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Ansturm auf den Radeberger Tisch: "So krass war es noch nie"

Mehr Bedürftige, gestiegene Preise, geringeres Angebot: Mit welchen Problemen der Radeberger Tisch zu kämpfen hat.

Von Verena Belzer
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Ausgabestation des Radeberger Tisches: Mirko Grätz zeigt, was er seinen Kunden heute anbieten kann. Noch vor ein paar Monaten war das Angebot deutlich größer.
Ausgabestation des Radeberger Tisches: Mirko Grätz zeigt, was er seinen Kunden heute anbieten kann. Noch vor ein paar Monaten war das Angebot deutlich größer. © Marion Doering

Radeberg. "Die Lage ist beschissen." Mit diesen drastischen Worten beschreibt Miriam Müller die derzeitige Situation. Die 25-jährige Ottendorferin ist momentan arbeitslos und lebt von Hartz IV. Sie ist heute zum Radeberger Tisch gekommen, um sich mit Lebensmitteln einzudecken. Sie nimmt, was dort angeboten wird - und das war schon mal deutlich mehr.

"Uns gibt es dieses Jahr seit zehn Jahren", sagt Mirko Grätz, der 53-jährige "Chef" des Tisches. "Aber so krass wie momentan war es noch nie." Die Lage ist aus mehreren Gründen prekär: "Seit Beginn des Ukraine-Krieges kommen von Woche zu Woche mehr Menschen zu uns", erklärt Grätz. "Derzeit geben wir an 150 Ukrainer Lebensmittel aus. Insgesamt sind es über 300, die regelmäßig kommen."

Außerdem seien die Preise explosionsartig gestiegen, klagt Grätz. "Da können es sich immer mehr Leute nicht leisten, im Supermarkt einkaufen zu gehen." Ältere Menschen mit kleinen Renten, Geringverdiener, Flüchtende, Harzt IV-Empfänger: Die Liste an Bedürftigen ist lang. Und sie wird nicht kürzer.

Prall gefüllte Regale gehören der Vergangenheit an

"Früher habe ich so viele Brotspenden bekommen, da musste ich teilweise einfrosten", berichtet Mirko Grätz an seiner Ausgabestation in der Doktor-Rudolf-Friedrichs-Straße. "Heute ist kaum Brot da. Ebbe."

In den Regalen und Kühlschränken des Tisches liegen Wurst und Käse, Krautsalat, Joghurt, Ketchup. Im Keller ist die Ausgabe für Obst und Gemüse. Prall gefüllt ist hier nichts. "Das war früher anders."

Lebensmittel für eine Woche holen die Radebergerin Katrin Holland (l.) und die Ottendorferin Miriam Müller bam Radeberger Tisch.
Lebensmittel für eine Woche holen die Radebergerin Katrin Holland (l.) und die Ottendorferin Miriam Müller bam Radeberger Tisch. © Marion Doering

Radeberger Tisch hilft auch bei anderen Nöten

Der Radeberger betont ausdrücklich: "Ich bin froh über jede Spende." Aber: Die Hersteller und Händler könnten derzeit viel weniger abgeben, weil sie selbst viel knapper kalkulieren. "Die Bäcker backen weniger und die Händler bestellen weniger, weil auch für sie die Preise im Einkauf gestiegen sind", erklärt Grätz. "Ich verstehe das. Aber da bleibt dann abends für uns auch weniger übrig."

Die Leidtragenden sind die Kunden des Tisches. "Es tut mir für die Leute leid, wenn hier Flaute ist. Besonders meinen Kindern würde ich gerne öfter mal eine Tafel Schokolade mitgeben."

Mirko Grätz ist mit Leib und Seele dabei, engagiert sich, wo er kann und hilft auch mal Anträge und Formulare für Behörden auszufüllen. "Viele wollen auch einfach mal reden", erzählt er, der mit 16 weiteren Frauen und Männern den Radeberger Tisch organisiert - darunter Ein-Euro-Jobber, Bundesfreiwilligendienstler und Ehrenamtliche. Er selbst ist in Teilzeit angestellt.

"Wir haben hier natürlich ein offenes Ohr für alle, die sich den Frust von der Seele reden wollen", betont Gätz. "Ich will hier ja nicht einfach nur Ausgabe machen."

Frische Lebensmittel sind im Supermarkt teuer geworden

Genau das wissen auch Miriam Müller und Katrin Holland zu schätzen. Die beiden Frauen sind Teil des Projekts "Mosaik" für Arbeitslose, eine Initiative des Berufsbildungszentrums Bautzen. Heute kommen sie zu fünft zum Radeberger Tisch.

"Als ich das erste Mal hergekommen bin, war das schon komisch", berichtet die 41-jährige Katrin Holland aus Radeberg. "Brauche ich das wirklich?", habe sie sich gefragt. "Aber anders geht es einfach nicht."

Die eigenen Ansprüche müsse man schon herunterschrauben, sagt sie. "Aber hier sind alle sehr nett, die Öffnungszeiten sind gut und man bekommt immer genug für eine Woche." Sogar einen Strauß Blumen hat sie heute mitgenommen, den hat ein Florist beim Tisch abgegeben.

Mit Blumen wiederum kann Miriam Müller nicht viel anfangen, dafür umso mehr mit Obst und Gemüse. "Genau die Dinge, die im Supermarkt momentan einfach super teuer geworden sind. Frische, gesunde Lebensmittel."

Drei Euro für einen Wocheneinkauf

Drei Euro zahlt ein Kunde des Radeberger Tisches für einen "Einkauf". Bis März dieses Jahres waren es noch 2,50 Euro. Weil aber auch die Spritkosten explodiert seien, habe er den Preis anheben müssen, erklärt Mirko Grätz. "Wir holen die Lebensmittel von den Spendern mit dem Auto ab, das kostet auch Geld."

Katrin Holland hat vollstes Verständnis für die Preiserhöhung. "Manche haben sich aufgeregt", erzählt sie. "Aber das Auto fährt ja auch nicht für lau. Und wenn ich mir meine Einkaufstüte anschaue: Das kostet mich im Supermarkt mindestens 50 Euro. Hier bekomme ich einen Wocheneinkauf für drei Euro. 50 Cent mehr, das ist schon in Ordnung."

Miriam Müller hat als Hartz-IV-Empfängerin diesen Monat eine einmalige Sonderzahlung in Höhe von 200 Euro bekommen. "Das finde ich schon sehr nett, es ist ja alles so teuer geworden." Aber wenn die Preise noch weiter steigen, sagt sie, dann müsse wohl der Regelsatz erhöht werden. "Sonst verhungern wir."

Damit das nicht passiert, ist der Radeberger Tisch auf Spenden aller Art angewiesen. "Alles hilft", stellt Mirko Grätz klar. "Lebensmittelspenden, aber auch Geldspenden, damit wir das Benzin bezahlen können." Er freue sich über alles, egal ob von Privatpersonen oder Firmen. Wer eine Spendenquittung haben möchte, bekommt eine. Der Radeberger Tisch in der Doktor-Rudolf-Friedrichs-Straße 24 ist von montags bis samstags geöffnet.