Radeberg
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Pastorin Ulrike Fourestier: "Das Licht Gottes leuchtet in unseren Herzen"

Ulrike Fourestier ist Pastorin und Geschäftsführerin des Evangelischen Taubblindendienst in Radeberg. Zu Weihnachten veröffentlicht Sächsische.de einen Gastbeitrag.

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Ulrike Fourestier ist Pastorin beim Taubblindendienst der Evangelischen Kirche in Radeberg.
Ulrike Fourestier ist Pastorin beim Taubblindendienst der Evangelischen Kirche in Radeberg. © Christian Juppe

Radeberg. Ich halte in meiner Hand einen Engel. Er ist aus Holz geschnitzt. Meine Finger gleiten über das Holz, die feinen Konturen. Die Körperhaltung und der Gesichtsausdruck des Engels vermitteln mir Würde. Mit den Fingern kann ich die Mimik spüren - der Engel gehört zu einer zwei Meter hohen Pyramide. Sie wurde extra für unser Haus, in das taubblinde Menschen aus ganz Deutschland zu Gast kommen, angefertigt: für die Ferien- und Begegnungsstätte Haus "Storchennest" in Radeberg.

Menschen mit einer doppelten Sinnesbehinderung verbringen hier Urlaubstage, erleben eine Freizeit oder lernen bei einem Seminar. Sie sind blind und zugleich gehörlos - taubblind oder hochgradig hör-sehbehindert. Wer ohne Sehen und Hören seinen Alltag meistern muss, lebt oft in tiefer Einsamkeit und Isolation.

Man muss lernen mit den verbliebenen Sinnen, dem Riechen, Schmecken und Fühlen sein Leben zu gestalten. Eine taubblinde Frau sagte: "Ich danke Gott für meine Hände. Mit meinen Händen kann ich mich unterhalten, kann die Blindenschrift lesen, meinen Haushalt führen, die Welt kennen lernen und vieles mehr." Für taubblinde Menschen sind die Hände die Brücke zu anderen Menschen, zum Leben.

Gerüche bereiten den Taubblinden Freude

Deshalb bereiten auch die Adventssträuße aus duftenden Nadelgehölzen viel Freude. Ich begegne im Hausflur des Gästehauses einer taubblinden Frau. Sie fühlt ganz vertieft und konzentriert die Zweige, die in einer großen Vase stehen. Ich berühre sie behutsam an der Schulter. Sie kennt meine Hand und weiß sofort, wer ich bin. Sie ist ganz begeistert von den weichen Nadeln der Armandskiefer und animiert mich zum Fühlen.

Gemeinsam genießen wir den Duft der Coloradotanne: eine großartige Mischung von Orangenduft und Tanne. Wir fühlen weiter und lachen miteinander, weil unsere Hände bei den stacheligen Nadeln des Säulenwachholders zurückzucken. Tief atmen wir den würzigen Duft ein.

Unerfüllte Sehnsucht nach Schönheit

Taubblinde Menschen leiden oft unter der unerfüllten Sehnsucht nach Schönheit, denn Landschaften, Bilder und Gesichter können sie nicht sehen. Musik, Vogelgesang und Stimmen können sie nicht hören. Durch die Hände öffnet sich die Tür einen Spalt zur Wahrnehmung von Schönheit: das samtige Blatt einer Pflanze und der Duft, der durch die Berührung sich entfaltet, die unterschiedlichen Nadeln, Zapfen und Samen, die man fühlen kann.

Auch bei dieser großen Pyramide verweilen sie. Ein Schnitzer aus dem Erzgebirge hat diese Pyramide gebaut. Die Figuren sind etwa 35 Zentimeter groß und auf drei Etagen angeordnet. Die taubblinden Gäste mögen es, mit den Händen die Figuren zu fühlen.

Am Nachmittag, wenn es draußen dunkel wird, schalten wir die Lichter der Pyramide ein. Einige haben noch einen kleinen Sehrest und können die Lichter erkennen. So erleben wir an der Pyramide Momente der Freude. Ganz in der Nähe steht auf einem Sideboard ein ganzes Orchester aus kleinen Engelsfiguren. Behutsam wandern die Engel mit den verschiedenen Instrumenten von Hand zu Hand, die Finger sind aktiv und Fühlen die Details.

