Leben und Stil
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Im St. Anton am Arlberg werden Freeride-Träume wahr

Wie fühlt sich das Fahren im offenen Gelände an? Wie groß ist die Angst vor Lawinen und Stürzen? Ein Selbsttest.

Von Simon Lehnerer
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Beim Freeriden fährt man abseits der Piste im offenen Gelände, wie hier in St. Anton am Arlberg.
Beim Freeriden fährt man abseits der Piste im offenen Gelände, wie hier in St. Anton am Arlberg. © Tourismusverband St. Anton

Ein eisiger Hauch von frischer Bergluft schwebt über den Berggipfeln. Die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel hinab und lässt die weiß bepuderten Hänge an manchen Stellen regelrecht funkeln. Es ist Vormittag in St. Anton am Arlberg. „Der Erste kann jetzt starten. Lass erstmal ein paar Meter laufen und wenn du den ersten Schwung machst, startet der Zweite“, sagt Tour Guide Frank Widmann im typischen Österreicher Dialekt. Der Moment des ersten Mal Freeridens, ist gekommen.

Ich stoße mich mit den Stöcken ab und beginne mit den extrabreiten Skiern über den fluffigen Tiefschnee zu gleiten. Jeder Schwung auf dem fast unbefahrenen Berghang wirbelt feine Flocken vom Boden auf und schleudert sie meterhoch in die Luft – ein optisches Spektakel und ein Gefühl der totalen Freiheit.

Der Tiroler Ort St. Anton am Arlberg gilt als Eldorado für Freeride-Fans. Bei dem Trendsport fährt man nicht auf präparierten Skihängen, sondern abseits der Piste im offenen Gelände, Stichwort: Tiefschnee. Freerider suchen das individuelle Abenteuer und die persönliche Herausforderung. Es geht dabei meist weniger um Geschwindigkeit und Technik, sondern um die Freiheit, das eigene Terrain zu wählen und den eigenen Stil zu entwickeln.

Horrorszenario beim Freeriden: Die Lawine

Neben all dem Spaß und Freiheitsgefühl, birgt der Sport allerdings auch einige Gefahren. Felsen können aus dem Schnee herausragen und leicht übersehen werden, wenn sie mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt sind. Auch ist es schwer abzuschätzen, wie tief der Schnee an verschiedenen Stellen ist. Während man 50 Meter weiter oben mit den Skiern noch über eine weiche, abfedernde Schneedecke schwebt, erwartet einen ein paar Meter weiter unten möglicherweise ein herausragender Baumstumpf oder eine stahlharte Eisplatte.

Die tödlichste Gefahr und das absolute Horrorszenario eines jeden Freeriders ist aber wohl die Lawine. Eine angemessene Ausrüstung und Einweisung sind daher unerlässlich. Das merkt die Freeride-Gruppe auch bei der Einweisung.

Am Fuße des Arlbergs bekommen die acht Teilnehmer der Freeride-Tour von Guide Frank Widmann einen Lawinenrucksack und ein Lawinen-Verschütteten-Suchgerät (LVS). Das LVS wird mit einem Gurt am Oberkörper festgezurrt, denn der Verlust dieses Geräts könnte tödlich enden. Falls jemand von einer Lawine überrollt wird, können die Anderen denjenigen damit lokalisieren. „Das LVS zeigt an, in welcher Richtung die verschüttete Person mit wie vielen Metern Abstand zu einem selbst zu finden ist“, erklärt Widmann.

Im Lawinenrucksack befindet sich als wichtigstes Werkzeug eine Schaufel, mit der man zu graben beginnt, wenn das LVS seine Arbeit getan hat. Dann entscheiden Minuten über Leben und Tod. Auf die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit liegt, heute in eine Lawine zu geraten, antwortet der Guide: „Wir haben super Bedingungen, also wohl so etwas wie 0,01 Prozent, aber wissen kann man das nie“.

Mit Karacho in den schneebedeckten Abgrund

Anfängliche Bedenken in den Gesichtern der Teilnehmer weichen der Vorfreude, als es in der Gondel den Berg hinaufgeht. Oben angekommen werden zunächst ein paar Pisten „geschrubbt“, um zu den Hängen unserer Begierde zu gelangen. Auf der Hälfte einer Piste halten wir an. „Jetzt geht’s los, ab ins offene Gelände. Unsere geplante Route führt vom Galzig beginnend über die Alpe Rauz hinauf auf die Albona, über den Albonagrat und die Kaltenberg Hütte hinunter nach Langen am Arlberg“, sagt Yannick Rumler vom Tourismusverband St. Anton und zeigt dabei auf den Berg vor uns.

