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Drei Gründe, warum Putin jetzt so siegessicher ist

Gewinne im Donbass, ein starker Rubel und die Unterstützung der Russen: Die Zwischenbilanz der Ukraine-Invasion fällt für Putin recht gut aus. Doch bleibt das auch so?

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Wladimir Putin zeigte sich zuletzt demonstrativ gut gelaunt - wie hier bei einem Treffen der BRICS-Staaten, zu denen neben Russland auch Brasilien, Indien, China und Südafrika zählen. .
Wladimir Putin zeigte sich zuletzt demonstrativ gut gelaunt - wie hier bei einem Treffen der BRICS-Staaten, zu denen neben Russland auch Brasilien, Indien, China und Südafrika zählen. . © Mikhail Metzel/Pool Sputnik Kremlin/dpa

Von Maria Kotsev

Wladimir Putin gibt sich wieder selbstsicher. Seine Zurückhaltung und, wie manche sagten, Ratlosigkeit, die er noch zur Siegesparade am 9. Mai an den Tag legte, scheinen verflogen. Auch die Gerüchte über seinen angeschlagenen Gesundheitszustand verstummten zuletzt.

Am Montag dieser Woche präsentierte er sich anlässlich der Eroberung der ukrainischen Region Luhansk siegesgewiss und gelassen. Die „New York Times“ schreibt, Putin habe seinen „Swagger“ wiedererlangt.

Auffällig ist der neue, alte Gestus des russischen Präsidenten vor allem vor dem Hintergrund der jüngsten Teilerfolge der russischen Armee im Osten der Ukraine. Am Sonntag verkündete das russische Verteidigungsministerium, die lange umkämpfte Stadt Lyssytschansk eingenommen zu haben – sie war die letzte Bastion der ukrainischen Armee in der Region Luhansk. Damit steht die gesamte Oblast unter russischer Kontrolle. Ein Erfolg, den Russland Militärexperten zufolge vor allem durch seine starke Artillerie erzielen konnte.

Putins Tische werden wieder kürzer

Am Montag traf Putin dann seinen Verteidigungsminister Shoigu, der über die Eroberung von Lyssytschansk beim Präsidenten Bericht erstattete. Ein Foto des Treffens zeigt die beiden Männer geradezu demonstrativ an einem kurzen Tisch im Kreml, Putin wirkt konzentriert und ambitioniert.

Putin und sein Verteidigungsminister Shoigu treffen sich nach dem russischen Sieg in Lyssytschansk.
Putin und sein Verteidigungsminister Shoigu treffen sich nach dem russischen Sieg in Lyssytschansk. © Mikhail Klimentyev/POOL SPUTNIK KREMLIN/AP/dpa

„Die Streitkräfte der Russischen Föderation setzen die militärische Spezial-Operation fort“, sagte Shoigu dem Kreml zufolge bei dem Treffen. Am darauffolgenden Tag gehen die Kämpfe in der benachbarten Oblast Donezk weiter.

1. Militärische Erfolge

„Russlands militärische Situation gestaltet sich derzeit deutlich besser als noch im April, die Ukraine ist deutlich in der Defensive und Russlands Truppen machen – wenn auch langsame und verlustreiche – Fortschritte“, sagt Sarah Pagung dem Berliner Tagesspiegel. Die Russland-Expertin und Politikwissenschaftlerin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sieht darin auch einen der Hauptgründe für Putins zuletzt wieder selbstbewussteres Auftreten.

Abbas Gallyamov, politischer Kommentator und ehemaliger Redenschreiber Putins schildert die Perspektive des russischen Präsidenten in der „New York Times“ folgendermaßen: „Der anfängliche Schock ist verflogen und die Dinge haben sich als nicht allzu schlecht herausgestellt.“

Nach der Niederlage im Norden der Ukraine – und der symbolträchtigen Versenkung des Kriegsschiffes Moskwa im Schwarzen Meer – konzentrierte Russland sich auf die Eroberung des Donbass im Osten der Ukraine, der die Regionen Luhansk und Donezk umfasst.

Und obwohl die Armee relativ langsame Fortschritte macht und vor allem dadurch vordringt, indem sie ganze Landstriche in Grund und Boden bombt, kann Putin die Überlegenheit seiner Truppen als Erfolg verkaufen. Zwanzig Prozent des ukrainischen Territoriums hat Russland unter seine Kontrolle gebracht.

