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Weiße Flecken sollen keine Zukunft haben

Beim Schlossgespräch am Donnerstag in Bad Muskau ging es um das Thema Mobilität. Es wurde rege diskutiert.

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Verkehrsexperte Christoph Gipp vom IGES Institut Berlin, Marco Wanderwitz, Mitglied des Bundestages und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern für Bau und Heimat, und Johanna Hohaus von der Konrad Adenauer Siftung des Freistaates
Verkehrsexperte Christoph Gipp vom IGES Institut Berlin, Marco Wanderwitz, Mitglied des Bundestages und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern für Bau und Heimat, und Johanna Hohaus von der Konrad Adenauer Siftung des Freistaates © Foto: Steffen Bistrosch

Von Steffen Bistrosch

Bad Muskau. Während am Donnerstagabend noch zahlreiche meist jüngere Besucher die späten Sommersonnenstrahlen im Muskauer Park genossen, fanden einige Dutzend Interessierte den Weg in den kühlen Festsaal des Neuen Schlosses, um am Podiumsgespräch mit den Protagonisten Marco Wanderwitz (Mitglied des Bundestages und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern für Bau und Heimat) sowie dem Verkehrsexperten Christoph Gipp (IGES Institut Berlin) teilzuhaben.

 Gastgeber waren wie gewohnt Förderverein und Stiftung des Fürst-Pückler-Parks um Parkdirektor und Schlossherr Cord Panning. Begleitet und moderiert wurde der Abend das insgesamt elfte Mal von der Konrad Adenauer Siftung (KAS) des Freistaates Sachsen aus Dresden in Person von Johanna Hohaus.

Stand nicht zufriedenstellend

Das Thema des Abends lautete: „Mobil im ländlichen Raum, Erreichbarkeit als Schlüssel zur Entwicklung“. Einleitende Worte fand Lothar Bienst, als Mitglied des Landtages einerseits beruflich bestens mit dem Thema Mobilität vertraut und andererseits in privater Hinsicht. Stammt er doch aus Teicha, einem kleinen Ortsteil von Rietschen. Die Anforderungen sind ebenso wie die Erwartungen über Jahrzehnte ständig angestiegen und werden es auch weiter tun, waren sich Redner und Zuhörer einig. Wenngleich einiges erreicht worden sei, kann der Istzustand nicht als zufriedenstellend bezeichnet werden. Als Beispiel genügt hier Netzstabilität im Mobilfunk („Weiße Flecken“) oder die Taktung der Buslinie abseits der größeren Städte bzw. der Bahnlinie Zittau-Berlin. Marco Wanderwitz, der aus dem dicht besiedelten Chemnitzer Raum stammt, kennt die Probleme in der Lausitz. Hinzu komme der demografische Wandel. Wanderwitz erläutert den Anwesenden, die Bevölkerungszahl in den neuen Bundesländern entspreche etwa der des Jahres 1905, allerdings sei der Altersdurchschnitt deutlich höher. Dass mit der Wende gerade die Jüngeren der Arbeit und vermeintlich besseren Lebensbedingungen hinterhergezogen sind und es immer noch tun, wissen alle im Saal. Ballungsgebiete wie Dresden, Leipzig oder Chemnitz ziehen die Jüngeren weiterhin stark an. Der gutbezahlten Arbeit und Attraktivität dieser Zentren stünden auf der anderen Seite Wohnungsmangel, hohe Mietpreise, extreme Bevölkerungsdichte oder Kriminalität entgegen. Hier biete der ländliche Raum Möglichkeiten, die es zu erkennen und nutzen gelte. Sein Ministerium arbeite mit Nachdruck an dem Projekt, gleiche Lebensverhältnisse in der Stadt wie auf dem Land zu erreichen. Der nächste Strukturwandel mit dem durch die Bundespolitik aufgezeigten Ausstieg aus der Kohle nimmt bereits Fahrt auf. Am meisten betroffen sind – wieder – die ländlichen Gebiete. Im Gegensatz zu 1989 stellt die Bundesregierung in den kommenden Jahrzehnten zielgerichtet insgesamt vierzig Milliarden Euro zur Verfügung.

