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"Iranische Frauen haben gelernt, zu kämpfen"

Die in Deutschland lebende iranische Wissenschaftlerin Marzieh Nasiri ist sicher: Das Terror-Regime der Mullahs wird untergehen. Ein Interview.

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Überall wie hier im türkischen Ankara kommt es zu Solidaritätskundgebungen mit den Rebellinnen im Iran.
Überall wie hier im türkischen Ankara kommt es zu Solidaritätskundgebungen mit den Rebellinnen im Iran. © AP

Der gewaltsame Tod von Mahsa Amini durch die Sittenpolizei wegen eines zu locker sitzenden Kopftuchs hat im Iran landesweit Demonstrationen ausgelöst. Auch von Deutschland aus unterstützen iranische Frauen wie Marzieh Nasiri, die in Düsseldorf an ihrer Doktorarbeit über Immanuel Kant schreibt, die Proteste gegen das Terrorregime der Mullahs. Wir sprachen mit der Aktivistin und Fußballschiedsrichterin über den Kopftuchzwang, die Brutalität des Regimes und Frauenfußball.

Mutige Iranerinnen protestieren gerade gegen den Kopftuch- und Hijab-Zwang und die Unterdrückung in ihrer Heimat. Haben die Menschen eine Chance, das Regime zu verdrängen?

Die Menschen im Iran kämpfen seit Jahren für die Freiheit, insbesondere die Kampagnen gegen den Hijab-Zwang laufen seit Jahren. Es gibt eine lange Liste von Frauen, die wegen ihrer Beteiligung daran im Gefängnis sitzen. Zwei dieser Mädchen kamen sogar zusammen mit ihrer Mutter, die sie begleitete, in Haft. Aber dieses Mal hat die Welt unsere Stimme gehört, und deshalb denken die Menschen im Iran, dass dies ihre letzte Chance sein könnte, das Regime zu stürzen. Weil die Welt zuschaut und die Mullahs nicht wie in der Vergangenheit Tausende töten können.

Schüler rufen zum Streik auf. Personen des öffentlichen Lebens verkünden, dass sie nicht weiter unter den Regeln des Staates arbeiten wollen. Wie groß ist die Unzufriedenheit tatsächlich?

Die Mehrheit der Menschen ist unglücklich und unzufrieden. Sie haben seit Jahren keine Hoffnung auf eine Reform dieses Regimes und sind sich sicher, dass es nicht möglich ist, ein faschistisches System zu reformieren. Bijan Djir-Sarai, der Generalsekretär der FDP, hat mit klaren Worten gesagt, dass die Menschen im Iran nur die Abschaffung der Islamischen Republik fordern. Ich bin sehr optimistisch, dass es zum Sturz des Regimes kommt. Vielleicht nicht sofort, aber es wird definitiv passieren.

Es ist bekannt, dass das Regime nicht davor zurückschreckt, auf Kinder und Jugendliche zu schießen. Wie groß ist Ihre Angst, dass sich das wiederholen könnte?

Das Regime zögerte nie, Kinder zu töten. Es ist jetzt wieder dasselbe, sie schießen unkontrolliert auf Demonstrierende, und es ist ihnen egal, wer dabei getötet wird. Dass die Zahl der Todesopfer noch nicht Tausende erreicht hat, liegt nicht an der Toleranz des Regimes, sondern daran, dass die Welt jetzt zuschaut und die Stimme des iranischen Volkes gehört wird.

Marzieh Nasiri studierte im Iran, ging dann aber nach Deutschland, weil sie hier freier forschen kann. In ihrer Heimat sind viele philosophische Bücher verboten.
Marzieh Nasiri studierte im Iran, ging dann aber nach Deutschland, weil sie hier freier forschen kann. In ihrer Heimat sind viele philosophische Bücher verboten. © Sabine Göttel

Wurden Sie im Iran früher selbst schon von der Sittenpolizei festgenommen?

Ja, ich wurde zweimal verhaftet. Einmal, weil sie meinten, meine Kleidung sei nicht islamisch, und einmal, weil sie ein junges Mädchen schlugen, und ich protestierte.

Die 22-jährige Mahsa Amini wurde von der Sittenpolizei totgeschlagen, weil man angeblich ihr Haar unter dem Hijab sehen konnte. Warum haben die ultrareligiösen Mullahs überhaupt ein Problem damit?

Weil die Mullahs Frauen keine Rechte zusprechen, wollen sie beweisen, dass das offensichtlichste Recht der Frauen, nämlich das Recht, ihre Kleidung zu wählen und ihren Körper zu besitzen, in den Händen des Islam liegt. Wenn die Mullahs Frauen die offensichtlichsten Rechte verweigern, ist es selbstverständlich, dass sie auch ihre anderen Rechte leicht übernehmen können.

Für manche muslimischen Frauen in Deutschland ist das Kopftuch Ausdruck ihrer Freiheit, für andere ein Ausdruck von Unterdrückung. Wie sehen Sie das?

