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Wenn Privatunternehmen Asylbewerber betreuen, so ist das offensichtlich ein gutes Geschäft. Immer häufiger werden Flüchtlinge deshalb auch in schlecht gehenden Hotels untergebracht. In Rötha bei Leipzig geschieht das sogar bei laufendem Hotelbetrieb.

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© Sebastian Willnow

Von Ulrich Wolf und Morgane Llanque

Die Verzweiflung muss groß sein. Mit Übernachtungen ab 12 Euro wirbt das Alpha-Apparthotel in Rötha bei Leipzig im Internet. Die Lage allein rechtfertigt den Schleuderpreis nicht. Rötha ist zwar keine Schönheit, hat aber mit der Georgen- und der Marienkirche immerhin zwei herausragende Kulturbauten zu bieten, inklusive Silbermannorgeln. Zudem ist das Städtchen optimaler Ausgangspunkt für Radtouren durch das Leipziger Neuseenland.

Weitere Beispiele in Sachsen sind das Spreehotel Bautzen...
Weitere Beispiele in Sachsen sind das Spreehotel Bautzen... © Uwe Soeder
...das Gästehaus Zabeltitz...
...das Gästehaus Zabeltitz... © Brühl
...Hotel Stadt Dresden in Großenhain...
...Hotel Stadt Dresden in Großenhain... © Brühl
und das Haus Leipziger Strasse in Dresden.
und das Haus Leipziger Strasse in Dresden. © Robert Michael

Das Hotel selbst ist kein Prachtbau, aber auch keine Absteige. Es ist untergebracht in einem mit dunkelgrüner Farbe aufgehübschten Sechsgeschosser in einer Plattenbausiedlung. Die allerdings hat ihre beste Zeit längst hinter sich. Der Block gegenüber in der Ernst-Thälmann-Straße ist eingezäunt, sogar stacheldrahtbewehrt. Auch der Plattenbau hinter dem Hotel steht leer. Überall wuchert Unkraut.

Es ist jedoch nicht der Schnäppchenpreis, der die Gäste im ersten und zweiten Stock des Hauses hierhergeführt hat. 63 Asylbewerber sind dort derzeit untergebracht. Die übrigen Hotelgäste kommen im vierten bis sechsten Stock unter. Dass sie ihr Quartier in Rötha mit Flüchtlingen teilen, erfahren sie allerdings weder auf dem Internetauftritt des Hotels noch durch dessen Prospekte und nicht einmal beim Einchecken.

Es ist früher Freitagabend. Zehn teppichbelegte Steinstufen führen in einem kleinen Vorbau hinauf zum Empfang. Die Tür steht offen. Der Mann an der Rezeption – ein Hüne in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen – schaut kurz auf und reicht das bereits ausgefüllte Anmeldeformular zum Unterschreiben. Einen Ausweis verlangt er nicht. Den erstaunten Blick kommentiert er nüchtern mit den Worten: „Sie sind der einzige neue Gast heute.“

Auch in Sachsen steigt die Zahl der Flüchtlinge, aber es gibt wenig geeignete Unterbringungsmöglichkeiten. Dieses Dilemma nutzen private Unternehmer. Das Hotel in Rötha etwa gehört Martin Steinhart. Der Bayer hat es erst im vergangenen Jahr gekauft. In seiner Heimat nahe Garmisch-Partenkirchen führt er die Pension „Edelweiß“ samt Liegewiese, Sonnenterrasse, Alpenblick und Sauna. Mit seinem Asylbewerber-Coup im fernen Sachsen hat er nicht nur Röthas Bürgermeister überrascht, sondern auch das Hotelteam. „Irgendwann im November rief vormittags der Chef an, es komme gleich ein Fax. Das solle ich mir durchlesen“, erzählt der Hüne von der Rezeption. „Da stand drin, dass in einer halben Stunde 30 Asylbewerber eintreffen, die ich unterbringen soll. Und die standen dann tatsächlich vor der Tür.“

