt.

Der schlichten Bauweise gegenüber zeigte er sich sehr offen – allerdings mit Grenzen. Als Wachsmann den Dessauer Designer Marcel Breuer bat, Möbel zu entwerfen, die den klaren, schlichten Linien des Hauses folgten, lehnte Einstein ab. Der Wissenschaftler soll wohl dazu nur geäußert haben, dass er ebenso wenig auf Möbeln sitzen mag, die ihn an eine Werkstatt oder einen Operationssaal erinnerten wie er in einem Haus wohnen wollte, das einem Karton mit Schaufenstern gleichkam. Marcel Breuers Ruhm litt unter der Absage nicht. Denn allein ein 1925 von ihm entworfener Stuhl für Wassily Kandinsky schrieb Bauhaus-Geschichte.

All diese Verbindungen und Episoden haben laut Georg Zankl wohl dazu geführt, dass sich das einstige Sommerhaus in diesem Jahr des 100. Bauhaus-Jubiläums in illustrer Gesellschaft mit anderen Bauten der Moderne Brandenburgs und eben auch den Bauhaus-Objekten befindet. Und auch wenn Einstein dem Bauhaus-Designer absagte, so nahm das Innere des Hauses dann doch eine pragmatische und ganz der Neuen Sachlichkeit verbundene Gestalt an, für die das Bauhaus stand. 

Jeder Privatraum, und das ist heute den damaligen Verhältnissen genauso nachempfunden, hatte eine Schlafnische und Einbauschränke. Von bauhausartiger Schlichtheit sind auch Einsteins heute nur noch im Nachbau existierender Schreibtisch, sein Stuhl und ein Regal im Arbeitszimmer. Das übrigens waren die einzigen Möbel, die letztendlich für das Sommerhaus entstanden. Alles andere bestückten Einsteins mit Möbeln, die sie in der Berliner Wohnung nicht mehr brauchten – wohl aus Spargründen, denn Grundstück und Haus, was ihm die Stadt Berlin eigentlich für seine wissenschaftlichen Leistungen schenken wollte, musste er schließlich doch selbst bezahlen.

Lichtdurchflutet mit genialer Fensterkonstruktion: Speisesaal in der Bundesschule Bernau, entworfen von den Bauhausarchitekten Hannes Meyer und Hans Wittwer. 
Lichtdurchflutet mit genialer Fensterkonstruktion: Speisesaal in der Bundesschule Bernau, entworfen von den Bauhausarchitekten Hannes Meyer und Hans Wittwer.  © Gabriele Fleischer

Was für ein Aufwand, der ihn nach eigenen Aussagen in die Pleite führte – für nicht einmal vier Jahre. Zwischen April und November wohnte Einstein in dieser Zeit in seinem „Häusle“, wie er es nannte. Allerdings waren es intensive Jahre, in denen er Vorträge gegen Militarismus und Faschismus verfasste, sich mit Quantentheorie, Religion und Philosophie auseinandersetzte und hochrangige Besucher empfing, unter anderem Käthe Kollwitz, Heinrich Mann, Max Planck, Chaim Waizmann, Anna Seghers und Gerhart Hauptmann. Von den Nazis als Jude verfolgt, war er aber gezwungen, 1933 sein geliebtes Caputher Paradies aufzugeben.

Auch wenn Einsteins für ihr Häuschen im Vergleich zu einem herkömmlichen Gebäude weniger zahlten, so stehen dieses Haus und andere Gebäude der Neuen Sachlichkeit nicht unbedingt für preiswertes Wohnen. „Bis heute hält sich auch der Mythos, dass das Bauhaus Objekte für den Alltag entworfen hat und der Siedlungsbau der Moderne für den Arbeiter war“, sagt Brandenburgs Landeskonservator Thomas Drachenberg. „Das Bauhaus hat den sozialen Wohnungsbau nicht erfunden, wie behauptet wird.“ Dieser sei in der damaligen Zeit vielmehr der Weimarer Republik zuzuschreiben, so Drachenberg. Auch die meisten Bauhaus-Produkte hätten sich nur Wohlhabende leisten können. Bis heute sei das so. „Wohnhäuser, Leuchten von Wilhelm Wagenfeld, Teekannen von Marianne Brandt und Freischwinger von Marcel Breuer waren für die breite Masse, die das Bauhaus erreichen wollte, unerschwinglich“, sagt Drachenberg. Unbestritten sei aber die ästhetische Revolutionierung des Alltags durch den neuen Stil.