Ich konnte nie verstehen, wie der Hijab ein Zeichen von Freiheit sein kann. In islamischen Familien und islamischen Regierungen müssen Mädchen ab neun Jahren ein Kopftuch tragen. Was hat Pflicht mit Recht und Freiheit zu tun? Ein Kopftuch zu tragen bedeutet im Grunde, dass Sie nicht das Recht haben, Ihre eigene Kleidung zu wählen, weil der Islam sie bereits für Sie ausgewählt hat. Wenn die Seele eines kleinen Mädchens ab dem neunten Lebensjahr Angst vor Sünde und Hölle hat und es deshalb einen Hijab auf dem Kopf trägt, weiß ich nicht, wie das ein Zeichen für die Entscheidungsfreiheit von Frauen sein kann. Ich verstehe die deutsche Außenministerin ehrlich gesagt auch nicht als Feministin. In einer Rede sagte sie, dass „die Ereignisse im Iran nichts, aber gar nichts mit dem Islam zu tun haben“. Ob sie sich die Verse der Sura an-Nisā‘ über Frauen einmal durchgelesen hat? Es gibt ein seltsames Paradoxon zwischen dem Feminismus und der Aussage, dass die Ereignisse im Iran nichts mit dem Islam zu tun haben.

Werden Männer wirklich erregt durch den Anblick von Haaren – und werden Frauen mit Kopftuch nicht von Männern belästigt?

Wenn es so wäre, würden die iranischen Männer nicht neben den Frauen auf den Straßen des Landes schreien: „Frauen, Leben, Freiheit!“ Iranische Männer – natürlich keine muslimischen, die die Regierung unterstützen – glauben: Wenn der Iran frei wird, werden Frauen frei sein und ihre Menschenrechte anerkannt. Wir erleben gerade eine sehr fortschrittliche Bewegung im Iran.

Auf einer Hamburger Demonstration tragen Iranerinnen und Iraner Flaggen und Bilder der jungen Mahsa Amini, die von iranischen "Revolutionswächtern" zu Tode geprügelt worden war, offenbar weil unter dem Hijab ihr Haar hervorschaute.
Auf einer Hamburger Demonstration tragen Iranerinnen und Iraner Flaggen und Bilder der jungen Mahsa Amini, die von iranischen "Revolutionswächtern" zu Tode geprügelt worden war, offenbar weil unter dem Hijab ihr Haar hervorschaute. © BREUEL-BILD/CNTV

Weil sie in New York kein Kopftuch tragen wollte, sagte Irans Präsident Ebrahim Raisi ein Interview mit der Journalistin Christiane Amanpour ab. Gilt das Kopftuch als Ausdruck von Respekt?

Respekt vor wem? Vor jemandem, der keine Rechte für Frauen vorgesehen hat? Iranische Frauen wurden vor der islamischen Revolution nicht gezwungen, Kopftücher zu tragen. Nur muslimische Frauen trugen Hijab, daher ist das Kopftuch in unserer Kultur kein Zeichen des Respekts, es ist obligatorisch.

Sie waren im Iran Frauenfußball-Schiedsrichterin. Wie kam es dazu?

2016 erhielt ich ein Studienvisum für Deutschland. Davor habe ich in Teheran acht Jahre lang als beim Fußballverband gearbeitet. Als ich ein Teenager war, spielte ich zusammen mit meiner jüngeren Schwester und anderen Mädchen Fußball in einem Verein in Teheran. Wir waren nach der Islamischen Revolution die einzige Frauenfußballmannschaft im Iran. Später wurden weitere Frauenteams gebildet sowie die Liga und die Nationalmannschaft. Meine Schwester und ich nahmen an Fußballschiedsrichter-Kursen teil, bekamen ein Schiedsrichterzertifikat und ich wurde beim iranischen Fußballverband angestellt. Vor 15 Jahren war ich als Vertreterin des Fußballverbandes mit der Frauen-Jugend-Nationalmannschaft beim Asienturnier in Bangladesch und wir haben dort die Meisterschaft gewonnen.

Ist Frauenfußball wirklich ein Zeichen von Freiheit?

Die Regierung spielt jedes Mal Theater. Sie lässt Frauen Fußball spielen, um der Welt zu sagen, dass Frauen im Iran frei sind. In Wirklichkeit tun sie dies, um ein Fußballverbot zu vermeiden. Frauen haben weder auf dem Fußballplatz, noch am Arbeitsplatz oder auf der Straße die Freiheit, ihre eigene Kleidung zu wählen. Von daher ist ihr Fußballspielen kein Zeichen der Freiheit, sondern eine politische Täuschung des Regimes. Letztes Jahr wurde das Match Iran gegen Syrien im Azadi-Stadion im Iran ausgetragen. Syrische Frauen betraten das Stadion und iranische Frauen mussten vor der Tür bleiben. Der Name des Stadions ist aber Azadi, das bedeutet Freiheit!

Warum wollten Sie unbedingt Schiedsrichterin werden?

Wir iranischen Frauen haben gelernt, immer zu kämpfen. Wenn die Regierung sagt, wir dürfen nicht Fußball spielen, versuchen wir es trotzdem irgendwie. Jetzt hat das Regime unter anderem Fußballspieler, Demonstrantinnen, Sänger, Schauspielerinnen und Aktivisten verhaftet, um die Menschen zu verängstigen, aber die finden jeden Tag eine neue Art, zu kämpfen.

Das Gespräch führte Olaf Neumann