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Harrys Chance auf eine warme Mahlzeit

Die Dresdner Suppenküche versorgt Hartz-IV-Empfänger, wenn das Geld mal wieder knapp ist.

Von Julia Vollmer
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Harry lebt seit drei Jahren in Dresden und kommt beinahe täglich zum Essen auf die Kamenzer Straße.
Harry lebt seit drei Jahren in Dresden und kommt beinahe täglich zum Essen auf die Kamenzer Straße. © René Meinig

Der Herd ist nicht angeschlossen. Etwas zu essen kochen kann sich Harry zu Hause gerade nicht. Er müsste einen Elektriker kommen lassen. „Das würde um die 100 Euro kosten, das Geld habe ich einfach nicht“, erzählt er. Denn Harry lebt von Hartz IV. So kommt er jeden Tag in die Suppenküche auf die Kamenzer Straße. „Hier kann ich essen, aber treffe auch Menschen, mit denen ich reden kann“, sagt der 50-Jährige. Täglich ab 9.30 Uhr gibt es in den gemütlichen Räumen drei Gerichte, Hausmannskost wie Hering und Hackbraten zu Preisen um die zwei Euro pro Gericht. Das Angebot richtet sich an Bedürftige wie Harry. Der Träger finanziert sich über eigene Einnahmen, bekommt Mittel der Stadt und Spenden von Supermärkten.

Seit drei Jahren lebt Harry, der seinen Nachnamen nicht preisgeben möchte, in Dresden. Kurze Zeit danach entdeckte er das Angebot des Vereins Eibi. „Das Geld, das ich bekomme, reicht nicht im Alltag“, sagt er und schneidet sich ein Stück von seinem Hackbraten ab. Das Thema Hartz IV ist immer wieder Stoff für breite Debatten. Im vergangenen Jahr als Gesundheitsminister Jens Spahn verkündete: „Hartz IV bedeutet nicht Armut“, war die SZ schon einmal in der Suppenküche. Seit sich die SPD für ein Bürgergeld statt Hartz IV starkmacht, bei dem es weniger Härte und mehr Unterstützung geben soll, wurde es Zeit für einen zweiten Besuch. Denn auch diesmal stritten die Politiker über die Höhe des Geldes und mehr Sanktionen für die Betroffenen.

Die Menschen, die in die Suppenküche kommen, wissen, was es bedeutet auf das Geld vom Jobcenter angewiesen zu sein. „Zu viel Geld vom Staat bekommen wir auf keinen Fall, zumal die Kosten für Lebensmittel weiter steigen“, betont Harry. Er mache sich keine Hoffnung, dass es mehr Geld als die derzeitigen 424 Euro sein wird. Aller sechs Wochen muss er im Jobcenter vorsprechen. Das allein sei unangenehm genug, erzählt er. Debatten über Sanktionen brauche er da nicht. Keiner suche sich so ein Leben aus. Eigentlich ist er Künstler und malt, doch davon zu leben, ist schwer. Er habe sich lange mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten und auf dem Bau gearbeitet. Doch seine Rückenprobleme erlauben das immer seltener.


Betty bekommt Erwerbsunfähigkeitsrente und ist daher auch für das Angebot dankbar.  
Betty bekommt Erwerbsunfähigkeitsrente und ist daher auch für das Angebot dankbar.   © René Meinig

Körperliche Einschränkungen sind auch der Grund, warum Betty nicht mehr arbeiten kann und auf die Hilfe der Suppenküche angewiesen ist. „Ich bekomme seit 2015 Erwerbsunfähigkeitsrente, da ich eine Sehbehinderung und Verknorpelungen an den Händen habe“, erzählt die 51-Jährige. Sie arbeitete über 20 Jahre lang als Physiotherapeutin. Seit sich ihre Beschwerden verschlimmerten, kann sie nicht mehr arbeiten und lebt von rund 900 Euro Rente im Monat. Davon muss sie alles selbst zahlen. Miete, Lebensmittel und Versicherungen. „Jetzt will mein Vermieter uns alle aus dem Haus haben, um es zu sanieren. Dazu soll die Miete erhöht werden“, erzählt sie. Sie kann nicht mehr zahlen, und es droht eine Zwangsräumung. Betty ist verzweifelt. „Ich will gerne in der Neustadt bleiben, denn hier wohne ich seit Jahrzehnten“, betont sie. Doch leisten kann sie sich die aktuellen Preise nicht. „Vor Jahren bin ich auf einen Betrüger hereingefallen, seitdem habe ich einen Schufa-Eintrag. Damit bekomme ich doch keine Wohnung mehr“, so die Dresdnerin.

„Die Politiker sind in ihren Debatten fernab aller Realität, wenn sie sich über Hartz IV und Sozialleistungen austauschen“, so Betty, die wie Harry ihren Nachnamen nicht verraten will. „In der Apotheke und im Supermarkt wird alles immer teurer, ohne die Umsonstkisten in der Neustadt würde ich es nicht schaffen.“ Im Alltag hat sie abzüglich der Miete mit rund 420 Euro etwa so wie viel wie Hartz-IV-Empfänger Harry. „Irgendwie komme ich über die Runden , es darf nichts passieren. Kein Kühlschrank sollte kaputt gehen“, sagt Betty. Flattert dann die Nachzahlung der Drewag ins Haus, weiß sie nicht, wie sie das zahlen soll. Anders als Harry bekommt sie keinen Zuschuss vom Amt dazu. Briefe vom Amt sind oft Thema beim Essen.

Ein offenes Ohr für ihre Gäste hat auch Anne Klawa, die Leiterin der Suppenküche. „Für viele ist es wichtig, einen Anlaufpunkt zu haben. Sie wollen unter Leute kommen“, sagt sie. Das sei ebenso wichtig wie das Essen zu günstigen Preisen. Immer mal wieder erlebt sie Konflikte unter ihren Kunden. „Da wird gestritten, wem die Leistungen eher zustehen. Oder es wird sich mit den Bettlern vom gegenüberliegenden Netto gefetzt, wenn die zum Essen kommen“. Aber das gehe meist schnell vorüber. Meist sei die Stimmung gut und solidarisch. „Viele kennen sich aus der Straßen-Szene.“ Sie wünscht sich für ihr Projekt mehr Sachkostenzuschüsse von den Behörden. „Das trägt gerade mal die Miete und einen Teil der Nebenkosten.“ Gern würde sie die Räume renovieren.