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Wo Millionen Bausteine gebacken werden

Der Ofen im Freitaler Ziegelwerk Eder brennt rund um die Uhr. Aber wie lange reicht der Ton eigentlich noch?

Von Jörg Stock
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Sascha Grafe (43), Chef im Ziegelwerk Eder in Freital, auf der Lagerfläche seines Betriebs. Der Bauboom beschert den Ziegelwerkern einen regen Absatz. Der Jahresausstoß entspricht etwa 2 000 Einfamilienhäusern.
Sascha Grafe (43), Chef im Ziegelwerk Eder in Freital, auf der Lagerfläche seines Betriebs. Der Bauboom beschert den Ziegelwerkern einen regen Absatz. Der Jahresausstoß entspricht etwa 2 000 Einfamilienhäusern. © Andreas Weihs

Es wird gebacken. Streng nach Rezept. Das muss so sein, wenn man über einhundert verschiedene Produkte abwechselnd in den Ofen schiebt. Aber hier wird nicht mit gehäuften Esslöffeln oder Messerspitzen hantiert. Hier misst man mit Radladerschaufeln. Denn das Backwerk hat Konjunktur. Etwa 90 Millionen Einheiten verlassen das Werk jährlich, sagt Sascha Grafe, der Geschäftsführer. Das entspricht rund zweitausend Einfamilienhäusern.

Wenn in Richtung Zauckerode weißer Dampf aufsteigt, dann wissen die Freitaler: Im Ziegelwerk Eder wird eine neue Charge Steine getrocknet, um bald darauf in den Brennofen zu fahren. Die Geschäfte laufen gut, sagt Werksleiter Grafe. Das macht der Bauboom. Täglich fahren jetzt 35 Lastwagen am Lagerplatz vor. Jeder nimmt über zwanzig Tonnen Steine an Bord. Zu etwa 95 Prozent werden Eigenheime daraus. Die Baustellen liegen im Radius von 200, 250 Kilometern um die Kirchtürme Freitals herum. Eder habe sich einen guten Namen bei den Bauherren gemacht, sagt Grafe. „Das liegt auch an der hervorragenden Qualität unseres Rohstoffs.“

Bis zum Ederschen Rohstofflager sind es von Grafes Büro nur ein paar Schritte. Schon gähnt der weite Schlund der Tongrube, in dem Bagger und bullige Kipper rumoren. Eine Riesentreppe führt abwärts, bis auf die Sohle. Jede Schicht sieht ein wenig anders aus. Eine schimmert rötlich, eine andere gräulich, eine dritte gelblich. Am Grubenrand steht Volker Staffetius, der Produktionsleiter. Die Natur hat ihm hier einen Schatz beschert. Zugleich aber eine Herausforderung. „Die Natur ist kein Wunschkonzert“, sagt er. Die Kunst besteht darin, aus dem Rohstoff, dessen Eigenschaften von Meter zu Meter variieren können, ein homogenes Ausgangsmaterial zu machen. Dafür ist das Rezept da. Und vor allem: das Mischen.

Die erste Instanz ist der Radlader, der den sortenrein aufgehäuften und mindestens ein Jahr gelagerten Ton in den Beschicker schaufelt. Ein Rezeptbuch sieht man im Führerhaus nicht. Das hat der routinierte Fahrer im Kopf. Was er heranbringt, fördern Bänder nach nebenan. In der Aufbereitungshalle lärmt es so gewaltig, dass kaum das eigene Wort zu verstehen ist. Neben dem Kollergang vibriert sogar der Boden, als zöge ein Erdbeben herauf. Das machen die beiden Walzen, die in dem fassartigen Behälter kreisen, jede zwanzig Tonnen schwer. Sie zerkleinern die Tonbrocken und drücken die graue Masse, mit einer streng definierten Wassermenge angefeuchtet, durch ein Sieb.