Der 28-Jährige ist in dem Skiort, für den er arbeitet, aufgewachsen und kennt die besten Plätze zum Freeriden. Doch vor der Abfahrt wird es nochmal mühselig. Ein paar hundert Meter Ziehweg stehen an, bevor die Gruppe zu einem fast unbefahrenen Hang gelangt. Die Sonne glitzert auf dem Schnee.

In sicherem Abstand wagt sich einer nach dem anderen hinab. „Wuhuu“, jubeln wir denjenigen zu, die sich gerade in den schneebedeckten Abgrund stürzen. Als der erste hinfällt, sich ein Ski löst und im Tiefschnee verschwindet, ist Rumler sofort zur Stelle. Mit einer Leichtigkeit, die nur erfahrene Freerider mitbringen, gleitet er über den Schnee und ist nach wenigen Sekunden da, um den Gefallenen beim Aufstehen und Wiederfinden seines Skis zu helfen.

SZ-Reporter Simon Lehnerer gleitet beim Freeriden in St. Anton über den Tiefschnee.
SZ-Reporter Simon Lehnerer gleitet beim Freeriden in St. Anton über den Tiefschnee. © Martin Häußermann

Auch ich versage zweimal dabei, meine Skier in der Kurve richtig zu drehen und kugle einige Meter durch den Tiefschnee, der sich anfühlt, wie ein weiches Bett voller Puder. Ich keuche nach dem Aufstehen und esse erstmal eine Handvoll Schnee. Weiter geht’s. Einige aus der Gruppe haben merkbar Erfahrung beim Freeriden. Sie motivieren die blutigen Anfänger.

Freeride-Guide Widmann: "Ihr habt voll durchgezogen"

Am Fuße jedes Hangs stoppen wir, machen Pause, trinken etwas und Widmann erkundigt sich, „wie es kräftemäßig aussieht“ bevor alle weiterfahren. Ein Stück weiter unten ist besonders herausfordernd, weil sich die Strecke durch einen Nadelwald schlängelt.

„Einfach schön langsam machen und nicht übermütig werden“, ruft Yannick Rumler, nachdem er schon vorgefahren ist, um zu zeigen, welchen Weg wir nehmen können. Alle umkurven verletzungsfrei die sattgrünen Fichten. Es ist abenteuerlich, deutlich anstrengender als auf der normalen Piste – vor allem für die Oberschenkel – aber auch atemberaubend schön in der Natur.

Etwa dreieinhalb Stunden nach dem Start kommen wir an einem Waldweg nahe der Bahnstation des Ortes Langen am Arlberg an. „Ihr habt das alle zusammen echt toll gemacht. Voll durchgezogen“, lobt Guide Widmann. Im Taxi zurück nach St. Anton fallen dem ein oder anderen aus Erschöpfung schon fast die Augen zu.

Trotzdem geht es anschließend nochmal mit der Gondel nach oben – zur Hütte „Arlberg Thaja“. Zu einem richtigen Freeride-Tag gehöre auch eine deftige Mahlzeit, betont Rumler. Ganz klassisch für die Region sind Schnitzel, Knödel und Käsespätzle. Nach dem Essen klirren noch die Schnapsgläser bei der Verkostung eines Zirbenlikörs – ein würdiger Abschluss dieses aufregenden Tags.

  • Anreise nach St. Anton ab Dresden: 7,50 Stunden mit dem Auto, 9 Stunden per Zug über Erfurt, München und Innsbruck
  • Skipass „Ski Arlberg“: 1 Tag ab 45 Euro, 2 Tage ab 88 Euro, 3 Tage ab 130 Euro
  • Übernachten: z.B. Hotel „Die Arlbergerin“: DZ ab 91 Euro pro Nacht
  • Pauschal mit SZ-Reisen: Busreise, 6 Ü/HP, über 20 Termine, ab 1.469 Euro p. P. im DZ
  • Die Recherche wurde unterstützt vom Tourismusverband St. Anton