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Wie Bernd Aust seit 30 Jahren die Stars nach Sachsen holt

Als seine Band Electra nach 1990 kaum Auftritte hatte, wechselte Bernd Aust ins Veranstaltergeschäft. Er zahlte viel Lehrgeld, setzte sich aber durch.

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Bernd Aust, einst Chef der Dresdner Band Electra, wurde 1991 Konzertveranstalter und baute sein Unternehmen stetig aus. So eröffnete er mit dem Alten Schlachthof seine eigene Spielstätte, übernahm die Freilichtbühne „Junge Garde“ und organisiert zudem das
Bernd Aust, einst Chef der Dresdner Band Electra, wurde 1991 Konzertveranstalter und baute sein Unternehmen stetig aus. So eröffnete er mit dem Alten Schlachthof seine eigene Spielstätte, übernahm die Freilichtbühne „Junge Garde“ und organisiert zudem das © André Wirsig

Die Zeiten, in denen sich clevere Konzertveranstalter goldene Nasen verdienen konnten, waren längst vorbei, als Bernd Aust vor knapp 30 Jahren seine ersten Schritte in dieser Branche machte. „Die Gewinnspanne hat seitdem noch weiter ab-, der Stress deutlich genommen“, sagt er heute. „Aber ich habe es nie bereut, diesen Weg gegangen zu sein, zumal mir ja damals gar keine andere Wahl blieb.“ Dieser für ihn alternativlose Weg hatte zwar manches Schlagloch, brachte ihn jedoch schließlich voran bis in die Spitzengruppe der Branche.

Aust, 1945 in Dresden geboren, holte nicht nur mittlerweile Hunderte Stars aller Genres nach Sachsen, er eröffnete 1998 den Alten Schlachthof als eigene Spielstätte, seine Firma hat seit 2009 das Sagen in der Freilichtbühne „Junge Garde“, entwickelte mit der Festwiese im Ostragehege das größte Open-Air-Areal Dresdens und veranstaltete im Juli 2006 mit dem Doppelkonzert von Robbie Williams das besucherstärkste Pop-Spektakel in der Geschichte der Stadt. Ob Stadionshow, Stadtfest, Ball oder kleines Klubkonzert – er machte nahezu alles und hatte dabei stets alles im Griff. Das traute ihm Anfang der Neunziger keiner seiner damaligen Westkollegen zu, nicht einmal er selbst wagte es, diese Entwicklung vorherzusehen.

In den 70ern war Bernd Aust (3. v. l.) mit Electra gut im Geschäft, nach der Wende ging es zunächst steil bergab. Aust brauchte einen neuen Job. 
In den 70ern war Bernd Aust (3. v. l.) mit Electra gut im Geschäft, nach der Wende ging es zunächst steil bergab. Aust brauchte einen neuen Job.  © PR

1969 gehörte Bernd Aust – noch als Student an der Dresdner Musikhochschule – zu den Gründern der Progrock-Combo Electra. Als Saxofonist, Flötist und Keyboarder, als Komponist und Bandchef hatte er einen gewichtigen Anteil daran, dass sich Electra in die erste Liga der DDR-Szene hochspielen, in großen Hallen auftreten und beim Staatslabel Amiga sieben Alben produzieren konnte. „Im Sommer 1989 hatte ich nahezu mein ganzes Geld zum Kurs von 1:8 in D-Mark umgetauscht und sündhaft teure Boxen für die Band gekauft. Ein halbes Jahr später waren die Dinger nichts mehr wert.“ Einerseits ein leeres Konto, andererseits hatte Electra plötzlich kaum noch Auftritte. Aust, Vater von zwei Söhnen, musste sich etwas einfallen lassen, um seine Familie ernähren zu können.

Dass er vor seinem Studium eine Ausbildung zum Werkzeugmacher gemacht hatte, brachte ihm rein gar nichts. „Das Höchstalter bei allen ausgeschriebenen Stellen war 45 und ich damit raus.“ Was tun? Wenn das Publikum ihn nicht mehr sehen will, warum dann nicht andere auf die Bühne bringen? Bei einem gemeinsamen Auftritt in der TV-Sendung „Showkolade“ hatte Aust 1989 die Westsängerin Jule Neigel kennengelernt. Im ehemaligen Kulturhaus des Sachsenwerks, seit 1990 die Großdisco „Sachs“, organisierte der ausgebremste Musiker ein Konzert mit der Kollegin. Sein bescheidener Einstieg ins Geschäft, das kurz danach ein Ex-Ossi anschob. „Gert Kolbe war früher Regisseur beim DDR-Kulturministerium, also für Großveranstaltungen verantwortlich“, erzählt Aust. „Schon vor dem Mauerfall hatte er sich in den Westen abgesetzt und in Hamburg eine Agentur gegründet. Nun wollte er im Osten Niederlassungen etablieren – die in Dresden wurde ich.“

Das erste große, gemeinsame Ding der beiden: Jethro Tull in der „Garde“. Auf der Suche nach Tipps und Partnern fuhr Aust zuvor durchs gesamte Alt-Bundesgebiet. „Es war schrecklich: Die Wessis ließen mich einfach im Vorzimmer schmoren. Fritz Rau in München war die einzige Ausnahme. Er lud mich auf eine Weißwurst ein und gab mir etliche Ratschläge. Bis zu seinem Tod im Jahr 2013 blieb er ein väterlicher Freund.“

