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Zehn Routen-Vorschläge für die Schnellbahntrasse

Die Bahn plant eine neue Strecke von Dresden nach Prag. Jetzt dürfen die Bürger mitreden.

Von Thomas Möckel
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Neubaustrecken-Projektleiter Kay Müller: „Wir dürfen die Strecken-Vorschläge nicht vorselektieren.“
Neubaustrecken-Projektleiter Kay Müller: „Wir dürfen die Strecken-Vorschläge nicht vorselektieren.“ © SZ/Thomas Möckel

Sie soll eines der größten europäischen Verkehrsbau-Projekt der nächsten beiden Jahrzehnte werden – die Neubaustrecke von Dresden nach Prag, 130 Kilometer lang, davon 22 Kilometer auf deutscher Seite. Herzstück der Bahntrasse ist ein Tunnel unter dem Erzgebirge, der bei Pirna beginnt und erst auf tschechischer Seite endet.

 Die Region um Pirna und südlich davon bis zur Grenze könnte damit den längsten Bahntunnel Deutschlands bekommen, es wäre auch der erste grenzüberschreitende Tunnel. Noch steht keine konkrete Strecke fest, die Bahn und die Landesdirektion Sachsen als Planungsbehörde wollen aber die Öffentlichkeit möglichst früh an dem Projekt beteiligen. So hatten Bahn und Landesdirektion am 9. April zum ersten Bürgerdialog nach Pirna geladen. Experten erläuterten im Berufschulzentrum Pirna-Copitz das Großvorhaben, auch nahmen sie Hinweise und Bedenken auf. Die SZ fasst den aktuellen Stand zusammen.

Warum soll die neue Bahnstrecke gebaut werden?

Die Kapazität der Bahnstrecke durch das Elbtal ist nahezu ausgereizt. Über 240 Züge, davon rund 150 Güterzüge, rollen derzeit täglich durchs Elbtal. „Die Elbtalstrecke ist bundesweit die vom Güterverkehr am zweithöchsten frequentierte grenzüberschreitende Bahntrasse“, sagt Bahnsprecher Michael Baufeld. Wegen des begrenzten Platzangebotes lässt sich die Elbtalstrecke nicht erweitern, auch ist sie nicht hochwassersicher. Zudem sind die Anwohner vom zunehmenden Bahnlärm genervt. Die neue Strecke soll das Elbtal von Lärm und Verkehr entlasten, zudem soll mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene geholt werden. Ein 740 Meter langer Güterzug beispielsweise ersetzt 50 Lkws. Darüber hinaus wird die neue Strecke als Schnellbahntrasse geplant, Personenzüge sollen dort später mit Tempo 200 bis 230 fahren. Damit verkürzt sich die Fahrzeit von Dresden nach Prag von derzeit knapp 2,5 Stunden auf 50 Minuten.

Welche Varianten gibt es für die neue Bahnstrecke?

Derzeit existieren zehn Routen-Vorschläge für die neue Strecke, sie verlaufen grob in zwei Korridoren südlich und südwestlich von Pirna. Was alle Varianten gemeinsam haben: Die neue Strecke zweigt in Heidenau von der bestehenden Trasse ab, etwa in Höhe der Entsorgungsfirma Kühl an der S 172 nahe dem Haltepunkt Großsedlitz. Dann verläuft die Strecke weitgehend unterirdisch bis nach Tschechien. Unter den zehn Vorschlägen gibt es eine Vorzugsvariante des Freistaates Sachsen. Die Strecke geht zunächst durch einen kurzen Tunnel, taucht dann wieder auf, quert mit einer Brücke das Seidewitztal in Pirna-Zehista und verschwindet dann bei Goes in den Erzgebirgstunnel. Vor diesem Tunnel ist noch ein Ausweichbahnhof geplant, damit schnelle Personenzüge langsamere Güterzüge überholen können. Die Pirnaer Bürgerinitiative „Basistunnel nach Prag“ hat demgegenüber zwei Alternativrouten vorgeschlagen, die vollständig im Tunnel verlaufen. Die Strecken sollen laut Bahn im weiteren Verfahren berücksichtigt werden und in die Planungen einfließen.

Ist der Bau der Trasse technisch kompliziert?

Die Landschaft, durch die die neue Strecke führt, ist laut Holger Hagen vom DB-Projektteam Neubaustrecke Dresden-Prag „kein unbezwingbares Terrain“. Alles sei beherrschbar. Das Gelände sei geologisch gut erforscht, der Boden bestehe größtenteils aus Sandsteinformationen, es gebe laut Hagen keine größeren Hindernisse. Der Tunnelbau ist Aufgabe für eine große Tunnelbohrmaschine, sie schafft etwa 20 Meter am Tag. Ein Problem sieht Hagen allerdings: Sollte die Trasse nicht, wie vom Land bevorzugt, offen bis Goes verlaufen, muss sich die Bahn einen anderen Standort für den Ausweichbahnhof suchen. Die Projekt-Verantwortlichen der Bahn fürchten, dass dafür in Heidenau nicht genug Platz ist. Die Bürgerinitiative „Basistunnel nach Prag“ hat aber auch für dieses Problem einen Lösungsvorschlag unterbreitet.