Immer häufiger werden Asylbewerber in Hotels untergebracht, die ihre beste Zeit hinter sich haben. Der Landkreis Bautzen griff in seiner Not sogar auf das Viersternehaus Spreehotel zu. Seit 1993 steht es an der Talsperre Bautzen, 2000 übernahm es Peter Kilian Rausch aus Donaueschingen. Mit im Boot sitzt Softwarespezialistin Wibecke Vinke aus Genf. Die 57-Jährige ist die größte Anteilseignerin an der Hotel-Betriebsgesellschaft, der bereits 2012 die Überschuldung drohte. Mit dem Zuschlag für das Betreiben einer Asylbewerberunterkunft steckten Rausch und Vinke trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten weitere 350 000 Euro in das Objekt. Seitdem hat das Unternehmerpaar Platz für maximal 150 Flüchtlinge. Bei voller Auslastung erhält es dafür vom Landkreis fast 712.000 Euro, Jahr für Jahr. Dass die Asylbewerber-Idee ihn vor der Pleite bewahrt hat, dementiert Peter Kilian Rausch keineswegs. Er will auch die verbliebenen Zimmer, die derzeit noch Langzeitmietern wie Monteuren vorbehalten sind, freiräumen. „Dazu muss aber der Bebauungsplan geändert werden“, sagt er. Das Hotel steht nämlich in einem Naherholungsgebiet, Asylbewerberheime sind dort eigentlich verboten.

Solche Probleme hat der Bayer Steinhart in Rötha nicht. Der Entwurf seines Betreibervertrags mit dem Landkreis Leipzig garantiert ihm 13 Euro pro Asylbewerber am Tag. Sind alle 90 Plätze belegt, kommen so fast 430 000 Euro im Jahr zusammen. Dafür muss der Hotelier pro Person sechs Quadratmeter Wohn- und Schlaffläche sowie einen Kinderspielplatz und eine Spielecke anbieten, die Möbel stellen und Umbauten, Reparaturen, Energie, Wasser, Abwasser sowie Personalkosten finanzieren. Er muss den Landkreis täglich über die Belegung informieren, muss eine ausreichende Objektbeleuchtung ebenso sicherstellen wie eine Rund-um-die-Uhr-Besetzung mit Personal und die Brandschutzauflagen befolgen. Die Röthaer Feuerwehr hat bereits eine provisorische Fluchttreppe aus Baugerüstteilen aufgebaut, sie reicht allerdings nur bis zum dritten Stock. Unklar ist, ob der Vertragsentwurf vom Mai mittlerweile unterschrieben ist. Im Röthaer Rathaus geht das Gerücht, Steinhart wolle zwei Euro mehr pro Asylbewerber. Das Landratsamt äußert sich dazu nicht, auch Steinhart schweigt. Ihm ist es laut Paragraf vier, Satz sechs des Vertrags verboten, „Auskünfte an Dritte, insbesondere an Medien, zu erteilen“.

Mitunter sind es recht schillernde Gestalten aus der Hotellerie-Szene, die vom Flüchtlingsstrom profitieren. Der Inhaber des Plauener Hotels „Kronprinz“ etwa, das der Vogtlandkreis als Asylheim angemietet hat, ging zuvor schon als Geschäftsführer eines Brauhauses in Frankfurt (Oder) pleite.

In Großenhain zahlt der Landkreis Meißen für das ehemalige Hotel „Stadt Dresden“ seit 2012 eine jährliche Miete von rund 66.000 Euro plus Nebenkosten an den früheren Betreiber, einen wirtschaftlich angeschlagenen Spielautomatenbetreiber aus Hamburg. Der scheint auf den Geschmack gekommen zu sein: Weil der Landkreis weitere Plätze sucht, bietet er nun auch die frühere Gaststätte „Taverne Kreta“ samt benachbartem Spielkasino in Großenhain an. Im nahen Zabeltitz offeriert der Inhaber eines Gästehauses sein Objekt als künftige Asylunterkunft. Dort vermuten viele einen Racheakt, weil Großenhains Oberbürgermeister ihn wegen Mietschulden als Pächter des beliebten Schlosscafés hinausgeklagt hat. Im nordsächsischen Dölzig müht sich der Eigentümer, dass das leer stehende Hotel „Magnet“ eine Zukunft als Flüchtlingsheim bekommt. In Dresden beschlagnahmte die Stadtverwaltung sogar das frühere Hotel „Kathrin“.

