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Zwölf Euro Stundenlohn sind zu wenig

Die Busfahrer streiken für mehr Gehalt. Einer, der längst Rentner ist, sorgt sich um den Nachwuchs.

Von Maximilian Helm
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Günther Böhme fährt trotz Rentenalter weiter Bus. Und streikt für bessere Bezahlung der kommenden Busfahrer-Generation.
Günther Böhme fährt trotz Rentenalter weiter Bus. Und streikt für bessere Bezahlung der kommenden Busfahrer-Generation. © Maximilian Helm

Meißen. Am Mittwoch findet der Arbeitskampf etwas versteckt statt, auf der Hafenstraße im Norden der Stadt. Am Zaun des Betriebsgeländes der Verkehrsgesellschaft Meißen ist ein kleines rotes Transparent angebracht, „Warnstreik“ steht darauf. Auf dem Hof wartet nur ein einziger Bus und verkündet die Streik-Botschaft. Keine Trillerpfeifen, wenige Warnwesten, eher freundliche Stimmung. „Natürlich wären wir auf dem Busbahnhof sichtbarer“, sagt Streikführer Harry Kalk, „aber das ist öffentlicher Raum und gehört der Stadt.“

Am Streik beteiligt ist auch Günther Böhme. Er ist seit 1972 Busfahrer und feiert im nächsten Jahr seinen 70. Geburtstag. Dass er noch immer durch die Straßen von Meißen und Umgebung fährt, hat einerseits mit Idealismus, andererseits mit dem Verdienst zu tun. „Man muss als arbeitender Rentner zwar viel abgeben, aber es macht mir auch wirklich noch Spaß“, sagt er. Eine Lieblingsstrecke habe er nicht, er freue sich nur jedes Mal, aus der Stadt herauszukommen. „Fahrten über Land sind die Besten, da hat man einfach mal für eine Weile seine Ruhe“, sagt Günther Böhme.

In den vergangenen 50 Jahren hat er den Wandel der Branche hautnah miterlebt. Angefangen hatte er 1966 als Kraftfahrzeugschlosser im VEB Kraftverkehr Meißen. Das war einer der größten Kraftverkehrsbetriebe der DDR und umfasste zahllose Branchen, zum Beispiel den Lkw-Fernverkehr eine Fahrschule und auch den Betrieb des Busnetzes. Böhme machte den Busschein und verdingte sich als Quereinsteiger: Neben seinem regulären Job fuhr er am Wochenende, sowie morgens vor der Arbeit und abends nach der Arbeit Bus.

Günther Böhme spricht außerdem fließend Portugiesisch. Denn vor der Wende war er für fünf Jahre im afrikanischen Angola und half dort bei der Aufbauarbeit. „Die DDR hatte zwar hunderte Fahrzeuge bereitgestellt, aber die Menschen konnten sie weder reparieren noch bedienen“. Also brachten er und einige weitere DDR-Abgesandte es den Einheimischen bei. Eine Flucht in den Westen wäre unter diesen Umständen ein Leichtes gewesen: „Auf dem Flug nach Angola sind wir auch in Casablanca gelandet, da hätte ich nur in die nächste Botschaft gehen müssen“, sagt Böhme. Doch pflichtbewusst kam er zurück, arbeitete nach der Wende zunächst als Fahrlehrer, ab 1996 dann in Vollzeit als Busfahrer. „Das hätte ich früher machen sollen“, ärgert er sich heute, „das hat mir schon immer mehr Freude gemacht.“

Günther Böhme ist mit Leib und Seele Busfahrer. Doch er sieht seinen Berufsstand in Gefahr. „Den Leuten wird einfach nicht genug Wertschätzung entgegengebracht“, sagt er. Der mit etwas über zwölf Euro unterdurchschnittliche Lohn sei dabei nicht den Arbeitsbedingungen angemessen. Schließlich müssten Busfahrer auch nachts und am Wochenende arbeiten. Dazu kämen geteilte Schichten, die oft ein Ärgernis seien, denn dann müssten die Fahrer für nur vier Stunden Arbeit extra zum Start- und Zielpunkt kommen.

All das führe auch dazu, dass der Beruf unattraktiv wird und es an Lehrlingen fehlt. „Wenn ein Auszubildender mit 16 Jahren in den Betrieb kommt, dauert es trotzdem zwei oder sogar fünf Jahre bis er alles fahren kann“, mahnt Böhme.

Die Gewerkschaft ver.di fordert von den Arbeitgebern weiterhin einen Stundenlohn von 15,66 Euro für Facharbeiter. Die VGM gehört zu drei Vierteln den Dresdner Verkehrsbetrieben. Diese argumentieren, dass deren Kalkulation eng und an klar begrenzte Zuschüsse gebunden sei. Höhere Löhne könne man also nur mit steigenden Ticketpreisen realisieren.

„Das glaube ich sogar“, sagt der Meißner Streikführer Kalk, „deshalb richten wir unsere Forderungen vor allem an die Politik.“ Der geforderte Stundenlohn sei in Sachsen-Anhalt schon Anfang des Jahres eingeführt worden, also keine Utopie. Im schlimmsten Fall könne es hierzulande zu einer Urabstimmung mit anschließendem Erzwingungsstreik kommen. Doch Kalk zeigt sich zuversichtlich, dass man zu einer Einigung kommen werde: „So etwas hatten wir zuletzt 1991, und ich denke, dass es niemand so weit kommen lassen will.“ Ein weiterer Warnstreik sei aber möglich.


Umfrage: Die Busfahrer in Riesa streiken innerhalb eines Monats zum dritten Mal. Haben Sie dafür Verständnis?

Katja Mühlstädt (38), Merschwitz
Katja Mühlstädt (38), Merschwitz © Lutz Weidler

"Eine Bekannte ist selbst Busfahrerin. Eine anspruchsvolle Arbeit, oft mit geteilten Diensten, sollte auch ordentlich bezahlt werden. Die Beförderung vor allem der Schulkinder bringt eine hohe Verantwortung mit sich. Ich unterstütze die Forderungen nach einem fairen Lohn."

Wolfgang Mannel (77), Hamburg
Wolfgang Mannel (77), Hamburg © Lutz Weidler

"Ich war selbst 40 Jahre Busfahrer. Mein Sohn ist ebenfalls Busfahrer. Wer glaubt, mit ein bissel über Mindestlohn eine solch anspruchsvolle Arbeit ordentlich machen zu können, liegt falsch. Wir sind oft in Sachsen – und staunen ohnehin über die moderaten Fahrpreise."

Veronika Dähnert (59), ehemalige Riesaerin
Veronika Dähnert (59), ehemalige Riesaerin © Lutz Weidler

"Ich finde, die jetzt in Sachsen gezahlten 12,30 Euro Stundenlohn für Busfahrer sind ein Hungerlohn. Der sollte umgehend korrigiert werden. Ich bin viele Jahre mit dem Bus gefahren und weiß, was die Leute am Steuer leisten."

Elisabeth Palente (80),
Riesa
Elisabeth Palente (80), Riesa © Lutz Weidler

"Ich fahre immer mit öffentlichen Verkehrsmitteln und weiß, wie verantwortungsvoll und schwer dieser Job ist. Daher finde ich es mehr als gerecht, auch dementsprechend entlohnt zu werden. Zumal das in anderen Bundesländern bereits geschehen ist – etwa in Sachsen-Anhalt."