Doch die russischen Teilgewinne allein reichen nicht als Erklärung für Putins siegessicheres Auftreten. Eberhard Schneider, Russland-Experte und Politikwissenschaftler an der Universität Koblenz-Landau, sieht in Putins Gestus auch ein Signal an sein Land: „Putin versucht so, den hohen Blutzoll auf russischer Seite zu rechtfertigen. Schätzungen zufolge sterben drei Mal so viele russische Soldaten wie ukrainische.“

Und doch scheine Putin mit der Militärstrategie seines neuen Oberbefehlshabers zufrieden zu sein, sagt der Politikwissenschaftler. Putin tauschte das Personal auf dem Posten innerhalb von zwei Monaten zwei Mal aus.

2. Protest in Russland bleibt aus

Putins autokratisches Regime funktioniert nur, wenn er es schafft, oppositionelle Stimmen zu unterdrücken. Auch das gelingt den russischen Institutionen aktuell gut: Die anfänglichen Anti-Kriegsproteste sind verstummt, das brutale Einschreiten der russischen Polizei unterband weitestgehend neue Proteste.

Doch nicht nur auf den Straßen Russlands sollen unliebsame Stimmen verstummen: Die Internetzensur in Russland wird immer ausgefeilter. Die russische Zensurbehörde Roskomnadzor hat mithilfe spezieller Technologie in den vergangenen Jahren Wege gefunden, Websites und VPNs zuverlässig zu blockieren.

Und die Abschottung funktioniert: Wie Umfragen des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada zeigen, hat ab Kriegsbeginn das Vertrauen der Bevölkerung in Internetquellen und Soziale Medien abgenommen, das in das Staatsfernsehen allerdings zugenommen.

Die Polizei nimmt kurz nach Beginn des Krieges einen Demonstranten in St. Petersburg fest.
Die Polizei nimmt kurz nach Beginn des Krieges einen Demonstranten in St. Petersburg fest. © Dmitri Lovetsky/AP/dpa

Seit Ende April hat sich der Trend zwar nicht weiter verstärkt, dennoch ist die Schere deutlich: 52 Prozent der Teilnehmenden gaben an, den Informationen im Staatsfernsehen am meisten zu vertrauen und lediglich 17 Prozent vertrauten Online-Quellen.

Zudem verlieren die blockierten Sozialen Netzwerke, wie Twitter, Facebook und Instagram, seit März immer mehr User:innen. Dabei sind Youtube-Formate unabhängiger Journalisten oder Oppositioneller wie Alexej Nawalny und Posts bei Social Media häufig die einzigen Quellen, wo nicht-kremltreue Informationen zu bekommen sind. Der gezielte Entzug von Informationen über den Krieg in der Ukraine und effektive, stetige Propaganda macht ein Massenprotest-Szenario, wie es noch 2011 und 2012 möglich war, immer unwahrscheinlicher.

3. Sanktionen treffen Russland weniger hart als erwartet

Und auch die westlichen Sanktionen treffen Russland – vorerst – nicht so stark, wie befürchtet. Ziel der Strafmaßnahmen ist es, Russlands Wirtschaft mittel- und langfristig einzuschränken und das Land zu isolieren.

Und doch hat der russische Rubel sich nach dem ersten Einbruch zu Kriegsbeginn erholt. Die russische Zentralbank korrigierte ihre Inflationsprognose für das Jahr 2022 von 18 bis 23 Prozent auf 14 bis 17 Prozent. Zu verdanken hat die russische Wirtschaft das der Leiterin der russischen Zentralbank, Elvira Nabiullina, die durch Zinserhöhungen und Kapitalkontrollen den Rubel stabilisierte.