Der Fahrstuhl im Röthaer Alpha-Apparthotel hält nicht im ersten und zweiten Stock, da, wo die Asylbewerber wohnen. „Wir wollen nicht, dass sich unsere Gäste dahin verirren“, sagt der Mann von der Rezeption. „Der dritte Stock ist eine Art Pufferzone, soll aber auch noch mit Asylbewerbern belegt werden.“ Das Hotelrestaurant ist bereits geschlossen. Dafür dringen durch das Treppenhaus exotische Kochgerüche aus den bereits eingerichteten Gemeinschaftsküchen im dritten Stock. Dort sind die Nutzungshinweise in acht Sprachen angebracht. „Hilft wenig“, sagt der Rezeptionist, der sich als „Mädchen für alles“ bezeichnet. Er spricht abfällig von den „Hottentotten und ihren Kakerlaken“, von „Rabeneltern, die sich nicht um ihre Kinder kümmern“, von einer Roma-Frau, die sich Monat für Monat für Hunderte Euro Klamotten im Internet bestellte, aber nicht bezahle.

Dass eine gewisse soziale Kompetenz vonnöten sein müsste, um Asylbewerber zu betreuen, wird hier besonders deutlich. Diese Kompetenz ist bei einigen Privatbetreibern nicht auf Anhieb erkennbar. Für das Heim in Chemnitz-Furth etwa ist ein 70-jähriger Elektroingenieur verantwortlich, der dem Vorstand des Motorsportvereins Racing Team Neukirchen angehört. In Freiberg ist ein Immobilienhändler und leidenschaftlicher Sportflieger aus dem Breisgau im Asyl-Geschäft aktiv, in Niesky eine Metallbaufirma. Für das Zwickauer Heim in der Kopernikusstraße mit 320 Plätzen ist eine Firma zuständig, die einem Physiker (61), einer Ex-Bankerin (71) und der 70 Jahre alten Inhaberin der „Bar Comtesse“ im hessischen Dreieich gehört. Fast 400 Flüchtlinge werden in Leipzig von einem Sicherheitsdienst betreut, hinter dem der letzte General der Leipziger Volkspolizei, Gerhard Straßenburg, steckt.

In Dresden erhielt der gelernte Kachelofenbauer Thomas Wolter (47) aus der Nähe von Heilbronn im „Heim-Tüv 2013“ des sächsischen Ausländerbeauftragten allerdings durchweg gute Noten. Unter den zehn besten Heimen bei dieser Untersuchung sind jedoch nur vier privat geführt. Am unteren Ende der Skala finden sich dagegen ausschließlich Unterkünfte in privater Betreiberhand, für vier von ihnen empfiehlt der Ausländerbeauftragte sogar die Schließung.

Zimmer 401 im Röthaer Alpha-Hotel ist durchaus akzeptabel. Kochzeile, Bad, zwei Betten, Fernseher, W-Lan, Schrank, Garderobe, Schreibtisch, zwei Stühle, Laminatfußboden. Alles sauber. Vom Balkon aus fällt der Blick auf die Kühltürme des Kraftwerks Espenhain. Nebenan nächtigt ein Ehepaar aus Flöha, das zum Radeln rund um die Leipziger Seen gekommen ist. „Von den Asylbewerbern hier hatten wir keine Ahnung“, sagt sie. „Das haben wir erst bei der Ankunft mitbekommen.“ Da habe „einer von denen“ vor der Rezeption gelegen, weil er sich angeblich weigerte, mit anderen ein Zimmer zu teilen. „Die Polizei rückte gleich mit drei Streifenwagen an, dann war Ruhe.“ Seine Fahrräder hat das Ehepaar im Keller einschließen lassen.

