Freischalten Freischalten Radebeul
Merken

Letzter Aufruf Hauptbühne: Spielzeitauftakt an den Landesbühnen Sachsen

Unter dem Motto "Last Call" feiert der Spielzeitauftakt an den Landesbühnen in Radebeul Premiere. Gäste können sich ihren persönlichen Theaterabend zusammenstellen.

Von Jakob Hammerschmidt
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Julia Rani (l.) und Grian Duesberg in "Atmen", aufgeführt in der Montagehalle der Landesbühnen Sachsen im Rahmen des Spielzeitauftaktes Last Call.
Julia Rani (l.) und Grian Duesberg in "Atmen", aufgeführt in der Montagehalle der Landesbühnen Sachsen im Rahmen des Spielzeitauftaktes Last Call. © Norbert Millauer

Radebeul. Mit dem Spielzeitauftakt haben sich Oberspielleiter Jan Meyer und Intendant Manuel Schobel eine gewaltige Inszenierung vorgenommen: Insgesamt zehn Stücke gibt es an jedem Abend zu sehen, verteilt über vier Zeitfenster. Während sich die Zuschauer zu Beginn auf die verschiedenen Bühnen des Hauses sowie die Montagehalle und Aula des nahegelegenen Lößnitzgymnasiums verteilen, um dort eines von vier verschiedenen, parallel laufenden Stücken zu sehen, finden sich danach alle auf der Hauptbühne zusammen, um die Chor- und Tanz-Komposition "Letzte Rufe aussterbender Arten" zu bestaunen.

Im Anschluss verstreuen sich die Gäste erneut in alle Himmelsrichtungen, um zum Ende, erneut auf der Hauptbühne, die Groteske "Die große Reblauskatastrophe" abzufeiern. Das heißt, dass jeder Gast pro Abend nur vier der zehn Stücke sehen kann. Das erhöht den Wiederbesuchswert: Der Spielzeitauftakt Last Call läuft noch vom 19. bis zum 22. Oktober.

Beziehung an der Belastungsgrenze

Für den Autor beginnt der Abend in der Montagehalle, mit dem Zwei-Personen-Stück "Atmen", im englischsprachigen Original von Duncan Macmillan, hier inszeniert von Moritz Gabriel. Frau (Julia Rani) und Mann (Grian Duesberg) sind gutaussehend, umweltbewusst und schwer verliebt.

Doch der Kinderwunsch bringt die beiden an ihre Grenzen. Ist es ethisch vertretbar, angesichts der ohnehin schon knappen Ressourcen noch ein Kind in eine bereits mehr als beengte Welt zu setzen? Was, wenn Frau das Kind nicht lieben kann? Und schon mal über den tonnenschweren CO2-Abdruck eines Kindes nachgedacht? Der Stress der Familienplanung und später der Schwangerschaft bringt Grundsatzdiskussionen und unterdrückte Ressentiments zum Vorschein - bis die Beziehung ihre Belastungsgrenze erreicht.

Auf der beinahe nackten, von Klappstühlen umringten Bühne gibt es für die beiden Schauspieler kein Versteck, weder voreinander noch vor dem Publikum. Immer wieder fallen sie auf Tanzeinlagen zurück, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, zerren aneinander, schmiegen sich an. Als das Stück um 19:30 Uhr vorbei ist, ist die Sonne bereits untergegangen.

Gleichzeitig zu "Atmen" wurde im Glashaus das Tanzprojekt Körpersaiten von Natalie Wagner aufgeführt - nur zwei von insgesamt vier verschiedenen Stücken, zwischen denen sich Gäste für den Auftakt des Abends entscheiden konnten.
Gleichzeitig zu "Atmen" wurde im Glashaus das Tanzprojekt Körpersaiten von Natalie Wagner aufgeführt - nur zwei von insgesamt vier verschiedenen Stücken, zwischen denen sich Gäste für den Auftakt des Abends entscheiden konnten. © Norbert Millauer

Die Apokalypse der Natur

Das zweite Stück, "Letzte Rufe aussterbender Arten", findet auf der Hauptbühne statt. Die Komposition für Chor, Klavier und Gitarre verbindet Kirchenmusik, Swingverschnitte und Kabarett, um mit nahezu biblischer Wucht deutlich zu machen: Der Mensch ist die Apokalypse der Natur.

