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Wird das Smartphone bald zum Virendetektor?

Für Deutschland soll es bald eine Corona-App geben. Wie funktioniert sie – und lässt sich damit das Virus wirklich bekämpfen?

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Soldaten testen in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut eine Covid-19-Tracking App in der Julius-Leber-Kaserne.
Soldaten testen in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut eine Covid-19-Tracking App in der Julius-Leber-Kaserne. © Torsten Kraatz/Bundeswehr

Von Paul Dalg, Maria Fiedler und Miriam Schröder

Stellen Sie sich vor – eines Tages sitzen Sie wieder im Theater oder im Konzert. Ihr Sitznachbar, der in den Pausen zwischen den Stücken leise hustet, könnte mit dem Coronavirus infiziert sein, ohne es bislang zu wissen. Wenn Sie beide sich nicht kennen, werden Sie im Zweifel nie davon erfahren – und keinen Grund sehen, sich selbst in Quarantäne zu begeben oder testen zu lassen.

Für Situationen wie diese soll es in Deutschland bald eine Handy-App geben, die ihre Benutzer warnt, wenn sie sich über längere Zeit in der unmittelbaren Nähe von Infizierten aufgehalten haben. Ein Zusammenschluss aus 180 europäischen Forschern und Softwareentwicklern bereitet ein entsprechendes Projekt vor. Beteiligt ist dabei auch das deutsche Robert Koch-Institut.

Was ist bislang über die Corona-App bekannt?

Die Forscher haben die Initiative „Pan-European Privacy Preserving Proximity Tracing“ (PEPP-PT) vorgestellt. Hinter dem komplizierten Namen steckt ein System, das die Kontaktverfolgung von Infizierten per Smartphone ermöglicht. Es soll die Arbeit der Gesundheitsbehörden erleichtern und die Privatsphäre der Bürger schützen. Dafür haben die Forscher eine Technologie entwickelt, auf deren Basis europaweit Coronavirus-Tracking-Apps betrieben werden können. Unterstützt wurden sie dabei unter anderem von der Bundeswehr, die das System auf dem Gelände der Berliner Julius-Leber-Kaserne sowohl in Innenräumen als auch draußen getestet hat.

Wie soll die Corona-App technisch funktionieren?

Die vorgeschlagene Tracking-Lösung basiert auf der Bluetooth-Technologie. Die Technologie, die unter anderem bei kabellosen Kopfhörern weit verbreitet ist, kann andere Smartphones im näheren Umfeld aufspüren, wenn diese ebenfalls Bluetooth aktiviert haben. Das wollen sich die Forscher zunutze machen.

„Jede Begegnung innerhalb einer kritischen Distanz, die länger als ein paar Minuten gedauert hat, wird für 20 Tage gespeichert“, sagte Thomas Wiegand dem Tagesspiegel. Wiegand ist Leiter des Fraunhofer Heinrich-Hertz-Instituts und einer der Gründer der Initiative. Die Algorithmen sollen sogar erkennen können, ob sich eine Wand oder eine Scheibe zwischen den Nutzern befand. Das ist wichtig, schließlich könnte die infizierte Person auch in der Wohnung nebenan sein oder während eines Staus in einem Auto.

Nicht gespeichert wird dagegen, welche Identität oder Telefonnummer ein Smartphone-Besitzer hat oder wo der Kontakt zwischen zwei Smartphones stattgefunden hat. Der entscheidende Schritt: Wird ein Nutzer der App mit dem Coronavirus infiziert, kann er zusammen mit den deutschen Gesundheitsbehörden eine Warnung über die App veranlassen. Diese Warnung wird automatisch an die anonym gespeicherten Kontakte der letzten 20 Tage geschickt, ohne dass der Infizierte selbst oder das Amt nachvollziehen können, welche Personen genau gewarnt werden.

Wie unterscheidet sich die Corona-App von Überwachungsapps in anderen Ländern?

