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„Weißwasser ist mein Geburtsort in Deutschland“

Auf Urlaub in der Stadt hat Maohammad Al-Khlipha aus Syrien nicht vergessen, wie ihm Menschen hier halfen, Fuß zu fassen.

Von Constanze Knappe
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Im September 2015 trafen Maohammad Al-Khlipha (links) und Alaa Eddin Al-Al-Khlipha (rechts) aus Syrien auf dem Bahnhof in Weißwasser ein; dabei war damals auch noch Diaa Eddin Al-Khlipha. Den Bahnhof wollte Maohammad bei seinem Kurzurlaub wiedersehen. Das
Im September 2015 trafen Maohammad Al-Khlipha (links) und Alaa Eddin Al-Al-Khlipha (rechts) aus Syrien auf dem Bahnhof in Weißwasser ein; dabei war damals auch noch Diaa Eddin Al-Khlipha. Den Bahnhof wollte Maohammad bei seinem Kurzurlaub wiedersehen. Das © Joachim Rehle

Schnee bekam Maohammad Al-Khlipha in Weißwasser nicht zu sehen. In Bad Muskau nicht und auch hinter der Grenze in Polen nicht. Dabei hatte sich der Syrer gerade das besonders gewünscht. Nach ein paar Tagen in Berlin war er an diesem Wochenende auf Kurzurlaub in Weißwasser. In jener Stadt, in der er vor vier Jahren seine ersten Schritte in ein neues Leben ging.

Der 35-Jährige stammt aus Lattakia, einer Hafenstadt am Mittelmeer, die vor dem Bürgerkrieg zwei Millionen Einwohner hatte. 200.000 gingen auf die Flucht. Maohammad Al-Khlipha ist Rechtsanwalt, arbeitete in Syrien bei einer Finanzbehörde, vergleichbar unserem Finanzamt. Seinen zweijährigen Wehrdienst leistete er 2009. Für den Bürgerkrieg sollte er erneut eingezogen werden. In Aleppo als Syrer gegen Syrer in den Krieg ziehen, das kam für ihn nicht infrage. „Ich wollte das nicht. Aber wenn ich es abgelehnt hätte, wäre ich verhaftet worden“, sagt er. Also flüchtete er.

In Saudi-Arabien keine Chance

Zuerst zu seiner Schwester nach Saudi-Arabien. In dem Land hätte er sich ein Leben gut vorstellen können. Doch daraus wurde nichts. Er erzählt von der Entscheidung der Regierung, Syrern keine Arbeit zu geben. Sein Besuchsvisum galt drei Monate. Mit seinen Brüdern (heute 31 und 29 Jahre) machte er sich auf den Weg zu einer Tante in die Türkei. Auch dort hätte er nicht als Anwalt arbeiten dürfen, weil sein Zeugnis nicht anerkannt wurde. Zudem hatten die drei Angst um ihre Eltern in Syrien, wenn herauskäme, dass sie in der Türkei wären. Eine Cousine lebt seit 25 Jahren in Dortmund, ein Onkel arbeitet seit 2012 als Facharzt in Stralsund. Beide bestärkten sie, nach Deutschland zu kommen.

Im Mai 2015 machte sich Maohammad Al-Khlipha auf nach Griechenland. Nur ungern denkt er an die gefährliche Überfahrt in dem Boot zurück. Auf dem Wasser hätten sie sich irgendwo zwischen Himmel und Erde befunden – und es Gott sei Dank geschafft. Zwölf Tage verbrachten sie in Griechenland, dann ging es über Mazedonien nach Deutschland. Er hatte ein Ticket für Berlin gekauft. Im Zug fragten ihn drei Polizisten nach seinem Pass. Da sei er aber schon in Deutschland gewesen.

Ein ganzes Leben in der Mappe

Er kam in die Erstaufnahme nach Chemnitz. Dort staunten sie nicht schlecht. Maohammad Al-Khlipha hatte nicht nur seinen Pass dabei, sondern auch Zeugnisse und andere Unterlagen, in Arabisch und ins Englische übersetzt. Dazu von ihm selbst verfasste arabische Gedichte. Quasi sein ganzes Leben in einer Mappe!