Dazu wartet das Stück mit einer eigenen Bibliografie auf: Herman Melvilles "Moby Dick", Hans Magnus Enzensberger und natürlich die Bibel, sie alle werden von Komponist und Pianist Hans-Peter Preu musikalisch verarbeitet und kontextuell nebeneinandergestellt. Das wirkt oft regelrecht beklemmend und dem Thema entsprechend dringlich, wenn sich die Stimmen des Opernchores der Landesbühnen zu einem Crescendo aufbauen. Partiell droht die Betroffenheit des Stückes jedoch, in Zynismus abzurutschen.

Eine angemessen animalische Choreografie der Tanzcompagnie des Hauses unterstützt den Chor zu Beginn und zum Schluss dieser "Kantate über die Zukunft der Lebewesen auf diesem Planeten". Im Foyer warten bereits Teilnehmer des Jugendprojektes "junges.studio" auf die Zuschauer, um sie mittels Schildern und Warnwesten zu ihren nächsten Bühnen zu lotsen, getreu dem zum Motto erkorenen Flughafen-Gemeinplatz Last Call, letzter Aufruf. Passend dazu sind auch die Programmhefte der einzelnen Stücke Flugtickets nachempfunden. Wennschon, dennschon.

Stück Nummer drei, "Ich Und Sie" wurde von Meyer selbst geschrieben sowie inszeniert und ist konzeptuell beinahe zu entrückt, um ihm schriftlich gerecht zu werden. Aufgeschlossenen Theaterfreunden sei es aber wärmstens ans Herz gelegt. "Ich Und Sie" basiert auf dem gleichnamigen Roman von Andrea Tippel, der nur aus Wörtern mit drei Buchstaben besteht. Entsprechend unintuitiv, seltsam und scheinbar sinnlos erscheinen zuerst die Dialoge, bevor man sich an die ausgefallene Sprachkonvention des Stückes gewöhnt - einigermaßen.

Die beiden Darsteller nehmen die Zuschauer auf eine Reise tief in die Eingeweide der Landesbühnen, durch Hintertüren, Probebühnen, Treppenhäuser und die hauseigene Theaterkneipe. Den Weg säumen Video- und Klanginstallationen, es gibt Superheldenkostüme und eine halb geschriene Karaoke-Einlage von Darsteller Johannes Krobbach.

Ein glitzernder BDSM-Cowboy

Eine Raucherpause später ist es bereits Zeit für das Finale, "Die große Reblauskatastrophe." Die Stimmung im Publikum ist nach dreieinhalb Stunden Theater gelöst, das derb-lustige Werk von G.A. Beckmann kommt also genau richtig. In einem fiktiven Radebeul, hier Beulenrad, wird die Churfyrstin Cervetica (René Ritterbusch) als Statthalterin eingesetzt, um den Frieden wiederherzustellen und die Weinproduktion auf Vordermann zu bringen. Dazu erhält sie Unterstützung von einer Oppenheimer-Parodie (Maximilian Bendl), die als glitzernder BDSM-Cowboy über die Bühne turnt und schließlich erwartbar alles in Schutt und Asche legt.

400 Jahre Stadtgeschichte treffen auf Drag-Kostüme und derbe Witze über Polizeigewalt. Das strapaziert hin und wieder Nerven und Geschmack, könnte als bewusst absurder Rausschmeißer jedoch nicht besser platziert sein. Nicht einmal die Metaebene ist sicher, wenn beispielsweise die Churfyrstin eine Messerwunde mit den Worten "Ist nur rotes Tuch" abtut. Eingerahmt wird das Stück von zwei verschiedenen Liedern über den ungehemmten Genuss von Wein, im Anschluss steigt, passenderweise, die Abschlussparty im Glashaus.

Der Spielzeitauftakt "Last Call" findet viermal vom 19. bis zum 22. Oktober an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul statt. Tickets können im Internet unter www.landesbuehnen-sachsen.de/spielzeit/last-call bestellt werden.