Sowohl das Herunterladen der App als auch das Versenden von Warnungen erfolgt freiwillig. Asiatische Länder wie Singapur nutzen auch Bluetooth, speichern aber Kontakte zwischen Smartphones auf Basis persönlicher Daten wie der Mobilfunktelefonnummer. Die Daten können also zweckentfremdet werden.

Im Gegensatz dazu betonen die Forscher von PEPP-PT, dass das europäische System vollständig anonymisiert funktioniert und verweisen auf die enge Zusammenarbeit mit hiesigen Datenschutzbehörden. „Unser Ziel ist es, Covid-19 zu bekämpfen, ohne die Leute auszuspionieren“, sagt Chris Boos, Softwareentwickler und Mitglied im Digitalrat der Bundesregierung.

Warum kann mich der Staat mit der Corona-App nicht überwachen?

Im Gegensatz zu Tracking-Lösungen in China, Polen oder Israel werden die Daten lediglich lokal auf dem Handy gespeichert. Nur wenn eine Infektion mit dem Coronavirus nachgewiesen wurde, soll es zu einem Datenaustausch kommen. Daten, mit denen die Identität oder der Ort eines Nutzers herausgefunden werden können, werden gerade nicht genutzt, erklären die Forscher. „Wir erheben keine Standortdaten, keine Bewegungsprofile, keine Kontaktinformationen und keine identifizierbaren Merkmale der Endgeräte“, sagt Boos. Zum Schutz der Nutzer wechselt die App zusätzlich alle 30 Minuten die Identifikationsnummer eines Nutzers. Da auf diesem Wege jeder Nutzer der App mehrmals am Tag einen neuen „Ausweis“ bekommt, wird verhindert, dass die gesendeten Daten nachträglich für die Erstellung von Bewegungsprofilen missbraucht werden können.

Ab wann kann man die Corona-App herunterladen?

Für Deutschland kündigte Boos an, zwischen dem 7. und 9. April mit der Entwicklung fertig zu werden. Gemäß diesem Zeitplan könnten ab dem 15. April erste Apps in Deutschland verfügbar werden. Wahrscheinlich ist, dass die Anwendung zunächst für Android-Geräte und kurz danach für Apple-Geräte verfügbar sein wird. Aller Voraussicht nach wird das Robert-Koch-Institut die App herausgeben.

Kann so eine Warn-App das Coronavirus besiegen?

Die App soll laut den Forschern als ein Baustein dazu beitragen, dass pauschale Beschränkungen wie Kontaktsperren möglichst schnell wieder gelockert werden können. Während momentan jeder zwischenmenschliche Kontakt als potenziell ansteckend gewertet werden muss, könnte die systematische Nutzung der App in Zukunft helfen, einzelne Infektionsherde schnell zu identifizieren, ohne dass weitreichende Einschnitte in das tägliche Leben notwendig werden.

Damit das System tatsächlich wirkt, müsste die Anwendung in Deutschland allerdings millionenfach heruntergeladen und benutzt werden. Zwischen 60 und 70 Prozent aller Smartphone-Benutzer seien für eine Flächendeckung notwendig, schätzen Boos und Weigand. Wichtig ist zudem, dass auch andere europäische Länder Apps auf Basis der vorgestellten Technologie bauen oder die Technologie in bereits bestehende Apps integrieren. Den Machern zufolge könnte die App bald auch in Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Spanien und der Schweiz erscheinen. Für eine wirksame Eindämmung des Coronavirus ist neben der technischen Lösung dann auch unbedingt erforderlich, dass die Gesundheitsämter über ausreichend Testkapazitäten verfügen. Nur so können Bürger, nachdem sie von der App gewarnt wurden, schnell feststellen, ob sie selbst infiziert wurden.

Wie reagiert die Politik auf die Corona-App?

Die Bundesregierung setzt große Hoffnungen in eine Smartphone-Anwendung zur Nachverfolgung von Infektionsketten. Den von den Wissenschaftlern vorgestellten Ansatz hält Kanzleramtsminister Helge Braun für vielversprechend, hieß es. Auch aus Oppositionsparteien kommt Lob. An einem Vorschlag von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte es vor anderthalb Wochen noch starke Kritik gegeben.

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