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Wie gefährlich sind Pirnas Ruinen?

Marode Häuser sind oft tickende Zeitbomben. Und die Stadt kann nicht immer eingreifen.

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© Daniel Förster

Von Thomas Möckel

Pirna. Anita K. hatte wohl keine Chance. Als sie am vergangenen Dienstag an der Haltestelle Dresdner Straße in Pirna auf den Bus zum Sonnenstein wartete, stürzte hinter ihr ein Teil eines maroden Gebäudes ein. Mehrere Trümmer trafen die 56-jährige Frau, sie starb noch an der Unglücksstelle. Warum sich das Mauerwerk von der Fassade löste, ist noch unklar. Möglicherweise hatte der heftige Regen die desolate Substanz des seit Jahren leerstehenden Hauses zusätzlich mürbe gemacht, sodass sie letztendlich nachgab. Vieles daran ist noch Spekulation. Kriminalisten und Gutachter suchen derzeit nach der Ursache für den Einsturz. Fest steht nur: Wäre die marode Bude schon früher abgerissen worden, wäre der Unfall so wahrscheinlich nicht passiert. Und Anita K. würde möglicherweise noch leben.

Das Haus Hauptstraße 29 in Copitz wurde bereits mehrfach notgesichert. Die Stadt ließ Türen und Fenster mit Holzplatten verschließen, nach einem Feuerwehreinsatz wurde das kaputte Dach repariert.
Das Haus Hauptstraße 29 in Copitz wurde bereits mehrfach notgesichert. Die Stadt ließ Türen und Fenster mit Holzplatten verschließen, nach einem Feuerwehreinsatz wurde das kaputte Dach repariert. © Norbert Millauer

So aber offenbart der Tod der 56-jährigen Frau auf besonders tragische Weise ein weitreichendes Problem. An einigen Stellen in Pirna rotten Häuser vor sich hin, deren Substanz äußerst fragil ist. Je vernachlässigter die Ruinen sind, desto stärker werden sie über die Jahre zu tickenden Zeitbomben. Kaum einer vermag die Gefahr einzuschätzen, die von manch einem Gammelbauwerk ausgeht. Dabei dürfte solch ein Zustand gar nicht erst eintreten.

Grundgesetz schützt Eigentum

Artikel 14 des Grundgesetzes schützt nicht nur grundsätzlich das Eigentum jedes Einzelnen, es legt ihnen auch eine soziale Verantwortung anheim. So sind Immobilienbesitzer verpflichtet, ihr Eigentum instand zu halten und nicht verkommen zu lassen. Es gibt allerdings Eigentümer, so sie denn überhaupt auffindbar sind, die sich einen Dreck um ihre Häuser scheren und sie gnadenlos verfallen lassen, wenn sie nicht zu vermarkten sind. Hilfe in solchen Fällen ist oft nicht in Sicht.

Zwar wird dann gern die Stadt bemüht, anstelle der Eigentümer die betroffenen Stellen zu sichern. Auch im Internet entfachte sich nach dem Tod von Anita K. eine Diskussion darüber, warum Pirna das marode Gebäude an der Dresdner Straße nicht längst schon abgerissen hat. Kommunales Eingreifen in private Grundstücke ist allerdings kein Allheilmittel. „Wir als Stadt verwalten öffentliche Gelder“, sagt Stadtsprecher Thomas Gockel. Dieses Geld könne man für Einsätze an privaten Häusern nur verwenden, wenn tatsächlich Gefahr im Verzug sei. Gleichen private Grundstücke Müllhalden oder sind sie mit Unkraut zugewuchert, sind der Stadt regelmäßig die Hände gebunden.

So verhält es sich auch in einem Fall auf der Hauptstraße in Copitz. Haus Nummer 29 ist ein Gammelkandidat, an dem sich in den vergangenen Jahren wenig tat. Bei einem Feuerwehreinsatz, der schon lange zurückliegt, mussten die Einsatzkräfte Dachziegel entfernen. Die offene Stelle im Dach wurde danach repariert, sodass derzeit keine Dachziegel mehr nach unten fallen. Die Stadt forderte den Eigentümer mehrfach auf, das Gebäude zusätzlich zu sichern, allerdings ohne Erfolg. Schließlich ließ die Stadt selbst Fenster und Türen mit Holztafeln verschließen. Damit ließen die Probleme allerdings nicht nach.

Pirna plant im Jahr für Notsicherungen mit fünfstelliger Summe

Inzwischen strahlt der marode Zustand von Haus Nummer 29 auch auf Nachbargebäude aus. „Weil in das Gebäude Nässe eindringt, weicht schon die gemeinsame Wand durch“, klagt Annemarie Hahn, der das Haus Nummer 28 gehört. Außerdem breiten sich in dem leerstehenden Haus die Mäuse aus. Zudem musste Annemarie Hahn schon einigen Male das Dach am Übergang zwischen den beiden Häusern reparieren lassen. „Es wäre schön, wenn die Stadt an diesem Zustand etwas ändern könnte“, sagt Annemarie Hahn. Doch so einfach lässt sich in fremdes Eigentum nicht eingreifen. Gegen Feuchtigkeit und Mäusebefall, argumentiert Gockel, könne die Stadt nichts ausrichten, solange keine Gefahr für die Öffentlichkeit ausgehe.

Sollte die Kommune ausnahmsweise fremde Häuser sichern müssen, fußen diese Einsätze auf mehreren Grundsätzen: Es muss Gefahr im Verzug sein, von dem Gebäude muss also eine tatsächliche Gefährdung für Gesundheit oder Leben Vorübergehender ausgehen. Der Eigentümer muss zudem nicht erreichbar sein. „Darüber hinaus gibt es Fälle, in denen der Eigentümer zwar erreichbar ist, aber kurzfristig nicht handeln kann, um die Gefahr zu beseitigen“, sagt Gockel. Für derartige Notsicherungen hat Pirna pro Jahr eine fünfstellige Summe im Haushalt verankert. Letztendlich gibt es die Fälle, in denen zwar Kontakt zum Eigentümer besteht, dieser aber auf städtische Verfügungen nicht reagiert. Wohin das führt, zeigt das Beispiel des Unglückshauses an der Dresdner Straße. Seit 2004 hat die Stadt laut Gockel die Eigentümerin immer wieder aufgefordert, das Gebäude zu sichern – bislang erfolglos. Wegen dieser Ignoranz ist am Dienstag Anita K. gestorben.