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Warum der Kohleausstieg im Osten früher kommen wird

Die Europäische Union hat sich auf ein Klimapaket geeinigt. Zentral ist der Emissionshandel für den CO2-Ausstoß. Was dieser für Sachsen bedeutet, erklären die EU-Abgeordneten Anna Cavazzini und Michael Bloss (Grüne).

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Die Europaabgeordneten Michael Bloss und Anna Cavazzini sitzen seit 2019 für Bündnis 90 / Grüne im EU-Parlament Cavazzini für Sachsen.
Die Europaabgeordneten Michael Bloss und Anna Cavazzini sitzen seit 2019 für Bündnis 90 / Grüne im EU-Parlament Cavazzini für Sachsen. ©  PR

Von Anna Cavazzini und Michael Bloss

Mit dem vorgezogenen Kohleausstieg 2030 im Westen Deutschlands hat die Diskussion in Sachsen wieder an Fahrt gewonnen. Die sich zuspitzende Klimakrise mit verheerenden Waldbränden auch in Sachsen verlangt einen schnelleren Kohleausstieg als das vereinbarte Jahr 2038. Auf der anderen Seite gibt es berechtigte Sorgen in den betroffenen Regionen darüber, ob die Menschen in der bereits laufenden Transformation nicht abgehängt werden. Wir wollen in diesem Beitrag darstellen, was der aktuelle Rechtsrahmen auf europäischer Ebene ist und was dieser für die Diskussion in Sachsen bedeutet.

Kurz vor Weihnachten gab es eine historische Einigung zwischen dem Europaparlament und den Mitgliedsstaaten zum größten europäischen Klimapaket jemals. Zentral ist dabei der sogenannte Emissionshandel für den CO2-Ausstoß. Er legt eine absolute Menge an CO2 fest, die in der EU in Industrie, Energieproduktion, Verkehr und Gebäuden noch ausgestoßen werden darf. Das bedeutet in der Praxis: Wer CO2 ausstößt, muss dafür ein Verschmutzungszertifikat kaufen und die Kosten dieses Zertifikates sind der CO2-Preis.

Die Einigung ist ambitioniert. Sie verringert zum Beispiel die CO2-Emissionen im Bereich Industrie und Energie um 63 Prozent bis zum Jahr 2030. Gleichzeitig ist der Mechanismus einfach : Es gibt dann weniger Verschmutzungsrechte, was ihren Preis nach oben treibt.

Gerade liegt der CO2-Preis bei knapp 75 Euro und da Braunkohle von allen fossilen Energien am meisten CO2 ausstößt, ist diese Form der Energieerzeugung richtig teuer. Bevor die Gaspreise wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine durch die Decke gingen, hat der CO2-Preis dafür gesorgt, dass in Deutschland reihenweise Kohlekraftwerke vom Netz gegangen sind, weil sie sich einfach nicht mehr gelohnt haben. Entstanden ist ein riesiger Anreiz, mehr Erneuerbare Energien in die Fläche zu bringen. Die Preisexplosion beim Gas hat Kohle kurzfristig zwar wieder rentabel gemacht, aber auf mittlere Sicht wird sich das wieder ändern.

Emissionshandel in der EU sorgt für Kohleausstieg vor 2030

Mittlerweile ist der Gaspreis wieder gesunken. Er liegt gerade bei circa einem Viertel des historischen Höchststandes vom letzten Sommer. Das erhöht den Druck auf den Kohleausstieg, denn jetzt ist es wieder wirtschaftlicher, Gas statt Kohle für die Stromproduktion zu nutzen. Das sieht man aktuell auch am Braunkohlekraftwerk Lippendorf bei Leipzig: Es stand zwischendurch still, weil es sich nicht mehr gelohnt hat und der Bedarf nicht gegeben war.

Das ist der erste Grund, warum die Kohle in Sachsen keine Zukunft mehr hat. Der Chef des Europäischen Klimarats, der Wissenschaftler und Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer rechnet vor, dass mit der Einigung zum EU-Emissionshandel der Kohleausstieg in der ganzen EU schon vor 2030 kommen wird.