Die Lausitz als Modellregion

Der zweite Gastredner Christoph Gipp, Experte für die strategische Entwicklung und Planung von Mobilität und Infrastrukturen ist mit dem Thema ebenfalls bestens vertraut. Er stamme selbst aus einem „echten Kuhdorf“ in Vorpommern. Er fordert zukunftsfähige Lösungen für Mobilität und Nahversorgung und zeigt einige denk- und machbare in seiner Powerpointpräsentation auf. Für Lösungen braucht es die öffentliche Hand ebenso wie privates Engagement. Die Lausitz könne Modellregion werden. Er nennt den Odenwaldkreis als Beispiel. Hier gebe es eine tatsächliche Mobilitätsgarantie (odenwaldmobil.de) im ländlichen Raum von fünf Uhr morgens bis zweiundzwanzig Uhr abends. Das funktioniert, weil alle an einem Strang ziehen. Umfassende Digitalisierung ist zwingend notwendig genau wie die schnelle Erreichbarkeit von Job, Supermarkt, Arzt und allen Dingen des täglichen Lebens. Gipp nennt Busse und Züge im Stundentakt als Minimumanforderung. Alle Möglichkeiten der Vernetzung zu nutzen erfordere auch Umdenken. Ein schlechtes Mobilfunknetz verhindere eben auch autonomes Fahren.

Planungen dauern zu lange

Die Zuhörer im Saal bleiben skeptisch. Fragesteller melden sich. „Diskussionen anstelle Lösungen, Großprojekte scheitern regelmäßig. Wenn gebaut wird, dann dauert das ewig und wenn es doch irgendwann fertiggestellt wird, dann ist es bereits veraltet. Jeder klagt gegen jeden. Entscheidungen werden gekippt. Planungen überdauern Legislaturperioden und ganze Jahrzehnte. Das Geld für den Kohleausstieg fließt bereits jetzt in Projekte weitab von den Braunkohleregionen.“ So lauten die Einwände aus dem Saal. Wolfgang Riedel, Geschäftsführer der Straßen- und Tiefbau GmbH See fügt der Diskussion hinzu, er habe gehofft Antworten auf Fragen zu erhalten. Stattdessen habe er jetzt noch mehr Fragen. Wanderwitz bleibt optimistisch, Planungen müssten zwingend beschleunigt werden, Geld sei genügend da, es gebe genügend positive Beispiele auch in Sachsen, wo totgesagte Gegenden Aufwind durch Verkehrs- oder Industrieprojekte erhalten haben. Das erhofft er sich auch von der Lausitz. Gipp wird konkreter, nennt den Verkehrsverbund ZVON zukunftsorientiert und offen. Sagt, Bahnhöfe wie der in Weißwasser können zu Knotenpunkten werden, auch Ärzte könnten mobil werden wie Pflegedienste. Wenn in einem Dorf für Infrastruktur gesorgt wird, gilt es die Nachbarorte miteinander zu vernetzen. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) kann so optimiert werden, dass das eigene Auto stehen bleibt.

Über Ländergrenzen hinweg denken

Nach Veranstaltungsende gehen die Diskussionen im Kaminzimmer weiter. Sophie Geisler aus Bad Muskau etwa wünscht sich, dass die Straßen entlastet werden bzw. nicht noch mehr in den Bau von Autobahnen investiert wird. Bus und Bahn sollen attraktiver werden, und das hinsichtlich der Verfügbarkeit, des Preises und des Zustandes. Thomas Heisler, ebenfalls aus Bad Muskau, ist regelmäßiger Nutzer der Bahn. Er meint, der allgemeine Zustand verschlechtere sich hier eher, ebenso wie Fahrpläne. Er erinnert sich noch bestens an die Direktverbindung von Weißwasser an die Ostsee. Rahmenbedingungen müsse die Politik schaffen, Fehler wie die Teilprivatisierung der Bahn sind und bleiben Hemmnisse für die weitere Entwicklung. Cord Panning fügt hinzu, die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. In den Projekten rund um den Park wird Mobilität und Flexibilität Rechnung getragen. Er wünscht sich eine „Denkweise im Verbund über Stadt oder Ländergrenzen hinweg“. Seine Vision wäre, Besucher aus Hamburg oder Breslau, die mit dem ICE nach Weißwasser reisen und am Bahnhof in die Waldeisenbahn umsteigen, um eine Woche in Bad Muskau oder dem Umland zu bleiben.