Mittlerweile senkte die Zentralbank den Leitzins sukzessive auf Vorkriegsniveau. Auch das kann Putin als Erfolg verkaufen – und so behaupten, dass die westlichen Sanktionen Russland gar nicht so hart treffen würden. Vergangene Woche sagte er, er sei das Ziel des Westens gewesen, „die russische Ökonomie brutal zum Einsturz zu bringen.“ Und weiter: „Das haben sie nicht geschafft. Es ist nicht passiert.“

Elvira Nabiullina, Leiterin der russischen Zentralbank hat sich die Stabilisierung des Rubel zur Aufgabe gemacht.
Elvira Nabiullina, Leiterin der russischen Zentralbank hat sich die Stabilisierung des Rubel zur Aufgabe gemacht. © Archivbild: Valery Sharifulin/POOL TASS/AP/dpa

Vordergründig scheint es sogar, als hätte Deutschland dabei geholfen, den Rubel zu stabilisieren. Russland bestand darauf, Gas und Öl nur noch in Rubel bezahlt zu bekommen. Zwar kommt Deutschland dieser Forderung nur über Umwege nach - und doch ist der Effekt sichtbar: Denn Deutschland zahlt die Energielieferungen in Euro an die Gazprombank. Die wandelt das Geld sofort in Rubel um. Durch den Umtausch scheint es, als bestehe eine hohe Nachfrage nach Rubel. Und sein Wert steigt.

Das Ausbleiben eines Wirtschaftszusammenbruchs, wie viele Russen ihn zu Beginn des Krieges befürchtet hatten, hat auch die Angst der Bevölkerung vor westlichen Sanktionen gelindert. Lewada fand heraus, dass im Mai 29 Prozent der Befragten angaben, überhaupt nicht besorgt über Sanktionen zu sein. Im März waren es noch 23 Prozent. Der Anteil derer, der „ziemlich besorgt“ ist, sank zudem: Von 27 Prozent im März auf 21 Prozent im Mai.

Doch nur, weil das Worstcase-Szenario ausblieb, heißt es nicht, dass die Sanktionen Russland nicht schaden könnten: Durch die Importverbote kann Russland wenige Waren und Güter, die besonders für die Rüstungsindustrie, den IT-Sektor oder die ganz simple Herstellung von Papier nötig sind, kaufen.

Die Engpässe führen zu Ausfällen in der Industrie, langfristig zu Arbeitslosigkeit. Der starke Rubel ist in diesem Fall von geringem Nutzen, da er nicht ausgegeben werden kann. Der Abzug westlicher Firmen und der damit einhergehende Braindrain, besonders im IT-Sektor, wird Russland mittelfristig spüren.

Dies ist einer von vielen Faktoren, die daraufhin deuten, dass Putins Optimismus möglicherweise nur von kurzer Dauer sein könnte.

Denn auch die militärische Lage in der Ukraine ist volatil: Die Front, an der Russland kämpft, ist lang und schwer zu halten. Und sollte die Ukraine in absehbarer Zeit mehr schwere Waffen aus westlichen Ländern geliefert bekommen, könnte die russische Kontrolle über Luhansk auf der Kippe stehen. Und damit auch Putins imperialistischer Traum.

Will Putin weiterhin die gesamte Ukraine einnehmen?

Doch wie soll es weitergehen? Gibt Putin sich mit dem Donbass zufrieden und steht nun kurz vor dem Ziel?

Russland-Expertin Sarah Pagung sagt, dass Putins Ziel es zwar weiterhin sei, die gesamte Ukraine zu kontrollieren. „Doch dafür muss Russland nicht das gesamte Territorium einnehmen. Vielmehr soll die Ukraine als souveräne Nation verhindert werden.“ Dafür reiche es auch, das Land zu zermürben und zu destabilisieren – etwa, indem Russland wichtige Industrieregionen wie den Donbass kontrolliert. Solange die Ukraine über nicht genügend Artillerie verfügt, um zum Gegenschlag ausholen zu können, ist dieses Szenario das wahrscheinlichste.

In Putins Stärkedemonstrationen finde sich allerdings ein Widerspruch, findet Sarah Pagung: „Einerseits zeichnet er ein starkes Russland, dem niemand etwas anhaben kann. Andererseits wird der Westen und die Ukraine als große Bedrohung dargestellt.“

Beide Narrative haben unterschiedliche Funktionen nach innen und außen: Russlands vermeintliche Stärke soll den Westen einschüchtern, aber auch die Bevölkerung auf Linie halten. Den Westen als Bedrohung zu zeichnen, soll Putins imperialistische Ambitionen legitimieren. Und der Bevölkerung stets vor Augen führen, weshalb Russland die „Spezialoperation“ in der Ukraine durchführt.