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Ein Radeberger will für Dresden in den Bundestag

Jens Düvelshaupt tritt als Einzelkandidat bei der Wahl am 26. September an. Chancenlos, sagen viele. Doch Unterstützer hat er überraschend schnell gefunden.

Von Thomas Drendel
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Jens Düvelshaupt will als Direktkandidat ohne Parteibuch in den Bundestag einziehen.
Jens Düvelshaupt will als Direktkandidat ohne Parteibuch in den Bundestag einziehen. © Sven Ellger

Radeberg. Es war im Mai 2019. Da setzte sich Jens Düvelshaupt an den Schreibtisch und tippte in drei, vier Wochen eine Verfassungsbeschwerde in den Computer. Selbst für einen Juristen wie ihn ist das eine Menge Arbeit: Ein Schreiben, mehrere Seiten lang, mit Verweisen auf frühere Urteile, mit einer klaren Argumentationslinie. Sein Ziel: Deutschlands oberstes Gericht soll überprüfen, ob genug für den Schutz des Klimas getan wird. Tagelange Arbeit, obwohl ihm alle abgeraten hatten. „Selbst eine Juristin eines großen Umweltverbandes sagte damals zu mir, mit so einer Beschwerde kommt man nicht weiter. Das kannst du vergessen.“

Der Rest ist bekannt. 2020 nahm die Sache an Fahrt auf. Eine Gruppe junger Leute reichte eine ähnliche Verfassungsbeschwerde ein. Im März 2021 legte das Verfassungsgericht seinen Beschluss vor. Tenor: Deutschland macht zu wenig, um die nächsten Generationen vor Hitze, Überflutungen und Stürmen zu schützen. Allen Zweiflern zum Trotz, ein historischer Erfolg, an dem der Radeberger seinen Anteil hatte. Für den heute 61-Jährigen war das wohl ein Schlüsselerlebnis. Denn gerade ist er dabei, wieder anscheinend Aussichtsloses anzugehen. Er will in den Bundestag. Als Einzelkandidat ohne Parteibuch, als Einzelner gegen gestandene Politiker von CDU, SPD, Grünen, Linken und AfD.

Familienvater lebt seit 28 Jahren in der Region

Jens Düvelshaupt will das Direktmandat im Wahlkreis 160 holen, in dem unter anderem die Dresdner Ortsteile Pieschen, Loschwitz, Neustadt, aber auch Radeberg, Ottendorf, Großröhrsdorf und Wachau gehören. Seit 28 Jahren lebt er hier, zuerst in Dresden, jetzt in Radeberg. Kurz nach der Wende war er aus Hannover nach Sachsen gekommen. Jetzt attestieren ihm alle, er wird mit seiner Kandidatur scheitern.

„Von Null-Chance bis keine Chance, so werden meist meine Aussichten beschrieben. Trotzdem mach ich das“, sagt er. Dabei ist der Rechtsanwalt und Steuerberater kein weltfremder Eiferer, eher ein nüchtern denkender Zeitgenosse. „Für mich ist das eine einfache Rechnung. Einmal sind die Kosten des Klimawandels schon jetzt immens. Allein was die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen kosten wird. 30 Milliarden Euro werden vermutlich nicht reichen. Die vielen Todesopfer können mit Geld überhaupt nicht aufgewogen werden. Wir müssen Lösungen finden.“

Und die Kosten werden weiter steigen. Man müsse nur über die Landesgrenzen hinausschauen, schon jetzt ist in einigen Gegenden die Lage dramatisch. Die Waldbrände rund ums Mittelmeer, in Sibirien oder im Westen der USA. „Diesen Berg von Problemen, den wir mit unserem Wirtschaften verursachen, können wir nicht unseren Kindern überlassen, nach dem Motto: Kommt ihr doch damit klar.“

Überhaupt hat ihn der Gedanke an seine beiden Söhne und deren Zukunft veranlasst, sich erst mit der Verfassungsbeschwerde und jetzt in der Politik zu engagieren. Das macht er wieder mit vollem Risiko. Flyer und Plakate hat er selbst entworfen und den Druck finanziert. Weil ihm das „Team Düvelshaupt“ fehlt, wird er letztere auch selber aufhängen.

Unterstützerstimmen in kurzer Zeit beisammen

„Das passiert allerdings nicht wie bei den Parteien an Straßenlaternen. Ich werde mehrere Plakate an belebten Orten im Wahlbezirk aufstellen, in der Hoffnung, dass sie von vielen gelesen werden.“ Auf seinen würde sowieso mehr drauf stehen, als auf denen der Parteien, wo ja meist nur ein Kopf zu sehen ist und ein kurzer Satz.

Ganz ohne Rückversicherung hat sich der Radeberger allerdings nicht in den Wahlkampf aufgemacht. „Ich musste eine Anzahl Unterstützerstimmen sammeln, sie sind Voraussetzung, um zu kandidieren. Dabei war ich bewusst nicht in meinem Bekanntenkreis unterwegs, sondern habe in Radeberg Klingeln geputzt, um eine Rückmeldung von den Anwohnern zu bekommen. An der Haustür konnte ich meine Ideen vortragen. Hätte man mir dort schon die Tür vor der Nase zugeknallt, hätte ich es gelassen. Das ist vereinzelt zwar auch passiert, doch in den meisten Fällen waren die Bewohner offen für ein Gespräch. Bei vielen konnte ich ein zweites Mal kommen und die Unterschriftenzettel mitbringen.“

Als Grundlage für sein Engagement sieht er die Wissenschaft. Er verweist auf zahlreiche Untersuchungen. „Die letzte Studie stammt vom Weltklimarat IPCC: Da wird genau vorgerechnet, wie viele Tonnen CO2 maximal in die Atmosphäre gepustet werden dürfen, wenn wir das 1,5 Grad-Ziel noch erreichen wollen. Das sollte uns die Richtung vorgeben. Wir sollten uns jetzt schnellstens darüber einig werden, wie wir das mit dem CO2-Ausstoß hinbekommen. Darüber brauchen wir einen möglichst breiten Konsens“, sagt er.

Diesen Konsens zu schaffen, traut er sich eher zu als etablierten Parteien. „Einmal sind sie an ihr jeweiliges Parteiprogramm gebunden, außerdem habe ich Erfahrung, was die Einigung bei unterschiedlichen Ansichten angeht.“

In der Tat, der Radeberger hat sich an der Uni Hagen als Mediator ausbilden lassen. Jetzt vermittelt er bei Wirtschaftsstreitigkeiten, eine Zeit lang unterrichtete er das Fach an der TU Dresden. Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, wissenschaftliche Basis und möglichst breiten Konsens bei den Lösungen, die aber keine faulen Kompromisse sein dürfen wie bisher. Das soll die Grundlage seiner Arbeit im Bundestag werden.

Jetzt wirbt der 61-Jährige um jede Erststimme bei der Wahl am 26. September, auch Kandidatenstimme genannt. Schätzungsweise 50.000 Wähler müssten ihr Kreuzchen hinter seinem Namen machen, damit er für den Wahlkreis Dresden II-Bautzen II in den Bundestag ziehen kann. Aussichtslos sagen viele, machbar, sagt er.