Wie geht das Verfahren für die neue Strecke weiter?

Als nächster Schritt folgt ein Raumordnungsverfahren, bei dem die Varianten hinsichtlich ihrer Realisierbarkeit bewertet werden. Am 8. Mai findet eine Antragskonferenz statt. Dort legt die Raumordnungsbehörde – die Landesdirektion – fest, nach welchen Kriterien die Varianten bewertet werden. Anhand dieser Kriterien untersucht die Bahn die Routen-Vorschläge beispielsweise dahingehend, ob sie auf große Hindernisse stoßen – wie Naturschutzgebiete, Flüsse, Wohngebiete oder andere Verkehrsprojekte. Am Ende gibt die Landesdirektion eine Bewertung in Form eines Gutachtens ab. Nach Aussage von Kay Müller, Neubaustrecken-Projektleiter bei der DB Netz AG, gehe die Bahn mit allen zehn Varianten in dieses Verfahren. „Es müssen alle Vorschläge betrachtet werden, wir dürfen nicht vorselektieren“, sagt Müller. Das Verfahren endet mit einer Beurteilung, drei Ergebnisse sind möglich: Die Varianten werden entweder vorbehaltlos befürwortet, befürwortet mit Auflagen oder abgelehnt. Danach werden die infrage kommenden Korridore noch einmal dahingehend geprüft, auf welcher Route die Bahn ihre Projektziele am besten erreichen kann und ob sich das Vorhaben finanzieren lässt. Erst dann wird die Trassenführung konkreter. Das Verfahren ist Grundlage für das folgende Planfeststellungsverfahren, in dem es um eine konkrete Strecke sowie alle damit verbundenen Einzelheiten geht.

© Grafik: SZ

Wie können sich die Bürger an dem Projekt beteiligen?

Dass die Bürger schon in einer so frühen Phase in das Projekt involviert werden, sei laut Michael Baufeld nicht zwingend nötig. Aber die Bahn wolle die Öffentlichkeit so zeitig wie möglich einbeziehen. Denn die Bahn ist angewiesen auf Hinweise, beispielsweise zu geologischen Besonderheiten, Quellen und anderen Dingen. „Je mehr Daten wir haben, desto besser können wir planen“, sagt Baufeld. Zudem werden am Anfang des Raumordnungsverfahrens, das Ende des dritten Quartals beginnt, die Antragsunterlagen in den Gemeinden ausliegen. Bürger können dann dazu Stellung nehmen. Die Ergebnisse des Verfahrens werden öffentlich bekannt gemacht.

Wie stehen Betroffene zu dem Bahnprojekt?

Anja Schwitzgebel aus Goes befürwortet eine Trasse abseits des Dohmaer Ortsteils. „Ich kann mir nicht vorstellen, an einer Güterzugstrecke zu wohnen“, sagt sie. Sie befürchtet, dass wegen der Bahnstrecke der Wert der Grundstücke sinken könnte. Außerdem möchte sie nicht von ihrem Haus auf den Ausweichbahnhof schauen. Auch die mögliche Brücke über die Seidewitz sieht sie skeptisch, zumal die Anwohner in Zehista durch die Brücken der Südumfahrung schon genug belastet seien. Anja Schwitzgebel plädiert dafür, eine der beiden Varianten zu bauen, die die Bürgerinitiative vorgeschlagen hat.

Wie arbeitet die Bürgerinitiative jetzt weiter?

Steffen Spittler vom Arbeitsvorstand der Bürgerinitiative „Basistunnel nach Prag“ zeigte sich grundsätzlich erfreut, dass die Bahn mit allen zehn Varianten ins nächste Verfahren geht. Ungeachtet dessen will die Initiative ein waches Auge auf den weiteren Prozess haben. „Wir sind ja noch lange nicht am Ziel“, sagt Spittler. Selbst wenn nach dem Raumordnungsverfahren die zwei Alternativen der Initiative weiter im Spiel seien, heiße das ja noch nicht, dass eine davon dann auch gebaut wird. Daher wolle man die eigene Arbeit nochmals forcieren. Denn für die Bürgerinitiative gibt es nur eine praktikable Lösung: Eine Bahntrasse, die komplett im Tunnel verläuft.

Nächste Dialogforen, jeweils 15.30 bis 19 Uhr: Dienstag, 16. April, Christuskirche Heidenau, Rathausstraße 6; Mittwoch, 17. April, Gasthof Heidekrug, Cotta A (Dohma).