SZ +
Merken

Wenn die Nerven nicht mehr mitspielen

Immer mehr Bautzener leiden unter Stress. Die Zahlen zeigen eine erschreckende Tendenz.

Teilen
Folgen
NEU!
© dpa

Von Christoph Scharf

Ein Ingenieur kann sich nicht mehr motivieren und schläft ständig fast ein. Eine Call-Center-Mitarbeiterin kommt mit dem täglichen Druck nicht zurecht. Eine Behörden-Angestellte ist damit überfordert, ab sofort nicht mehr in Bautzen, sondern in Berlin arbeiten zu sollen. Drei typische Kandidaten für ein Problem, das im Landkreis von Jahr zu Jahr erschreckend zunimmt: Psychische Erkrankungen.

Wie ist die Situation?

Depressionen und ähnliche Beschwerden werden für Beschäftigte im Kreis Bautzen immer mehr zum Problem. Das belegen sowohl Zahlen der Krankenkasse DAK als auch der Barmer-GEK. Laut DAK war vergangenes Jahr jeder Versicherte im Schnitt zwei Tage wegen psychischer Erkrankungen krankgeschrieben. Das klingt nicht viel. Schaut man allerdings auf die Entwicklung der vergangenen Jahre, kann man es mit der Angst bekommen. Kein anderes Krankheitsbild hat seit dem Jahr 2000 derart zugenommen. In Sachsen gab es zuletzt laut DAK weit mehr als doppelt so viele Fehltage durch psychische Erkrankungen wie noch im Jahr 2000. Deutschlandweit ging die Entwicklung in eine ähnliche Richtung, aber längst nicht so steil.

Die Zahlen der Barmer bestätigen das: Hier liegt der Kreis Bautzen bei psychischen Erkrankungen nicht nur deutlich über dem Bundesdurchschnitt, sondern hat neben Dresden und Leipzig auch einen negativen Spitzenplatz in Sachsen inne.

Was sind das für Krankheiten?

Die häufigste psychische Erkrankung ist eine Depression: Betroffene leiden unter gedrückter Stimmung und können sich an nichts erfreuen. So eine Depression kann dauern. Bevor eine Besserung eintritt, sind schnell sechs Monate vergangen. An zweiter Stelle folgen Reaktionen auf schwere Belastungen oder Anpassungsstörungen – etwa nach dem Tod eines Angehörigen, einem Jobverlust oder der plötzlichen Versetzung in eine andere Stadt. Häufig treten auch körperliche Beschwerden auf, für die sich selbst nach eingehender Untersuchung keine körperlichen Ursachen finden lassen – etwa Herz-Kreislauf-Störungen oder Magenschmerzen.

Was sind die Gründe?

Ein Grund für das häufigere Auftreten könnte einfach ein offenerer Umgang mit dem Thema sein. „Früher galt man mit einer psychischen Erkrankung nur als ‚verrückt‘“, sagt Andrea Mrazek, Präsidentin der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer. „Heute trauen sich Betroffene, eher das Problem zu nennen.“ So würden sich Mediziner seltener in „unverfängliche“ Diagnosen flüchten – und nicht mehr statt einer Depression nur Rückenschmerzen auf der Krankschreibung vermerken.

Die neue Offenheit hat allerdings Grenzen. „Bei manchen Berufsgruppen bedeutet solch eine Diagnose noch heute das berufliche Aus“, sagt Andrea Mrazek. Wer als angehender Lehrer ein Referendariat absolviert oder in einer Kindereinrichtung noch in der Probezeit arbeitet, wird alles Mögliche angeben, nur um keine psychische Erkrankung attestiert zu bekommen.

Wer ist besonders oft betroffen?

Früher galt als Faustregel unter Medizinern: Bei psychischen Erkrankungen kommen auf einen männlichen Betroffenen fünf Frauen. „Heute gleicht sich das an“, sagt der Bautzener Psychotherapeut Dr. Philipp Mirtschink. Besonders oft sind Leute mit viel Stress betroffen. Zur Risikogruppe gehören demnach Männer über 45, die als Dauerpendler unter Dauerstress stehen. Hausärztin Hanna Kramer aus Großpostwitz stellt zudem fest, dass viele Leute mit Schichtarbeit nicht zurechtkommen oder mit ständiger Arbeit auf Montage. „Wer wochenlang im Container lebt, hat keine Möglichkeit, sich richtig zu entspannen.“ Ähnlich gefährdet sind Arbeitnehmer, die unter permanentem Zeitdruck stehen – etwa Mitarbeiter im Call-Center oder von ambulanten Pflegediensten.

Was kann man tun?

Wichtig ist es, das Problem ernst zu nehmen und offen damit umzugehen. Betroffene müssen versuchen, den Stress im Alltag besser zu bewältigen – etwa mit neuer Arbeitseinteilung und bewussten Pausen. Entspannungstechniken wie Autogenes Training oder Yoga können helfen. Mit Medikamenten sollte man sorgsam umgehen. Kostenfreie Tipps zur Stressbewältigung gibt es etwa bei den Krankenkassen.

Auf ein Wort