Sicherheit zu gewährleisten, ist ein wesentliches Problem für jeden Betreiber. Nicht selten kommt es zu Streitereien und gewalttätigen Auseinandersetzungen unter Heimbewohnern. Das räumt auch Wilfried Pohl ein. Der 58-Jährige aus Coswig ist Chef von 33 Mitarbeitern und macht mit seiner Immobilienbetreuungs-, Tourismus- und Beherbergungsgesellschaft ITB 2,5 Millionen Euro Umsatz. Die ITB betreut allein in Sachsen sechs Heime, ist damit die Nummer eins im Freistaat.

Pohls ärgster Konkurrent ist Deutschlands Marktführer im Asylgeschäft, die European Homecare mit Sitz in Essen. Sie betreut in Sachsen vier Heime. Ihr Einstieg in die Branche erfolgte schon 1993, damals wurde sie der erste Betreiber der zentralen sächsischen Asylbewerberanlaufstelle in Chemnitz. Inzwischen hat die Firma 200 Mitarbeiter. 2012 schnellte der Umsatz um mehr als 60 Prozent nach oben, auf 9,4 Millionen Euro. Für dieses Jahr werden sogar 18 Millionen Euro angepeilt.

Erfolgreich ist auch die Asylbetreuungs- und Beherbergungs-GmbH (Abub) aus Grimma. Sie ist für die Heime in Frohburg, Grimma, Löbau und Zittau zuständig, zählt 34 Mitarbeiter und erlöste zuletzt rund 1,6 Millionen Euro. Als Geschäftsführer fungiert ein 65-jähriger Staatswissenschaftler aus der Nähe von Chemnitz. Eines seiner Werke trägt den Titel „Formierte Demokratie als kollektive Infantilität“.

Das Unternehmen Human Care aus Bremen, das in Sachsen in Döbeln, Dresden und Kamenz aktiv ist, gehört zu den wenigen Firmen, die offensiv um Aufträge werben. In der Firmenpräsentation im Internet werden vor allem Landräte umworben: „Als ganz großes Plus möchten wir die Finanzierung Ihrer Gemeinschaftsunterkunft durch uns hervorheben“, heißt es in der Firmenpräsentation. „Die daraus resultierende Kostenersparnis geben wir an Sie weiter.“ Man biete die Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden zu einem „von uns kalkulierten Tagessatz“ an und übernehme dafür alle damit verbundenen Aufgaben. Die Vorgängerfirma von Human Care bezifferte schon 2008 in ihrem Geschäftsbericht den Verdienst pro Flüchtling mit täglich vier Euro.

Auch die Landkreise scheinen ein gutes Geschäft zu machen. Derzeit erhalten sie vom Land eine jährliche Pauschale von 6.000 Euro pro Asylbewerber. Zahlt die Behörde 13 Euro pro Platz und Tag an einen Privatbetreiber wie in Bautzen oder Rötha, bleiben 1 255 Euro pro Flüchtling übrig. Im nächsten Jahr soll die Jahrespauschale auf 7.600 Euro steigen.

Am Volkshaus Rötha radelt ein junger Pakistani vorbei. Kopfhörer, aus denen arabische Pop-Musik klingt, hängen über seinen Schultern. „Uns hat keiner gesagt, dass die kommen“, sagt die Wirtin im Volkshaus. „Auf einmal waren die im Winter da.“ Es habe zwar gleich eine Demo und eine Gegendemo gegeben, danach aber sei nichts mehr passiert. „Ich gebe Ihnen mal ein paar Informationen“, sagt sie noch und geht nach hinten. Als sie wiederkommt, hat sie nicht etwa Werbematerial der NPD in der Hand, sondern eine Broschüre des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Sie trägt den Titel: „Das deutsche Asylverfahren – ausführlich erklärt.“