Jetzt den Bürgerinnen und Bürgern noch vorzugaukeln, dass der Kohleausstieg erst im Jahr 2038 kommen würde, ist unehrlich, politisch fahrlässig und wirtschaftlich katastrophal. Denn die Mehrkosten für die Kohlebetreiber durch den Emissionshandel werden sich später auf der Stromrechnung von uns Bürgerinnen und Bürgern wiederfinden. Und dabei sind die Folgekosten der Klimakrise noch gar nicht eingerechnet.

Großer Solarpark in Zeithain. Bis 2030 sollen 80 Prozent des deutschen Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden. Foto: Sebastian Schultz
Großer Solarpark in Zeithain. Bis 2030 sollen 80 Prozent des deutschen Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden. Foto: Sebastian Schultz © Symbolfoto: Sebastian Schultz

Der zweite Grund für einen früheren Kohleausstieg liegt schlicht an den Vorgaben, die die Bundesregierung mit dem Erneuerbare Energien Gesetz, aber auch die Europäische Union beschlossen haben. Bis 2030 werden wir 80 Prozent des Strombedarfs mit den Erneuerbaren Energien in Deutschland gedeckt haben. Kohlekraftwerke passen hier nicht mehr rein. Sie können nicht wie flexible Gaskraftwerke einfach hoch und runter gefahren werden, die wir rasch mit grünem Wasserstoff versorgen. Und es wäre sehr teuer, weil sie dann auch laufen, wenn genug Wind weht und die Sonne scheint.

Der dritte Grund ist so einfach wie bestechend: Wir müssen die Menschen im Strukturwandel gezielt unterstützen. Es ist Aufgabe der Politik, sie in dieser tiefgreifenden gesamtgesellschaftlichen Veränderung mit ihren ganz individuellen Herausforderungen nicht alleine zu lassen. Dazu gehört beispielsweise die gezielte Ansiedlung von Zukunftstechnologien in den betroffenen Regionen, von Batterien bis Halbleitern, und die entsprechende Weiterbildung der überall benötigten Fachkräfte. So wird der Osten den Job-Boom nicht verpassen. Bereits jetzt arbeiten fast 350.000 Menschen in Deutschland allein im Erneuerbaren-Sektor, woran der Osten einen beachtlichen Teil davon trägt. Die modernsten Solarmodule der Welt kommen hierher – aus Freiberg oder Bitterfeld-Wolfen. Mit dem neuen Plan der EU, die Solarproduktion Made in Europe wieder neu aufleben zu lassen, kann der Osten zum Solar-Valley Europas werden, denn die Firmen, das Fachwissen und die Handwerker und Handwerkerinnen sind bereits da.

Die Klimaindustrie ist die Zukunft, ob Ministerpräsident Kretschmer das will oder nicht. Sie sorgt für die Solarmodule, Windkraftanlagen, Wärmepumpen und Batterien Made im Osten. Mit dem Ausbau senken wir die Strom- und Heiz-Preise, weil Sonnen- und Windkraft unschlagbar günstig sind. Sie schaffen im Handwerk Jobs, weil jemand sie installieren und warten muss.

Das alles ist keine Zukunftsmusik, sondern eine knallharte Wirtschaftspolitik. Die USA oder China sind längst aufgewacht: Knapp 400 Milliarden haben die USA für eine grüne Industrie auf den Tisch gelegt. Aus China kommen bislang 70 Prozent unserer Solarmodule. Anders gesagt können wir uns einen Kohleausstieg bis 2038 und die Diskussion darum gar nicht mehr leisten, sondern müssen jetzt anpacken. Wir müssen die Zeichen der Zeit ernst nehmen, bevor es für das Klima und unsere Jobs zu spät ist.

Zu den Autoren: Anna Cavazzini ist sächsische Grüne Europaabgeordnete und setzt sich als Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz für einen nachhaltigen Binnenmarkt und eine gerechte Globalisierung ein. Michael Bloss, MEP, streitet als Mitglied im Umweltausschuss und im Industrie- und Energieausschuss für konsequenten und gerechten Klimaschutz und hat für die Grüne/EFA-Fraktion den Europäischen Emissionshandel (ETS) verhandelt.