Von Jörg Richter
Großenhain. Ðie Motorhaube glänzt, Lampen und Rückspiegel sind gewienert. Alles ist bereit für den großen Festumzug am Sonntag. Dann soll die Atze-Feuerwehr die Fahrzeugparade der Freiwilligen Feuerwehr Großenhain anführen. Der Phänomen Granit 27 sieht aus, als hätte er eben erst die Produktionshallen des ehemaligen VEB Kraftfahrzeugwerk Zittau verlassen. Doch das ist tatsächlich schon 64 Jahre her.
„Er ist zwar für die heutigen Aufgaben der Feuerwehr nicht mehr zeitgemäß, aber er fährt noch“, sagt Gerätewart Dirk Zenker. Und Jugendfeuerwehr-Betreuer Jens Kümmig ergänzt voller Stolz: „Der Granit hat sogar einen frischen Tüv.“
Ursprünglich war der Phänomen Granit bei einer Feuerwehr im heutigen Gemeindegebiet Lampertswalde im Einsatz. 1980 wurde das ausgediente Fahrzeug an die Arbeitsgemeinschaft „Junge Brandschutzhelfer“ übergeben. Deren damaliger Leiter Gerhard Rode hatte die AG 1966 mit 13 Pionieren gegründet. Fünf Jahre später erhielt sie den Namen „Atze-Feuerwehr“, benannt nach der DDR-Kinderzeitschrift „Atze“. „Das war Gerhards Baby“, erzählt der 64-jährige Eckhard Leuschner, während er die Motorhaube poliert. Rode habe mit vielen Ideen die Feuerwehr-Nachwuchsarbeit in Großenhain geprägt wie kein anderer.
Eine der ältesten Feuerwehren in Sachsen
Irgendwann wurde die „Atze-Feuerwehr“ auch Synonym für das Fahrzeug. Denn überall, wo der Phänomen Granit 27 auftauchte, hieß es: „Die Atze-Feuerwehr ist da!“ Und sie war viel unterwegs. Daran erinnert sich auch der 42-jährige Feuerwehrmann René Kühnel. „In der wärmeren Jahreszeit war die Atze-Feuerwehr fast jedes Wochenende im Einsatz, um Werbung für die AG Junge Brandschutzhelfer zu machen“, sagt er. In Schulen, Kindergärten, auf Stadt- oder Dorffesten oder bei Wettkämpfen – egal, wo der Oldtimer auftauchte, sorgte er für Aufmerksamkeit.
Und selten waren Fahrzeuge mit der Aufschrift „Atze-Feuerwehr“ auch. Neben Großenhain ist nur ein etwas „modernerer“ Robur LO 3001 von der Feuerwehr Berlin-Köpenick bekannt, der sich so nennen durfte. „Die Großenhainer Atze-Feuerwehr war DDR-weit bekannt“, erzählt Kühnel. Fernsehauftritte bei den Kindersendungen „Mach mit - mach nach - mach’s besser!“ und „mobil“ bezeugen das. Davon sprechen die 35- bis 50-jährigen Kameraden noch heute. „So etwas vergisst man nicht. Das war unsere Kindheit“, sagt Kühnel.
Heute wird der Phänomen-Granit nur noch als Traditionsfahrzeug genutzt. „Am Sonntag wollen wir die Atze-Feuerwehr gern zeigen, damit die Großenhainer sehen, dass sie noch existiert“, sagt Jens Kümmig. Und Stadtwehrleiter Maik Häßlich ergänzt: „Die Atze-Feuerwehr ist das älteste Fahrzeug unserer Parade, aber zum Glück nicht das dienstälteste.“ Schmunzelnd fügt er hinzu: „Das wäre ja auch schlimm.“
Der Oldtimer führt die Parade von 19 aktuellen Feuerwehrfahrzeugen an. Alle Ortswehren nehmen daran teil. Die beiden jüngsten Fahrzeuge sind gerade mal ein Jahr alt. Und schon jetzt ist klar, dass im Oktober in der Hauptwache ein neuer Einsatzleitwagen in Dienst gestellt wird. „Aber ein Hingucker ist die Atze-Feuerwehr heute noch“, sagt Leuschner.
Die Feuerwehr-Parade beginnt am Sonntag um 16 Uhr am Festplatz und führt über die Beethoven-Allee, Mozart-Allee, Schillerstraße, Steinweg, Naundorfer Straße bis zum Hauptmarkt.