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Kanzler Kurz und schmerzvoll: Österreichs ewige Tragödie

Anmerkungen eines Dresdner Ex-Stadtschreibers und gelernten Untertanen von Austria zur operettenhaften Tragikomödie seiner Heimat.

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Über seine eigenen Niedertracht gestürzt? Ex-Kanzler Sebastian Kurz.
Über seine eigenen Niedertracht gestürzt? Ex-Kanzler Sebastian Kurz. © www.picturedesk.com

Von Franzobel

Zustände sind das in Österreich, Zustände, um Zustände zu kriegen. Eben erst hat der FPÖ-Mann HC Strache im Ibiza-Skandal-Video davon gesprochen, eine Zeitung zu kaufen und die Wasserreserven des Landes verscherbeln zu wollen, schon gerät der als Messias gefeierte Kanzler Sebastian Kurz ins Zwielicht. Er wird verdächtigt, Medienberichterstattung gekauft zu haben. Als gelernter Österreicher ist man mit Skandalen gut versorgt, und eigentlich wundert einen gar nichts mehr. Das liegt einerseits an der hiesigen Mentalität, die dem Menschen alles zutraut und dem Österreicher noch mehr, andererseits an der Flut politischer Affären, die den Spielplan der Operettenrepublik jahrelang gut gefüllt hat.

Vor Kurzem ist der ehemalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser (noch nicht rechtskräftig) zu acht Jahren bedingter Haft verurteilt worden, weil er beim Verkauf von Bundes-Immobilien eine Provision kassiert haben soll. Unlängst wurde der EU-Politiker Ernst Strasser wegen Bestechlichkeit schuldig gesprochen. Dann der Skandal um den Ankauf neuer Abfangjäger und einen Hypo-Adria-Bank-Eklat, der die Republik Milliarden gekostet hat, was die Österreicher aber weit weniger gewurmt hat als die vergleichsweise läppischen Kosten für Flüchtlinge.

Liegt es daran, dass der Österreicher sich selbst misstraut?

Von der sich in ihrem Selbstverständnis als legitime Nachfolgerin des Kaiser begreifenden christlichen Volkspartei ÖVP wurden im Kontext des Ibiza-Skandals Festplatten geschreddert – durchgeführt von einem unter falschem Namen agierenden Mitarbeiter des Bundeskanzleramts. Für einen engen Vertrauten des Kanzlers wurde extra ein hoch dotierter Posten geschaffen, ein anderer konnte sich plötzlich nicht mehr erinnern, einen Laptop besessen zu haben.

Die Arbeits- und Familienministerin trat wegen Plagiatsvorwürfen zurück, der Finanzminister verweigerte die Herausgabe von Akten, der Kanzler himself wurde der falschen Zeugenaussage bezichtigt und vieles mehr. Das alles scheint die Österreicher kaum zu stören, und anderswo frägt man sich, wie so etwas möglich ist. Liegt es am Katholizismus, hat es mit einer vom Balkan beeinflussten Wurstigkeit zu tun, oder liegt es daran, dass der Österreicher allem misstraut, der Obrigkeit, der Wahrheit und nicht zuletzt sich selbst?

Der homo corruptus als eigener Menschenschlag

In Deutschland würde man sich eher die Hand abhacken, bevor man eine weiße Flasche in den Sammelbehälter für Buntglas würfe. In Österreich geht man davon aus, dass man schon nicht erwischt werden wird. Der Austriake ist ein Gauner, der es sich zu richten versteht, charmant und überzeugt, dass bei ihm alles als Kavaliersdelikt durchgeht. Das macht das Land sympathisch, weil es Hintertüren gibt, irgendwie vieles möglich ist. Der Österreicher ist ein Fleißlinger und egal, wohin man schaut vom Bregenzer Wald bis in die pannonische Tiefebene, überall stehen protzige Häuser, gibt es sagenhaft gute Restaurants, innovative Betriebe, Handwerker, die sich ihrer Tradition besinnen, und Bauern, denen das Wohl der Natur am Herzen liegt. Großartige Weine, Biofleisch, moderne Trachten, eine Fülle an Kulturveranstaltungen und vieles mehr.

