Wie viele Neubauten verträgt Dresdens Klima?

Dresden. Der Neustädter Bahnhof ist ein heißes Pflaster. In ihm ist es rund fünf Grad wärmer als im unbebauten Umland der Stadt. Dunkelrot hebt sich sein Dach in der Klimafunktionskarte im Themenstadtplan heraus. Auch die Bereiche ringsum sind rot oder orange eingefärbt. "Auch sie zählen zu den wärmsten Bereichen der Stadt, in ihnen ist es zwei bis vier Grad wärmer als an der Referenzstation in Hosterwitz", sagt Franziska Reinfried, die Meteorologin der Stadt.
Doch genau dort, zwischen dem Bahnhof, dem ehemaligen Gleisbogen und der Lößnitzstraße, sollen über 200 neue Wohnungen, Büros und Läden entstehen. Geht es nach den Plänen des Investors, wird die Fläche mit drei Blöcken und einem einzeln stehenden Gebäude weiter versiegelt. Dafür müsste auch ein kleines, wild gewachsenes Wäldchen mit Bäumen und Sträuchern weichen.
Kompromiss finden zwischen Wohnungsbau und Grün
Derzeit wird am Bebauungsplan für das Gebiet gearbeitet. Bis zum 16. Juli konnten Ämter und Anwohner, Vereine und Behörden ihre Hinweise und Kritiken an das Stadtplanungsamt senden. Auch das Umweltamt von Eva Jähnigen (Grüne) hat sich beteiligt. Die Umweltbürgermeisterin ist sicher, dass die Pläne nicht so umgesetzt werden, wie vorgesehen. "Wir haben die Möglichkeit, die Eingriffe zu begrenzen. Es wird einen Kompromiss geben müssen zwischen den Plänen des Investors und dem Erhalt des Grüns."
Klar sei aber auch, dass die Wohnbebauung dort nicht verhindert werden soll. "Unser Ziel ist die kompakte Stadt, die im Innern verdichtet wird, in der aber Grünzüge erhalten werden", sagt Jähnigen. Dennoch weiß sie, dass es nicht nur bei diesem Bauprojekt einen Zwiespalt gibt.
Denn Grün zu erhalten, hat in den besonders von sommerlicher Überwärmung betroffenen warmen Stadtteilen Neu- und Altstadt sowie Pieschen oberste Priorität. Sie alle weisen einen hohen Versiegelungsgrad, kompakte Bebauungsstrukturen und einen geringen Vegetationsanteil auf. In den Nächten kühlt es sich dort kaum ab, weil die Kaltluftzuflüsse behindert und Grünflächen rar sind.
"In Dresden ist der Bedarf an Wohnfläche seit 1990 um ein Drittel gestiegen, nicht nur durch die wachsende Bevölkerung, sondern weil wir alle großzügiger wohnen möchten", sagt Jähnigen. Dieser Bedarf konkurriere ganz extrem mit dem an Grünflächen. "Es geht also um verschiedene Interessen und wir müssen in der Gesellschaft diskutieren, wie wir sie gewichten. Dafür werden Bebauungspläne erstellt, um das abwägen zu können. Zugleich sprechen wir als Stadt mit den Bauherren, dass Spielplätze und Grünanlagen entstehen, deren Flächen wir dann oft erwerben."
Um verlorenes Grün zu kompensieren, müsse verstärkt auch mit Dach- und Fassadenbegrünung gearbeitet werden, sagt die Umweltbürgermeisterin und nennt Beispiele, mit denen die Stadt bei ihren eigenen Bauten vorangeht wie den Kindergarten im Innenhof zwischen Haupt- und Sarrasanistraße. "Aber ich sehe inzwischen auch, dass private Bauherren durchaus wissen, dass die Attraktivität ihrer Wohnungen mit Begleitgrün deutlich höher ist." Auch beim Projekt Bogenviertel, wie das neue Wohngebiet am Neustädter Bahnhof heißen soll, sind Fassadenbegrünungen geplant.

Um Ideen gegen die Überwärmung zu finden, werden die Schwerpunktgebiete Alt- und Neustadt gerade näher unter die Lupe genommen. Vor allem Einrichtungen für Kinder und Jugendliche wie Kitas und Schulen und Seniorenheime wurden mit einer Drohne überflogen, die mithilfe einer Wärmebildkamera die Oberflächentemperaturen gemessen hat. "Es gab zum Beispiel eine Fläche auf dem Schulsportplatz, die sich auf über 60 Grad aufgeheizt hatte", sagt Meteorologin Reinfried. "Sitzbänke einer Schule hatten sogar 65 Grad."
Angesichts der weiter steigenden Anzahl heißer Tage, die alle Berechnungsmodelle voraussagen, müsste schnell reagiert werden. In den kommenden Monaten wird es Gespräche mit den Leitern der Einrichtungen und dem Schulverwaltungsamt geben, um konkrete Maßnahmen gegen die Hitze vorzusehen. "Das kann schon ein Farbwechsel bei den Laufbahnen der Sportanlagen sein."
Im Rahmen eines Modellprojektes mit der Eisenbahner-Wohnungsgenossenschaft und der Hochschule für Wissenschaft und Technik sind in Gorbitz mehrere Wohnhäuser so saniert worden, dass es in den Wohnungen weniger warm wird. Das funktioniert über Jalousien an Ost-, Süd- und Westseite, einem Lüftungswechsel und gedämmten Dächern. In einer zweiten Phase soll ein Planungstool entstehen, mit dem errechnet werden kann, was welche Maßnahmen zur Hitzereduktion bringen. Außerdem arbeitet das Umweltamt eng mit der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft WID zusammen und berät sie zu Dach- und Fassadenbegrünung.
Lieber höher bauen
Wie kühlend große Parkanlagen wie der Große Garten, der Blasewitzer Waldpark, aber auch Friedhöfe und die weitläufigen Elbwiesen auf die Umgebung wirken, ist auf der Klimafunktionskarte gut erkennbar. Im Großen Garten liegt beispielsweise die Temperatur in wolkenlosen Nächten im Mittel um zwei bis drei Grad niedriger als in der bebauten Umgebung.
Laut Meteorologin Reinfried gibt es eine einfache Formel. Werden zehn Prozent einer Fläche versiegelt, steigt die Temperatur um 0,1 Grad. Deshalb sei es immer sinnvoller, in die Höhe statt die Breite zu bauen. Im Falle des geplanten Wohngebietes an der Lößnitzstraße wird die Temperatur wohl mindestens um ein Grad ansteigen, wenn es fertig ist.