Arbeiter, zumindest die Gewerkschafter unter ihnen, hatten allerdings die Möglichkeit, etwa 100 Kilometer entfernt von Caputh und 40 Kilometer von Berlin nahe des Städtchens Bernau, eines der herausragenden Bauhaus-Objekte zu nutzen, das größte neben dem Bauhaus in Dessau. Gelegen an Kiefernwald und einem See entstand dort zwischen 1928 und 1930 die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, in einzigartiger Bauhausarchitektur mit genialen Details. Wichtig wie bei Einsteins Sommerhaus ist hier die Lage in der Natur, was für die Arbeiter aus den Mietskasernen ganz neue Erfahrungen in Zusammenleben, Arbeiten und Wohnen brachte. Im Juli 2017 wurde dieser heute von der Handwerkskammer Berlin für Tagungen und Seminare genutzte Bau im Verbund mit den Bauhaus-Objekten in Dessau und Weimar zum Weltkulturerbe der Unesco erklärt. Eine „großartige Bauidee“ nennt es Landeskonservator Drachenberg. Auf eindrückliche Weise verbinden sich in der Bundesschule Bernau Handwerk, Kunst, Technik und Natur mit einem neuen sozialpädagogischen Programm. Allerdings, korrigiert Drachenberg einen weiteren Mythos, sei das Bauhaus nicht politisch revolutionär gewesen: „Vielmehr achtete es darauf, sich aus tagespolitischen Konflikten herauszuhalten, um die finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand nicht zu verlieren.“ Ludwig Mies van der Rohe, Bauhaus-Direktor 1930 bis 1933, hätte in Dessau jede Art von Parteiarbeit und Kritik am kapitalistischen System untersagt. Ein Fortschritt mit bahnbrechenden Ideen war die Bundesschule allemal.

Hannes Meyer, der zweite Bauhaus-Direktor, Hans Wittwer sowie Studenten des Bauhauses ließen an dem Gebäudekomplex den Visionen einer neuen Gesellschaft freien Lauf. Ihre Ideen sind dabei so klar wie einleuchtend. „Auf dem ersten Blick ungewöhnlich ist, dass die Aula keine Seitenfenster hat. Nur ein Oberlicht an der Rückseite erhellt den Raum für die bis zu 250 Personen, die hier Platz haben“, sagt die Bernauer Stadtführerin Sonja Massow. „Der Raum wurde so konzipiert, dass sich jeder darin nur auf das konzentrieren kann, was im Innern passiert und nicht durch Fensterblicke abgelenkt wird.“ Per Knopfdruck war es dem Vortragenden möglich, das Lichtband zu verkleinern und die Beleuchtung zu dimmen. Die Stirnseite des Raumes war mit einem Stoff aus Zellophan bespannt, der nicht nur den Schall schluckte, sondern auch das Licht reflektierte. Hergestellt hatte ihn die Bauhaus-Studentin Anni Albers. Nur noch ein Stoffrest existiert davon, kaum genug, um ihn wiederherzustellen, selbst wenn es alte Fotos davon gibt. Bei der umfangreichen Sanierung Anfang der 2000er Jahre verzichtete man auf eine aufwendige Rekonstruktion. Auch wenn die Diskussion darüber weitergeht, ist das für Drachenberg kein Verlust. Weiterbauen heißt für ihn auch, sich mit heutigen Mitteln und heutiger Sprache in diesen Saal einzufühlen, ihn materiell und ästhetisch zu ergänzen und damit besser benutzbar zu machen. Denn noch heute ist es Seminar- und Lehrgangshotel. Auch ein Gymnasium befindet sich dort.

Und die Bauhaus-Ideen leben auch ohne diese damals einzigartige Stoffbespannung. Das zeigt sich eindrucksvoll an den anschließenden Räumen. Allein der Speisesaal mit seinen Stahlrahmenfenstern, die sich durch eine ausgeklügelte Konstruktion mit wenigen Handgriffen fast komplett öffnen lassen, und die aus unzähligen Glassteinen zusammengepuzzelte Wand zum Foyer sind sehenswert und praktisch. Gut durchdacht sind die keilförmig angeordneten Decken in den Seminarräumen. „Dadurch wird einfallendes Licht schattenfrei nach unten gelenkt. Eingebaute Oberlichter können mittels Drehmechanismus ganzflächig geöffnet werden“, so Stadtführerin Massow. Dominierendes Architekturkleinod ist aber zweifellos der dem abschüssigen Gelände angepasste überdachte Glasgang.

Von den Architekten als Ort der Kommunikation konzipiert, gehen von dort die Internatsräume ab. Jede der drei Etagen der Wohntrakte hatte fünf Zweibettzimmer. Sporthalle und Bibliothek schließen sich am Ende des Ganges an. Im Gegensatz zu Aula und Seminarräumen waren diese der Erholung dienenden Zimmer so angelegt, dass sie ein Abschweifen der Gedanken erlaubten. Fenster geben den Blick in die Natur, auf Wald und See frei. Viele dieser Details funktionieren noch heute. Das Bauhaus als Teil der Moderne der 1920er-Jahre war eine innovative Epoche. Sie lebt bis heute, auch wenn sie vom technischen Fortschritt überholt wurde, und die Ideen von einst aufpoliert werden müssen.