Es ist also keineswegs so, dass das Land im Sumpf versinkt. Und doch ist Österreich speziell, fehlt den Leuten jegliches Unrechtsbewusstsein und leben die meisten nach dem Motto: Wer gut schmiert, der fährt gut. Das hat einen eigenen Menschenschlag hervorgebracht, den homo corruptus. Es beginnt bei kleinen Gemeinden, wo Aufträge nach Absprachen vergeben werden, man im Gegenzug der Tochter des Bürgermeisters einen Pool baut, geht über eine proporzgeregelte Postenvergabe und zieht sich augenscheinlich bis in die Spitzen der Politik.

Österreich hat sich schon als erstes Opfer Hitlers dargestellt

Wenn jemand auffliegt, ist die Verteidigung immer eine sofortige Täter-Opfer-Umkehr. Das war beim einstigen Präsidenten Kurt Waldheim so, der trotz NS-Vergangenheit gewählt worden ist, weil man sich vom Ausland nichts vorschreiben lassen wollte. HC Strache sah sich als Opfer einer Intrige und hat sich gegenüber Frau und Wählern damit gerechtfertigt, dass er „nur“ die hübsche Russin beeindrucken wollte. Kanzler Kurz sieht nicht ein, warum er an allem schuld sein soll, beteuert aber, sich in seinem Leben nie bereichert zu haben.

Eine sonderbare Feststellung, bedeutet Bereicherung doch Entwicklung, Fortschritt, Weiterkommen. Er hätte auch sagen können, sich nie illegal bereichert zu haben, hat er aber nicht. Die Strategie des Abstreitens und sich an nichts mehr zu erinnern, wie sie der Kanzler praktiziert, ist nicht neu, sondern tief verwurzelt in der heimischen DNA. Österreich hat es geschafft, sich als erstes Opfer Hitlers darzustellen. Hier wird nichts wirklich ernst genommen, ist alles Bühne für eine immer tragisch endende Groteske.

Kurz hat das Pech, dass seine Intrigen beweisbar sind

Mich haben die aktuellen Szenen, die Vorwürfe gegen Sebastian Kurz, keineswegs überrascht. Im Gegenteil, ich bin immer davon ausgegangen, dass der Kauf einer gewogenen Berichterstattung mittels Inseratenschaltung gang und gäbe ist. Dass die Gelegenheit zur Hinterfragung hoher Parteienfinanzierung, welche solche Inseratenkampagnen erst ermöglicht, nun ungenützt verstreichen wird, steht zu befürchten. Bei allem, was dem türkisen Heiland vorgeworfen wird, ist die Beeinflussung von Umfragen – übrigens in einer Zeitung, dessen Herausgeber sich wegen ungustiösem Sexismus zu verantworten hat – ein beinahe harmloses Delikt.

Ich gehe davon aus, solche Absprachen haben immer wieder stattgefunden. Sebastian Kurz hat nur das Pech, dass seine Intrigen in Ansätzen beweisbar sind. Dass er ausgerechnet über Kurznachrichten stolpert, wird als Treppenwitz in die Geschichte eingehen. Die Schmierenkomödie auf die Bühne gebracht hat Thomas Schmid, jener Ministeriumsmitarbeiter und Kurz-Vertraute, für den extra ein hoch dotierter Posten geschaffen worden ist. Dieser Thomas Schmid hat nicht nur die Ausschreibung auf sich selbst zugeschnitten, sondern auch den Aufsichtsrat, der ihn später bestellt hat, einberufen.

Fortkommen ist alles, das Wohl des Staates nichts dagegen

Nachdem er im Zuge der Casinos-Affäre, auch hier geht es um Bestechlichkeit und illegale Absprachen, ins Visier der Justiz geraten ist, hat er sämtliche inkriminierenden Chatverläufe gelöscht, ohne zu ahnen, dass sein Computer automatisch Backups erstellt hat. Und diese Sicherungsdateien werden nun, quasi als Pointe dieser Provinzposse, der immer mit Sicherheit werbenden türkisen Seilschaft zum Verhängnis. Peu à peu tauchen neue Kurznachrichten auf, die das wahre Drama der Sittentragödie erahnen lassen.

In den jüngst veröffentlichten SMS-Verläufen bezeichnet der Kanzler seinen Vorgänger als „Arsch“, fordert ein „Aufhetzen“ und vermittelt den Eindruck, dass ihm sein Fortkommen alles, das Wohl des Staates aber nichts ist. Auch Thomas Schmid, der sich von seinem Kanzler gerne mit Bussi verabschiedet, ist in der Wortwahl entlarvend ehrlich. Menschen, die Holzklasse fliegen, bezeichnet er als Pöbel, Beamte als Tiere. Was für ein Bild. Verheerend und beschämend.

Man sieht in jungen Politikern gerne etwas Messianisches

Natürlich sind Korruption, Nepotismus, illegale Parteienfinanzierung und die Verdinglichung des Staates zum Selbstbedienungsladen für einen Bundeskanzler untragbar. Dass der lange gefeierte Hauptdarsteller Kurz sich immer als superehrlicher Saubermann präsentiert hat, erscheint nun doppelt unanständig. Bei Strache war immer klar, er ist ein böser Antipode, aber Sebastian Kurz hat die gesellschaftliche Mitte verkörpert. Der Kanzler ist als Wolf im Lammpelz aufgetreten, der zwar unbarmherzig gegen Flüchtlinge gefletscht hat, den Österreichern aber immer den auf Staatsmann gepolten Schwiegersohn vorspielen wollte. Hierzulande liebt man es, in jungen telegenen Politikern etwas Messianisches zu sehen – Haider, Grasser, Kurz.

Noch mehr Gefallen aber hat man daran, dem vermeintlichen Heilsbringer beim Fallen zuzusehen. Hauptsache gute Unterhaltung. Über das türkise Netzwerk kursieren schon länger unschöne Gerüchte. So soll der Kanzler für die Demontage einiger unliebsamer Journalisten verantwortlich sein, auch dem erwarteten Kind, Kurz ist ja werdender Vater, wird unterstellt, weniger Frucht der Liebe, mehr Produkt einer Medienkampagne zu sein.

Als machtbesessener Intrigant entlarvt

Dass sich solch hässliche Klatschgeschichten hartnäckig halten, sagt einiges über den Kanzler. Man traut ihm alles zu.Wenn die Seilschaft Kurz nun am Abgrund steht oder bereits fällt, wird das von den Österreichern mit einem wohligen Schauer leichter Schadenfreude wahrgenommen. Und doch hat kaum jemand Hoffnung auf Trockenlegung des Korruptionssumpfes, zu tief sitzt das Misstrauen im jahrzehntelang von Proporz und Freunderlwirtschaft beackerten Boden. Ein als machtbesessener Intrigant entlarvter Kurz wird nicht zu halten sein.

Die Aussicht auf Besserung ist trüb, zu omnipräsent ist der homo corruptus. Und für Politiker vom Typus einer Elke Kahr, die für soziales Engagement geliebt und – wie unlängst in Graz – gewählt werden, obwohl sie für eine gefürchtete Partei, die Kommunisten, antreten, gibt es auf der Bühne Österreich bestenfalls Statistenrollen. Zustände sind das, bei denen man Zustände kriegen kann. Aber, so ehrlich muss man sein, unterhaltsam sind sie schon.

Unser Autor ist Schriftsteller. 2020 war Franzobel Dresdner Stadtschreiber. Er lebt abwechselnd in Wien, Pichlwang und Orth an der Donau