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Freital bekommt doch noch würdigen Moment des Gedenkens

Nachdem die Stadt die Kranzniederlegung zum Holocaust-Gedenktag abgesagt hat, hielt ein Bündnis an seiner Veranstaltung fest. Mit versöhnlichem Ausgang.

Von Roland Kaiser
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Am Denkmal Platz des Friedens gedachten zahlreiche Freitaler der Gewaltopfer der NS-Zeit. Dabei wurden auch sechs Schicksale in den Fokus gerückt.
Am Denkmal Platz des Friedens gedachten zahlreiche Freitaler der Gewaltopfer der NS-Zeit. Dabei wurden auch sechs Schicksale in den Fokus gerückt. © Egbert Kamprath

Sechs bewegende Schicksale. Wahllos herausgefischt aus einem Meer von Gewaltopfern. Ob der fünfjährige Adelbert, Robert, der liebende Vater, der sich mit einem Brief für immer von seinem Kind verabschiedet und ihm trotz allem Mut macht, oder die Dresdnerin Anna Erna Agunte - sie alle haben den Nationalsozialismus nicht überlebt. Ihrer gedachten am Sonnabend zahlreiche Freitaler am Denkmal Platz des Friedens.

Einzelne Rosen, darunter viele weiße, die sinnbildlich für den Widerstand gegen den Terror der Nazis stehen, wurden genauso niedergelegt wie Blumengebinde und Kränze. Auch wenn eine Gruppe junger Leute auf der gegenüberliegenden Straßenseite sich offenbar einen Spaß daraus machte, blieb es friedlich an diesem Vormittag.

"Es ist eine besinnliche und würdige Kulisse", sagte der CDU-Stadtverbandschef Christian Fischer, der unabhängig von der von einem linken Parteienbündnis organisierten Gedenkveranstaltung das Mahnmal aufgesucht hatte. Antje Feiks, Landtagsabgeordnete der Linkspartei, erklärte: "Wir sind total glücklich, dass so viele hierhergekommen sind."

Freitaler wollen Demokratie nicht aus den Händen geben

Etwa eine Stunde zuvor waren nach einer Zählung durch die Polizei gut 80 Menschen am SPD-Wahlkreisbüro aufgebrochen, um nach einem Zwischenstopp bei den Bündnisgrünen den Ort des gemeinsamen Gedenkens anzusteuern. Bei beiden Stationen und später auch in den Räumlichkeiten der Linken wurden Teile der Ausstellung "Herzkampf" gezeigt.

Den drei Parteien bot sich eigenen Angaben zufolge keine andere Möglichkeit, als auf diese Weise die Arbeiten des Leipziger Fotografen Martin Neuhof einem breiten Publikum zu zeigen.

Zuvor war die Suche nach Alternativen ins Leere gelaufen. So musste bereits im November die Ausstellung, die damals eigentlich in der Galerie des „Technologie und Gründerzentrums F1“ zu sehen sein sollte, abgesagt werden. Begründet wurde das damit, dass die Satzung des Trägervereins Soziokultur Freital e.V. eine solche Veranstaltung nicht zulasse, da es "parteipolitische Neutralität zu wahren" gelte.

Portraitiert werden Personen, die sich in unterschiedlicher Weise für die Gesellschaft stark machen.

In den Wahlkreisbüros von SPD, Bündnisgrünen und Linkspartei ließ sich eine Ausstellung des Leipziger Fotografen Martin Neuhof besichtigen. Diese ist noch eine Woche lang zu sehen.
In den Wahlkreisbüros von SPD, Bündnisgrünen und Linkspartei ließ sich eine Ausstellung des Leipziger Fotografen Martin Neuhof besichtigen. Diese ist noch eine Woche lang zu sehen. © Egbert Kamprath

Silke Fenger möchte deren Beispiel gern folgen. "Ich will in Freital die Demokratie stärken. Das ist mir vor allem in der jetzigen Zeit ganz, ganz wichtig", antwortete die 50-Jährige auf die Frage, weshalb sie bei eisigem Wind und Temperaturen um vier Grad den Weg zum Domizil der Sozialdemokraten in Kauf genommen hat.

Ihre Tochter Johanna betonte wiederum, dass sie für ihre Zukunft hierhergekommen sei. "Ich mache gerade mein Abitur. Mir ist es wichtig, dass ich in der Demokratie weiterleben kann." Das verbindet die 17 Jahre alte Gymnasiastin auch ein Stück weit mit dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar. "Weil dieser bedeutend ist in der Geschichte."

Peter aus Freital, 31 Jahre alt, will mit seiner Teilnahme in erster Linie Solidarität beweisen. "Damit die Menschen sehen, dass es in einer AfD-Hochburg Widerstand gibt, damit die Leute, die bislang nicht auf die Straße gegangen sind, merken, sie sind nicht allein."

Der 38-jährige Stefan Mielke hat sich davon offenbar inspirieren lassen. Das Entsetzen über die Zusammenkunft in einem Potsdamer Gästehaus, in dem es unter anderem um die "Remigration" von Bevölkerungsschichten gegangen sein soll, habe auch ihn auf die Straße getrieben. Er bezeichnet die Geschehnisse in Brandenburgs Landeshauptstadt als "Wannseekonferenz 2.0".

