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Einen Tag geöffnet – die Fahrradwelt

Das Velocium in Weinböhla braucht den Vergleich mit großen Museen nicht zu scheuen - nur kann sich seit fünf Monaten niemand davon überzeugen.

Von Udo Lemke
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Velocium Weinböhla - Blick in eine historische Fahrradwerkstatt. Zur für 1,4 Millionen Euro errichteten Fahrraderlebniswelt gehört auch ein Außenbereich mit einem Asphalt-Pumptrack.
Velocium Weinböhla - Blick in eine historische Fahrradwerkstatt. Zur für 1,4 Millionen Euro errichteten Fahrraderlebniswelt gehört auch ein Außenbereich mit einem Asphalt-Pumptrack. © Arvid Müller

Steffen Stiller ist ein Glücksfall für die Fahrradwelt Weinböhla. Der gelernte Fahrzeugschlosser und studierte Instandhaltungsmechaniker hat 1975 im Radfahrverein mit dem Kunstradfahren begonnen und errang mehrere DDR-Meistertitel in Mannschaftswettbewerben. Nach der Wende verliebte er sich beim Welttreffen historischer Fahrräder in Hannover in die Hochräder, fuhr selbst Rennen und war in den 1990er Jahren auch bei Weltmeisterschaften dabei. Seit 35 Jahren sammelt er historische Fahrräder, und nach einem Intermezzo in Bayern ist er seit 2014 wieder zurück in Weinböhla. Am Aufbau des Velociums hat er großen Anteil. Wie es damit nun weitergehen soll, wollte die SZ von ihm wissen.

Wie ist das zu erklären - die Faszination für das Rad und der Umschwung dahin?

In den letzten zwanzig Jahren ist das Interesse am Fahrrad wieder gewachsen. Außerdem kann sich nicht jeder das teure Sammeln von Autos oder Motorrädern leisten. Es sind in den letzten Jahren ja auch viele Vereine für historische Fahrräder gegründet worden und die befassen sich natürlich mit den alten Rädern.

Wie kommt eine Gemeinde wie Weinböhla mit 10.000 Einwohnern dazu, eine Fahrraderlebniswelt einzurichten?

Erstens hat sie eine lange Fahrradtradition und Radsportgeschichte. Wir feiern nächstes Jahr 125 Jahre Radsport in Weinböhla. Zweitens gab es in Weinböhla ja auch zahlreiche Fahrradfirmen und Fahrradhändler. Die Firma Liebing hat bis in die 1950er Jahre Kleinteile für Fahrräder hergestellt. Die Firma Marle hat Sättel und Ledertaschen gefertigt - um nur zwei Beispiele zu nennen.

Und wie sind Sie zum Fahrrad gekommen?

Ich beschäftige mich seit 35 Jahren mit dem Sammeln von historischen Fahrrädern. Als ich damit angefangen habe, hat man das Fahrradsammeln belächelt, damals hat man Autos und Motorräder gesammelt. Das hat sich geändert, es gibt immer mehr Sammler und die Dinge werden immer seltener und teurer. Vieles von dem, was ich hier in der Ausstellung zur Verfügung stelle, könnte ich mir heute gar nicht mehr leisten. Wirklich zum Fahrrad bin ich aber über das Kunstradfahren hier in Weinböhla gekommen.

Steffen Stiller und die Mitglieder des Radfahrervereins Weinböhla stellen die Ausstellungsstücke zu Verfügung.
Steffen Stiller und die Mitglieder des Radfahrervereins Weinböhla stellen die Ausstellungsstücke zu Verfügung. © Norbert Millauer

2004 haben Sie Weinböhla aber erst einmal verlassen.

Ich bin hier arbeitslos geworden. Dann suchte das deutsche Fahrradmuseum in Bad Brückenau im Landkreis Bad Kissingen in Franken jemanden. Ich wollte erst nur zwei Jahre dortbleiben, aber dann sind es halt zehn geworden. Dort habe ich im Prinzip alles gemacht, ich habe Räder hergerichtet, restauriert, Führungen gemacht, Sonderausstellungen für andere Museen erarbeitet. 2014 bin ich wieder zurück nach Weinböhla gegangen und habe mich selbstständig gemacht.

Und wie kam dann die Idee Velocium?

2017 haben wir das Jubiläum 200 Jahre Fahrrad gefeiert. Da habe ich zusammen mit dem Radfahrverein Weinböhla eine Sonderausstellung gemacht. Die war auch hier in dieser ehemaligen Scheune, wo jetzt das Velocium untergebracht ist, allerdings nur im Erdgeschoss. Die erste Etage war damals noch nicht ausgebaut. Damals kam die Gemeinde auf uns zu mit der Idee, eine Fahrraderlebniswelt einzurichten und fragte an, ob wir unsere Sammlungen dafür zu Verfügung stellen würden. Wir haben ja gesagt und uns verpflicht, die Sammlungen für zunächst 15 Jahre kostenlos auszustellen. An Fahrrädern sind hier im Velocium etwa 80 Stück drin - Kleinteile, einige Tausend.

Die Ausstellung ist sehr ansprechend gestaltet, klar aufgebaut und bietet auch moderne Medien, von der Filmprojektion bis zum Touchscreen. Was ist das Konzept dahinter?

Wir stellen zunächst einmal die Fahrradgeschichte Weinböhlas, ausgehend vom 1897 gegründeten Verein Vino, dar. Dann geht es weiter über den 1906 gegründeten Arbeiterradfahrverein, dann folgt die DDR-Zeit und bis heute. Im Erdgeschoss wird außerdem die sächsische Fahrradgeschichte dargestellt. Die Dresdner Firma Seidel & Naumann zum Beispiel, die mit Nähmaschinen begonnen hat, ist von etwa 1885 bis zum Zweiten Weltkrieg eine weltweit bedeutende Fahrradmarke gewesen. Im Obergeschoss stellen wir die Fahrradgeschichte generell dar, angefangen von der Laufmaschine. Dann werden Räder aus der DDR und der BRD vorgestellt. Wir zeigen Kinderfahrzeuge und Rennräder, Militärräder und moderne Mountain- und E-Bikes und es gibt zwei Fahrradsimulatoren, mit denen man u. a. Rennstrecken abfahren oder Weinböhla erkunden kann.

Das Fahrrad ist ein Symbol für Mobilität. Ist es nicht umso bitterer, dass sie zum Stillstand verurteilt sind - einen Tag konnten sie das Velocium erst aufmachen?

Wir hatten am 31. Oktober vergangenen Jahres die offizielle Eröffnung, dann hatten wir am Sonntag, dem 1. November, einen regulären Öffnungstag. Seit 2. November ist jetzt zu.

Und wie soll es weitergehen?

Wir hatten die Hoffnung, am 15. März wieder zu öffnen, dann am 1. April, und nun hoffen wir, dass wir Anfang Mai das Velocium wieder aufmachen können und Anfang Juni auch unser Fahrradfest durchführen können.

https://velocium-weinboehla.de