Noch zwei weitere Walzwerke – dann sind aus kindskopfgroßen Batzen Bruchteile von höchstens einem Millimeter Stärke geworden. Sie dürfen nun ausruhen – im Sumpf. Der Sumpf ist ein 25 Meter langes, neun Meter tiefes Becken, das eingehaust in geheimnisvollem Dämmer liegt. Keine Menschenseele ist hier. Stoisch arbeitet das Abwurfband, krümelt die Tonmischung in den Bunker und bewegt sich dabei vollautomatisch, hin und her, vor und zurück. Lage für Lage geht das so. Wieder ein Schritt, erklärt Produktionsleiter Staffetius, der Unregelmäßigkeiten im Rohstoff ausgleicht, die Homogenität steigert.

Hier liegt der Rohstoff: Im Tagebau gleich hinter dem Bürogebäude rollen die Kipper mit frisch abgebaggertem Ton. (Fotos: Andreas Weihs)
Hier liegt der Rohstoff: Im Tagebau gleich hinter dem Bürogebäude rollen die Kipper mit frisch abgebaggertem Ton. (Fotos: Andreas Weihs) © Andreas Weihs
So sieht die Tonmischung aus, bevor sie im „Sumpf“ für eine knappe Woche ruht.
So sieht die Tonmischung aus, bevor sie im „Sumpf“ für eine knappe Woche ruht. © undefined
Das Ofendach. Hier sind rund vierhundert Gasbrenner installiert.
Das Ofendach. Hier sind rund vierhundert Gasbrenner installiert. © undefined
Die Formgebung: Gepresst und zurechtgeschnitten sehen die Rohlinge schon fast wie richtige Ziegel aus.
Die Formgebung: Gepresst und zurechtgeschnitten sehen die Rohlinge schon fast wie richtige Ziegel aus. © undefined
Nach dem Schliff: Jörg Hawlitschka prüft stichprobenartig das Maß.
Nach dem Schliff: Jörg Hawlitschka prüft stichprobenartig das Maß. © undefined

Aus dem Sumpf in die Formgebung. Herz der Halle ist die Presse. Die Maschine drückt einen endlosen, grauen Strang auf das Förderband. Eine Tonmischung, die vor einer knappen Woche eingelagert wurde und jetzt reif ist, zu Ziegeln zu werden. Ein vorgebautes Mundstück am Pressapparat bestimmt die Form. Hier handelt es sich um Ziegel für 240 Millimeter dicke Mauern. Die Steine, die der Schneidedraht von der Tonwurst abtrennt, sind aber dicker. Aus gutem Grund, sagt Volker Staffetius, denn das Trocknen und Brennen lässt den Stein schrumpfen, in diesem Fall um dreizehn Millimeter. „Würden wir sie auf Maß schneiden, wären sie am Ende zu klein.“

Der Ofen brennt immer, Tag und Nacht. Um nicht zu überhitzen, braucht er ständig Futter. Was in der 175 Meter langen Backröhre geschieht, kann man nicht beobachten. Nur vom Ofendach her, wo vierhundert Gasbrenner zugleich mit dem Einheizen beschäftigt sind, ist ein Stück Glut zu erspähen, durch Schlitze, nicht größer als eine Streichholzschachtel. In der heißesten Zone herrschen fast 900 Grad. Nach dreißig Stunden ist der Brand vorbei. Dann kommen die Ziegel ans Licht, krebsrot, und hart genug für eine tragende Rolle.

Wie lange reicht der Ton bei Eder? Vor der Haustür vielleicht noch knapp zwanzig Jahre, sagt Sascha Grafe. Aber Eder hat vorgebaut und Mitte der 1990er eine Tongrube in Dresden-Luga beim heutigen Autobahnanschluss Heidenau erworben. Mit den dortigen Vorkommen könnte das Werk schätzungsweise weitere sechzig Jahre produzieren. In naher Zukunft, vielleicht schon gegen Jahresende, sagt der Chef, könnten sich kleinere Mengen Lugaer Tons in die Freitaler Ziegelrezepturen einmischen.

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