Nachdem er mit Fingerabdruck registriert war, ging es in ein Heim bei Chemnitz. Zehn Tage später wurde ihm und seinen Brüdern eine Wohnung in Weißwasser angeboten. Das war im September 2015. Er erinnert sich an seinen ersten Besuch im Flüchtlingscafé im Korczak-Haus. Reichlich fremd sei er sich da vorgekommen, habe kein einziges Wort verstanden. Jeden Donnerstag war er dort. Mit Englisch und Körpersprache sei es von Mal zu Mal besser geworden. Dankbar spricht er von den Menschen in Weißwasser, die ihm dabei halfen. Im Dezember 2015 kam der ersehnte gelbe Brief des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge – mit einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung. „Das war der glücklichste Tag seit dem Verlassen meiner Heimat“, sagt der Syrer. Und: „Weißwasser ist mein Geburtsort in Deutschland. Hier hat meine Zukunft angefangen!“

Hochschulabschluss anerkannt

Über 20 Jahre hatte er seine Cousine nicht gesehen. Die wollte ihn unterstützen. Deshalb ging er nach Nordrhein-Westfalen. Eine Wohnung fand er in Gelsenkirchen, absolvierte bis August 2016 dort einen Sprachkurs. Parallel dazu reichte er seine von einem Notar beglaubigten Berufszeugnisse zur Prüfung bei einer Behörde in Köln ein. Diese antwortete ihm im März 2017, dass sein Zertifikat eines juristischen Hochschulabschlusses in Deutschland anerkannt ist. Es entspricht einem Bachelor-Abschluss. Um als Anwalt arbeiten zu dürfen, müsste er ein Masterstudium draufsatteln.

In jener Zeit arbeitete Maohammad Al-Khlipha ehrenamtlich bei der Flüchtlingshilfe in Gelsenkirchen. Ein Job als Sozialarbeiter hätte ihm gefallen. Er bekam ihn: erst gefördert über das Jobcenter, nach drei Monaten als Vollzeitstelle bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo). Er bildete sich im Sozialrecht, im Asylrecht und zum Thema Traumatisierung von Flüchtlingen weiter. Sein Arbeitgeber sieht ihn als Vorbild für andere. Er hingegen sagt, dass er doch ein ganz normaler Mensch sei. Nicht ohne Stolz fügt er hinzu: „Ich zahle meine Miete selbst.“

Seit Februar 2018 ist er in einem Projekt der Awo Gelsenkirchen beschäftigt, als Intensivbetreuer für 19 Flüchtlinge pro Jahr. Er hilft ihnen bei Behördengängen, bei der Arbeitssuche, der Sprachförderung und in anderen Lebenslagen. Etliche hätten inzwischen einen Job gefunden. Weil es was bringt, wurde das Projekt verlängert. „Ich bin integriert. Ich fühle mich angekommen, aber noch nicht fertig“, sagt Maohammad Al-Khlipha. Große Hoffnung setzt er in die ab 1. März 2020 geltende neue gesetzliche Regelung, wonach für ausländische Fachkräfte die Einbürgerung erleichtert wird. Seinen Traum, irgendwann in Deutschland als Anwalt zu arbeiten, hat er nicht aufgegeben. Er weiß jedoch, dass das Masterstudium „richtig schwer“ wird. Wegen der Hochsprache. In der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Bochum hat man ihm geraten, an den beruflichen Sprachkenntnissen zu arbeiten. Die vervollkommnet er bei Fortbildungen im Arbeits-, Sozial- und Asylrecht wie auch in seinem Job als Intensivbetreuer. Flüchtlingen rät er: „Ziele niemals aufgeben, Geduld haben und sich Mühe geben“.

Zurück nur als Besucher

Maohammad Al-Khlipha, der noch Single ist, fährt gern mit dem Rad. Und er hofft, eines Tages wieder Gedichte schreiben zu können. Dieses Hobby gab er auf, nachdem sein bester Freund im Krieg gestorben ist. Er verfolgt die Nachrichten über Syrien. Das Land werde, so erscheint es ihm, „wie eine Torte aufgeteilt“. Wenn es dort eines Tages wieder sicher ist, wird er zurückgehen – als Besucher. „Deutschland hat mir mehr gegeben als mein Heimatland, auch wenn ein bisschen Heimweh bleibt“, erklärt er. Und es sei ja nicht seine Schuld, dass es so gekommen ist.

In Weißwasser wird er nicht das letzte Mal gewesen sein. Auch nicht in Bad Muskau, wo ihn der Park schon damals so faszinierte. Und vielleicht liegt ja beim nächsten Mal sogar ein bisschen Schnee.

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