Lösungsvorschläge für künftiges Gedenken in Freital

Am 20. Januar 1942 hatten sich in einer ebenso geheimen Besprechung in einer Villa am Großen Wannsee in Berlin fünfzehn hochrangige Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung und der SS-Behörden zusammengefunden, um den bereits begonnenen Völkermord an den Juden im Detail zu organisieren und die Zusammenarbeit der beteiligten Instanzen zu koordinieren.

Doch zurück nach Freital. Eigentlich sollte das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in der Großen Kreisstadt anders verlaufen. Nach der massiven Kritik an einer geplanten AfD-Rede hatte Oberbürgermeister Uwe Rumberg (Konservative Mitte) allerdings kurzerhand die Notbremse gezogen und die ursprünglich angesetzte Kranzniederlegung quasi in letzter Minute abgesagt.

Oberbürgermeister Uwe Rumberg hatte nach der abgesagten Kranzniederlegung bereits am Sonnabendmorgen in aller Stille ein Blumengebinde am Mahnmal niedergelegt.
Oberbürgermeister Uwe Rumberg hatte nach der abgesagten Kranzniederlegung bereits am Sonnabendmorgen in aller Stille ein Blumengebinde am Mahnmal niedergelegt. © Egbert Kamprath

Als Grund dafür schob das Stadtoberhaupt unter anderem "diffuse Bedrohungen und Beschimpfungen gegenüber Teilnehmern und auch unbeteiligten Mitarbeitern im Rathaus" vor. Einzelheiten blieb er schuldig. Gerüchte, wonach gewaltbereite Störer nach Freital kommen könnten, sollten sich nicht bestätigen. Die Polizei zeigte sich gut vorbereitet. Sie war mit mehreren Beamten vor Ort und sicherte die Veranstaltung ab.

"Vielleicht sollte die Stadt die Gedenkveranstaltung in Zukunft so organisieren, dass eine neutrale Person oder eine Person des jüdischen Lebens eine Rede hält", unterbreitete die Landtagsabgeordnete der Linkspartei, Antje Feiks, einen Lösungsvorschlag, damit Freital eine Diskussion wie die in den zurückliegenden Tagen fortan erspart bleibt.

Ex-Fraktionschef bemängelt Umgang mit AfD

Hingegen denkt Parteigenosse und Stadtrat Jörg Mumme, dass die Stadtratsentscheidung, wonach im Wechsel jede Stadtratsfraktion das Rederecht im Zuge der Gedenkveranstaltung erhält, zunächst einmal in Ordnung geht.

Allerdings bemerkte er in dem Zusammenhang, dass zuzeiten, als der Beschluss gefasst wurde, der Verfassungsschutz den sächsischen Landesverband der AfD noch nicht als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft hatte.

"Man hätte also in Vorbereitung auf diesen Tag überlegen können, ob das überhaupt umsetzbar ist und wir eventuell eine andere Partei sprechen lassen beziehungsweise der Oberbürgermeister eine Rede hält."

Der Ältestenrat war jedoch jüngst zu dem Ergebnis gelangt, an dem festgelegten Prozedere festzuhalten, was nun dazu führte, dass das Stadtoberhaupt im Stillen und noch vor allen anderen einen Kranz am Denkmal Platz des Friedens niederlegte und die nach dem Austritt von sechs Mandatsträgern dezimierte AfD-Stadtratsfraktion sich dieser Form des Gedenkens anschloss.

Deren einstigen Fraktionschef, Torsten Heger, zitierte daraufhin der Mitteldeutsche Rundfunk mit den Worten, dass es zwar eine tragische Entscheidung sei, die Gedenkveranstaltung abzusagen. "Ich hätte aber nicht gewollt, dass so ein Tag in Chaos und Geschrei versinkt." Insofern könne er die Entscheidung des Oberbürgermeisters nachvollziehen. Allerdings sei er auch entsetzt, "dass die heutige Demokratie es nicht aushält, dass auch wir an so einer Veranstaltung teilnehmen dürfen und dass wir unsere Trauer über die Opfer der widerlichen NS Verbrechen zeigen können".

Umso dankbarer zeigte sich der SPD-Landtagsabgeordnete Albrecht Pallas, dass trotz aller Querelen im Vorfeld mit der Bündnis-Veranstaltung samt Ausstellung verschiedensten Menschen in Freital eine adäquate Alternative geboten werden konnte. "Der Verlauf wird zeigen, dass es eine sehr würdige Veranstaltung wird", sagte der 43-Jährige, noch bevor sich der Tross in Bewegung setzte. Er sollte recht behalten.

Hintergrund: Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Der fünfjährige Adelbert und Anna Erna Agunte erlebten diesen Moment nicht mehr. Für sie und die Millionen anderen Opfer des Nationalsozialismus wird seit 1996 ein bundesweiter Gedenktag abgehalten. Neun Jahre später erklärten die Vereinten Nationen diesen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts.