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NRW-Ministerpräsident Wüst: „Es ist Zeit für einen Einigungsvertrag 2.0“

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst kommt an diesem Dienstag zur Kabinettssitzung mit der sächsischen Regierung. Der CDU-Mann aus dem Westen wünscht sich den Geist des „runden Tisches“ zurück.

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Der  Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU), ist an diesem Dienstag in Leipzig zu Gast.
Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU), ist an diesem Dienstag in Leipzig zu Gast. © Sebastian Christoph Gollnow/dpa +

Herr Wüst, im Osten Deutschlands hat bei der Europawahl die AfD flächendeckend die Mehrheit errungen. Wie erklären Sie sich das?

Die Gelegenheitsstrukturen für Wahlerfolge der AfD sind in den Neuen Ländern besser als in Westdeutschland, das sehen wir seit Jahren. Das allein erklärt ihren diesmaligen Erfolg aber nicht. Zur Wahrheit gehört auch, dass viele Wählerinnen und Wähler die Europawahl genutzt haben, um den Ampel-Parteien einen Denkzettel zu verpassen – und den rechtsextremen Charakter der AfD dabei offenbar billigend in Kauf genommen haben. Dass sich die Bundesregierung seit Jahren im Streit verliert und bei zentralen politischen Fragen, ich denke da zum Beispiel an das Thema Steuerung und Ordnung der Migration, handlungsunfähig erscheint, ist sicher ein großer Teil des Problems.

In ganz Europa ist ein Aufschwung der nationalen, populistischen und extremen Parteien von rechts zu beobachten. Sollte die Union eine Zusammenarbeit mit diesen Parteien vermeiden?

Es bleibt dabei: Eine Zusammenarbeit der Union mit der AfD wird es nicht geben – nicht in Nordrhein-Westfalen, nicht im Bund und auch nicht auf europäischer Ebene. Wir können das Haus Europa nicht gemeinsam mit denen bauen, die seine Fundamente einreißen wollen.

Wie groß ist Ihre Sorge um die Entwicklung beim Nachbarn Frankreich?

Der Erfolg des Rassemblement National hatte sich abgezeichnet und kommt sicher nicht ganz überraschend. Die Entscheidung des französischen Präsidenten für Neuwahlen schon eher. Ich glaube fest daran, dass Emmanuel Macron bei den Neuwahlen die proeuropäische und demokratische Mehrheit der Franzosen mobilisieren kann. In meinen jüngsten Gesprächen mit dem französischen Präsidenten habe ich einen Mann erlebt, der für sein Heimatland und das europäische Friedensprojekt brennt. Er hat eine beeindruckend klare Vision von einem modernen Frankreich und einer zukunftsfähigen Europäischen Union. Das stimmt mich zuversichtlich für die deutsch-französische Partnerschaft und die kommende Wahl zur Nationalversammlung.

Sie treffen an diesem Dienstag mit Sachsens Ministerpräsidenten Kretschmer zur gemeinsamen Kabinettssitzung zusammen. Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist immer wieder eine Frage zwischen Ost und West. Sehen Sie den Westen mehr als bisher in der Pflicht, dazu beizutragen, dass wieder zusammenwächst, was sich nach den Jahren der Freude über die Einheit auseinandergelebt hat?

Es ist Zeit für einen Einigungsvertrag 2.0, der neben der formalen Einheit auch die Menschen besser zusammenbringt – für stärkeres Vertrauen und Zusammenhalt zwischen Ost und West.

Ein verschriftlichter Vertrag?

Es geht vielmehr darum, eine Reihe von Projekten zu vereinbaren – zum Beispiel, dass man junge Menschen aus Ost und West stärker zusammenzubringt. Denn Austausch schafft Vertrauen und öffnet Perspektiven für mehr Verständnis untereinander.

Was schwebt Ihnen vor – eine Art deutsch-deutscher kultureller Austausch?

Ja, durchaus. Es geht zum Beispiel um einen Austausch, wie wir ihn von europäischen Städtepartnerschaften kennen. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen aus Nordrhein-Westfalen noch nie in den – gar nicht mehr so – neuen Ländern gewesen sind. Mancher kennt sich auf Mallorca besser aus als in Sachsen oder Thüringen. Umso mehr ist es den Versuch wert, die Menschen wieder stärker zusammenzubringen. Ich bin im Jahr 1989 sozialisiert worden. Mich haben die Montagsdemos politisch emotionalisiert. Ich war zunächst eher ein Anhänger des SPD-Politikers Björn Engholm. Erst über die Wiedervereinigung und Helmut Kohls Einheitspolitik hat mein politisches Denken damals eine Richtung bekommen. Insofern habe ich eine tiefe emotionale Bindung zu den Menschen, die damals für die Freiheit gekämpft haben. Ohne diese Zeit und ohne diese historische Leistung der Menschen in der DDR gäbe es heute keinen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst.

  • Mehr als 23.000 Menschen aus Sachsen haben an der Umfrage von Sächsischer Zeitung und Leipziger Volkszeitung teilgenommen. Entwickelt und ausgewertet wurde der Sachsen-Kompass unter wissenschaftlicher Begleitung und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher". Dabei wurde darauf geachtet, dass die Ergebnisse belastbar sind. Wo es aus kleinen Orten/Stadtteilen nicht ausreichend Antworten für belastbare Aussagen auf Gemeinde-/Stadtteilebene gab, wurden Nachbargemeinden teils gemeinsam ausgewertet. Alle Ergebnisse finden Sie auf saechsische.de/sachsenkompass

Der Befund hinter Ihrer Forderung ist ja, dass sich Ost- und Westdeutschland mindestens so fremd sind, wie sich die Völker verschiedener europäischer Nationen fremd sind.

Wir haben bereits heute vieles gemeinsam. Und dennoch wird mir immer noch viel zu viel von Ost und West gesprochen. Mein Vorschlag: Kommt zusammen! Wie kommen Ost und West wieder zusammen? Die Wendezeit war geprägt von der Idee des runden Tischs: Damals kamen sehr unterschiedliche Menschen zusammen mit dem einen Ziel, an einer besseren demokratischen Zukunft zu arbeiten. Wenn ich unsere Gesellschaft heute betrachte – Ost wie West – dann wünsche ich mir dieses offene Aufeinanderzugehen im Gespräch zurück; sich an einen Tisch zu setzen, anstatt sich aus der Ferne anzubrüllen. Denn: Es ist wichtig, sich auch mit Menschen auseinandersetzen, deren Meinung man nicht teilt. Es ist übrigens ein starkes Signal von Michael Kretschmer, dass er sich allen Debatten stellt.

Nach der Mordtat von Mannheim haben Sie gesagt, die politische Mitte müsse nun handeln. Wie meinen Sie das konkret?

Diese schreckliche Tat wühlt sehr viele Menschen auf, auch mich persönlich. Fest steht: Es gibt keine schnellen und einfachen Antworten. Man darf es aber auch nicht bei Betroffenheitsbekundungen belassen. Die Dinge müssen klar benannt werden.

So weit sind wir ja inzwischen, dass das getan wird . . .

Mein Eindruck ist das nicht. Es handelt sich um religiös motivierten Terror. Das muss man auch klar so sagen. Der Kanzler hat angekündigt, dass auch Abschiebungen nach Afghanistan möglich sein sollen. Ich hoffe, er lässt seinen Worten jetzt Taten folgen. Ich habe die Erwartung, dass der Kanzler spätestens, wenn die Ministerpräsidenten am 20. Juni mit ihm zusammenkommen, darlegt, wie diese Abschiebungen jetzt umgesetzt werden.

Sie sprachen auch von Ableitungen – das klingt nach konkreten Maßnahmen. Welche sollen das sein?

Nur ein Beispiel: Die Ampel hat es zu leicht gemacht, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Tat von Mannheim und auch angesichts des nach dem 7. Oktober sichtbar gewordenen Hasses auf Israel und den Antisemitismus muss dieses Gesetz endlich zurückgenommen werden. Wer deutscher Staatsbürger werden will, muss das Existenzrecht Israels anerkennen. Abschiebungen nach Afghanistan müssen eine konkrete Option sein, wenn Menschen hier schwerstkriminelle oder terroristische Taten begehen. Wäre NRW bereit, entsprechende Flüge starten zu lassen? Wir schieben so häufig ab wie kein anderes Land in Deutschland.

Sie sind ja auch das größte Bundesland . . .

Wir haben bereits vielfältige Maßnahmen ergriffen und sind selbstverständlich bereit, auch nach Afghanistan abzuschieben, wenn der Bund dafür die Voraussetzungen schafft. Extremisten, Gewalttäter und Terroristen diskreditieren alle anderen Menschen, die sich integrieren. Das darf ein demokratischer Rechtsstaat nicht länger hinnehmen.

Die Union im Bundestag strebt einen Untersuchungsausschuss zur Abschaltung der letzten drei Atommeiler an. Belastet dieses Vorgehen der Bundesebene ihre Koalition mit den Grünen in NRW?

Wir arbeiten unabhängig von dem, was im Bund passiert. Ich habe die Erklärungen nicht verstanden, warum es diesen Ausschuss gibt und was dabei rauskommen soll. Sie? Man möchte die Umstände zum Ausstieg aus der Atomenergie erforschen. Die konkreten Fragestellungen werden in der Bundestagsfraktion erarbeitet.

Ihrer Antwort lässt sich entnehmen, dass Sie das inhaltlich nicht nachvollziehen können.

Ich hätte die drei Kernkraftwerke in der Energiekrise weiterlaufen lassen. Aber ich mische mich nicht ein, wenn der Bundestag einen Untersuchungsausschuss einsetzt. Das ist nicht meine Baustelle.

Vielleicht ist das Ihre Baustelle: Der Kanzler wünscht sich ja Friedrich Merz als Spitzenkandidat der Union bei der nächsten Bundestagswahl. Werden Sie ihm diesen Gefallen tun?

Wir haben uns in der Union verabredet, diese Frage im Herbst gemeinschaftlich zu entscheiden. Das ist klug, weil die Länder, in denen im September gewählt wird, ein Recht darauf haben, dass über Landespolitik diskutiert wird. Und nicht eine Kanzlerkandidatur der Union zur Abstimmung steht. Ist Merz der Richtige? Er ist ein erfolgreicher Partei- und Fraktionsvorsitzender. Er hat die Unionsfraktion nach der verlorenen Bundestagswahl sehr gut aufgestellt. Wir arbeiten gut und vertrauensvoll zusammen.

Ihnen werden ja auch Ambitionen nachgesagt. Sind das nur Gerüchte oder halten Sie sich einfach taktisch zurück?

Ich habe in Nordrhein-Westfalen viel zu tun und mache das wirklich gerne.

Das Gespräch führte Eva Quadbeck.