Ich schaue dabei zu und denke an die Botschaft des Verkündigungsengels: Siehe, ich verkündige euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren! – das ist das Zentrum der Weihnachtsbotschaft. Wir haben einen echten Grund zur Freude: Gottes Liebe zu uns Menschen ist so stark, dass er selbst Mensch wurde, um unser Leben mit seinem Leben zu verbinden.

Ehrenamtliche sind Auge und Ohr

Ich denke an den Heiligen Abend vor einem Jahr. Wir saßen zu unserer Christvesper mit taubblinden Leuten aus Radeberg, mit den taubblinden Gästen und ihren Begleitern zusammen. Es wurden die Krippenfiguren herumgereicht und die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium gelesen. Neben jeder taubblinden Person saß ein Ehrenamtlicher, der für sie Auge und Ohr war und die Kommunikation übernommen hat.

Die Figuren wurden gefühlt, die Worte wurden mit dem Handalphabet oder Hand in Hand mit taktiler Gebärde weitergegeben. So wurde für jeden die Weihnachtsbotschaft lebendig: Freue dich, denn Jesus, der Retter ist da. Sein Licht leuchtet in der Finsternis und macht unsere Herzen hell! So wird es auch in diesem Jahr sein. Wir werden Weihnachtslieder singen, auf dem Klavier spielen und mit einem Luftballon auf dem Schoß die Vibration der Musik fühlen. Wir werden miteinander Freude haben.

"Heute ist der Heiland geboren"

Ich denke an einen anderen besonderen Heiligabend. Eine taubblinde Frau hatte als Kind nicht die Möglichkeit in einem Krippenspiel mitzuwirken. Dabei wäre sie gern der Verkündigungsengel gewesen. Diesen Wunsch haben wir ihr in unserer Gemeinschaft erfüllt. Der Heiligabend war gekommen. Frau S. saß mit einem langen weißen Gewand in unserem Gottesdienst. Sie stand auf und sagte mit fester Stimme: "Siehe, ich verkündige euch eine große Freude. Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr." Es war zu spüren, dass diese Freude das ganze Herz der Frau erfüllte.

Zu diesen schönen Erinnerungen schiebt sich ein anderer Gedanke. Ich hörte in den vergangenen Tagen folgenden Satz: "Bei mir wird in diesem Jahr keine richtige Weihnachtsfreude aufkommen, angesichts der Gewalt und des Leidens in der Welt." Es ist wahr, die Entwicklungen in unserem Land bereiten vielen Menschen Sorgen, die Nachrichten aus der Welt bedrücken uns, Zukunftsängste wachsen angesichts der klimatischen Veränderungen. Wie kann Weihnachtsfreude in uns lebendig werden?

Am Glauben festgehalten und Gott vertraut

Ich schaue zu den taubblinden Freunden, sehe die lebhafte Unterhaltung und ahne auch, wie einsam und schwer das Leben mit Taubblindheit ist.

Der Grund der Freude liegt nicht in uns selbst, er wird uns geschenkt durch Jesus Christus, der als Heiland und Friedenskönig gekommen ist. Das Licht aus dem Reich Gottes leuchtet in unsere Herzen, wir können diese Freude und dieses Licht mit den Augen des Herzens wahrnehmen. Die taubblinde Helen Keller hat sehr bewusst in ihrem schweren Leben am Glauben festgehalten und Gott vertraut. Dadurch wurde sie dankbar und froh. Sie schreibt: "Ich trage in meinem Herzen ein wunderwirkendes Licht. Der Glaube erleuchtet meinen Weg. Bei Gott ist Kraft. Bei ihm ist Weisheit."

Ulrike Fourestier ist seit 2014 beim Taubblindendienst in Radeberg angestellt, sie hat die Verantwortung der Geschäftsführung des Vereins und ist als Pastorin für taubblinde Menschen tätig. Zuvor war sie als Gemeindepfarrerin in Neukirch-Schmorkau tätig.