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Welche Probleme eine alte Seniorenresidenz hat

Das einst sächsische Stift Joachimstein in Radmeritz (heute Radomierzyce) ist längst kein Ausflugsziel mehr.

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Das äußerlich renovierte Schloss bietet am Wallgraben noch einen idyllischen Anblick. Doch der Anblick täuscht.
Das äußerlich renovierte Schloss bietet am Wallgraben noch einen idyllischen Anblick. Doch der Anblick täuscht. © Wilfried Rettig

Von Wilfried Rettig

In unmittelbarer Nähe zum Grenzübergang Hagenwerder liegt auf polnischer Seite im heutigen Radomierzyce das Schloss Joachimstein. Was hatten Radmeritz und sein Wasserschloss in seiner fast 300-jährigen Geschichte nicht alles erlebt und gesehen. 1745 kam Friedrich der Große mit seinem Gefolge, 17 Jahre später der preußische General von Ramin, und im April 1813 bezogen die Lützower Jäger Quartier. Im Schloss verfasste Theodor Körner seinen „Aufruf an die Sachsen“. Im November des gleichen Jahres logierten hier General Blücher und Prinz Wilhelm, der spätere Kaiser Wilhelm I. Letzter prominenter Gast war 1928 der Reichspräsident von Hindenburg. Ausflügler konnten sich bis 1944 in der Stiftsschänke laben. Es waren die letzten Gäste.

Nach Kriegsende kassierte die Rote Armee die wertvollsten Schätze. Den Rest plünderte die Bevölkerung. Brennbares Material wie Parkett, Türen und Fensterrahmen wanderte durch nunmehr polnische Öfen. Stuck und Statuen wurden zerschlagen. Wind und Wetter begannen ihr zerstörerisches Werk. Die Ruine schien verloren, als im eisigen Winter 1984 dem Autor ein Besuch des Schlosses über den zugefrorenen Wallgraben gelang. Bereits damals war das Betreten wegen Einsturzgefahr verboten. Die einstige Pracht ließ sich nur noch erahnen. Der Ausflug endete mit einer Festnahme wegen unerlaubten Betretens des Grenzgebietes in der Zeit des polnischen Kriegsrechtes.

Der Kammerherr des sächsischen Königs, Joachim von Ziegler und Klipphausen, dem die Güter in Radmeritz, Niecha und Markersdorf gehörten, war unverheiratet und ohne gesetzliche Erben. So plante er schon zu Lebzeiten, sein gesamtes Vermögen in einer wohltätigen Stiftung anzulegen. 1708 beschloss er den Bau eines kirchlichen Seniorenheimes für adlige Damen. Die Satzung von 1722 schrieb eine Belegung mit zwölf unverheirateten Fräuleins vor, die ihre adelige Herkunft über 16 Ahnen nachweisen müssen und unverschuldet in Notlage geraten sind. Für das Projekt seines Schlosses studierte von Ziegler die königlichen Paläste in Dresden und Pillnitz, konsultierte die Hofbaumeister Karcher und Pöppelmann und entschied sich schließlich für den Entwurf des Dresdner Oberlandbaumeisters Christoph Beyer. Sein Palais entstand an der Stelle der alten Wasserburg Radmeritz. Am 14. November 1728 fand die feierliche Weihe des „freien weltadeligen Fräulein-Stiftes Joachimstein“ in Radmeritz statt. Am 30. Juni 1734, sechs Jahre nach der Weihe, starb von Ziegler, der nach der Fertigstellung den Westflügel des Schlosses bewohnte. In aller Stille wurde er in Radmeritz beigesetzt.

Joachimstein heute: deutliche private Absperrung am Standort der früheren „Männelbrücke“.
Joachimstein heute: deutliche private Absperrung am Standort der früheren „Männelbrücke“. © Oliver Rettig

Auf einer lindenumsäumten Zufahrtstraße gelangte man zur Wallgrabenbrücke mit dem beeindruckenden Portal. Seitlich links lagen die schlichten Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude, gegenüber der Marstall und die Wohnräume der Dienerschaft. Der Schlosshof mit Balustraden zeigte den künstlerischen Geschmack der kurfürstlichen Gestalter. Überall in den Gartenanlagen traf man auf Vasen, Putten und Sandsteinstatuen. Zwei grün umrankte Pavillons flankierten die Barockanlage, an deren Südseite das Schloss thront. Über den dreiläufigen Treppenaufgang gelangte der Besucher in den „Weißen Saal“, von dessen Balkon er den Ausblick über die Schlossanlagen genießen konnte. Es würde zu weit führen, wollte man die prachtvolle Ausstattung des Festsaales mit dem riesigen Lüster, dem Kamin, den Ölgemälden und den Möbeln beschreiben.

Ein erster Schicksalsschlag für Stift Joachimstein war die Teilung der Oberlausitz nach dem Wiener Kongress 1815, als die Wittig zum Grenzfluss zwischen Sachsen und Preußen wurde. Fast alle Besitzungen kamen nun unter preußische Verwaltung. Erst langwierige Verhandlungen auf Regierungsebene ermöglichten den Fortbestand der Stiftung. Mitte der 1950er Jahre erhielt die Wittig ein neues Bett um das Schloss herum. Die im Volksmund „Männelbrücke“ genannte Wittigbrücke an der Zufahrt wurde zugeschüttet. Die Wallgrabenbefestigung bildet seither mit dem zusätzlich aufgeschütteten Damm einen Hochwasserschutz für die inzwischen polnische Gemeinde Radomierzyce. Auch wenn die Anlagen immer mehr zuwucherten, so konnte man bis nach der Wende noch unter den fast 300-jährigen Baumalleen um das Schloss spazieren.

Dann tauchte der polnische Investor Marek Glowacki auf, der aus dem Schloss ein Hotel machen wollte. Mit einem Kostenaufwand von sieben Millionen Euro wurden ab 2003 die meisten Nebengebäude wieder aufgebaut und am Schloss die Fassaden und Dächer renoviert. Doch 2004 starb Glowacki unerwartet. Seitdem ruhen die Arbeiten. Ein Verbotsschild warnt vor dem Betreten des privaten Areals. Selbst die Fußgängerbrücke zur Mühle wurde abgetragen, so dass nur dank Drohnen und Internet ein visueller Rundflug über das Stiftschloss Joachimstein möglich ist.