Diese legendären Konzerte holte Bernd Aust nach Dresden:

2019 füllten Rammstein das Rudolf-Harbig-Stadion in  Dresden gleich an zwei Abenden.
2019 füllten Rammstein das Rudolf-Harbig-Stadion in  Dresden gleich an zwei Abenden. © Andreas Weihs
AC/DC-Gitarrist Angus Young und Sänger Brian Jonson kamen 2015 nach Dresden.  
AC/DC-Gitarrist Angus Young und Sänger Brian Jonson kamen 2015 nach Dresden.   © Ronald Bonß
Knapp 80.000 Fans kamen 2006 zum Tour-Auftakt von Robbie Williams ins Ostragehege. Am Tag danach gab es noch ein Konzert. 
Knapp 80.000 Fans kamen 2006 zum Tour-Auftakt von Robbie Williams ins Ostragehege. Am Tag danach gab es noch ein Konzert.  © Ronald Bonß
2003 begeisterten die Red Hot Chili Peppers in der ausverkauften Dresdner Messehalle rund 10.000 Fans.
2003 begeisterten die Red Hot Chili Peppers in der ausverkauften Dresdner Messehalle rund 10.000 Fans. © Jürgen Lösel
Das Konzert von Christina Aguilera 2003 in der Neuen Messe in Dresden brachte Aust fast den Ruin.  Nur 4.000 Gäste wollten die US-Amerikanerin sehen. Foto: Steffen Unger
Das Konzert von Christina Aguilera 2003 in der Neuen Messe in Dresden brachte Aust fast den Ruin.  Nur 4.000 Gäste wollten die US-Amerikanerin sehen. Foto: Steffen Unger © Steffen Unger
Das Konzert von Lenny Kravitz 2002 im Dresdner Ostragehege endete für viele Zuschauer enttäuschend. Nach 70 Minuten  pfefferte der Musiker die Gitarre quer über die Bühne, stürzte davon und ward nicht mehr gesehen.
Das Konzert von Lenny Kravitz 2002 im Dresdner Ostragehege endete für viele Zuschauer enttäuschend. Nach 70 Minuten pfefferte der Musiker die Gitarre quer über die Bühne, stürzte davon und ward nicht mehr gesehen. © Ronald Bonß
Die Rock-Legenden von Jethro Tull waren oft in Sachsen. 1996 füllten sie die Junge Garde.
Die Rock-Legenden von Jethro Tull waren oft in Sachsen. 1996 füllten sie die Junge Garde. © dpa

Am Abend des 25. Juni 1991 sollten Jethro Tull in Dresden spielen, am Nachmittag wollte plötzlich der Tourmanager die 45.000 D-Mark Gage in Tausendern auf dem Tisch haben – bis zum Soundcheck um 16 Uhr, sonst trete die Band nicht auf. In seinem neuen Gebrauchtwagen klapperte Aust sämtliche Vorverkaufsstellen ab und sortierte das Geld zu Hause. „Es sah aus wie nach einem Überfall: Mein ganzes Sofa war voller Scheine.“ Mit den D-Mark-Bündeln raste er in die nächste Sparkassen-Filiale, wo er die Chefin kannte. So klappte auch der Umtausch in Tausender vergleichsweise zügig. „Gegen halb fünf kam ich in der ,Garde’ an, statt Soundcheck nur Totenstille. Ich dachte: Jetzt ist es aus.“ War es nicht. Der Manager bekam das Geld, ließ den Soundcheck anlaufen, grinste Aust an und erklärte: „Hättest du das nicht hinbekommen, wärst du in diesem Job auch falsch.“ 7.000 Menschen bekamen schließlich ein unvergessliches Konzert, Aust hatte einiges gelernt, aber kaum etwas verdient. 

„Unter Kolbe bekam ich ein Fixum von 2.000 D-Mark, alle Gewinne gingen an ihn.“ Ein Jethro-Tull-Konzert markierte die nächste Zäsur. Nach der Show am 5. Juni 1993 auf dem Kamenzer Hutberg emanzipierte sich Aust von seinem Chef, startete mit seinem eigenen Unternehmen. „Ich musste viel einstecken und viel lernen“, sagt er. „Zum Beispiel, dass dieser Job mit Musik nichts zu tun hat und der eigene Geschmack ein schlechter Ratgeber ist.“ Und dass es schnell bergab gehen kann.

Im September 2003 holte Aust Christina Aguilera in die Dresdner Messe. „Mindestens 8.000 Besucher hätten wir gebraucht, um die Kosten einzuspielen, es kanen keine 4.000. Zum Glück war zu diesem Zeitpunkt meine Firma etabliert, hielten alle Partner, auch der Tourneeveranstalter, zu uns. Dieses Vertrauen rettete uns.“

2013 klinkte sich Aust aus der Firma aus, Sohn Rodney führt das Ganze weiter, holte zuletzt unter anderem Rammstein sowie Herbert Grönemeyer nach Dresden und expandiert stetig. Was sich der Senior an Fachwissen im Veranstaltungsgeschäft erarbeitete, gibt er nun als Dozent der Verwaltungsakademie und der Dresden International University weiter. Bernd Aust lässt keinen Neuling im Vorzimmer sitzen.