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Rentenberater: "NVA-Grundwehrdienst muss endlich gleichwertig für die Rente zählen“

Mit einer Verfassungsbeschwerde will Rentenberater Christian Lindner aus Dresden gleiches Recht in Ost und West erreichen. Wer kann davon profitieren? Ein Interview.

Von Kornelia Noack
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Um zu erfahren, wie die Armeezeit rentenrechtlich bewertet wird, muss man bei der Rentenversicherung die sogenannte Rentenberechnungsanlage anfordern.
Um zu erfahren, wie die Armeezeit rentenrechtlich bewertet wird, muss man bei der Rentenversicherung die sogenannte Rentenberechnungsanlage anfordern. © Marijan Murat/dpa (Symbolfoto)

Herr Lindner, Sie kämpfen schon seit Jahren für die Gleichstellung des DDR-Grundwehrdienstes bei der Berechnung der Rente. Worum geht es genau?

Nach wie vor erhalten ehemalige NVA-Soldaten weniger Rentenpunkte als Soldaten, die in der Bundesrepublik gedient haben. Aus meiner Sicht ist damit der Gleichheitssatz nach Artikel drei Grundgesetz verletzt. Denn die Versicherten selbst können ja nichts für die Ungleichbehandlung. Genau geht es um die Zeit zwischen dem 1. Mai 1961 und dem 31. Dezember 1981. Wer damals seinen Wehr- oder Zivildienst in den alten Bundesländern geleistet hat, erhält für jedes Kalenderjahr einen Entgeltpunkt für die Rente. Bei NVA-Soldaten werden dagegen nur 0,75 Entgeltpunkte berücksichtigt. Das halte ich für verfassungswidrig.

Aber wieso ist das so?

In den alten Bundesländern bestand für Wehrdienstleistende eine Rentenversicherungspflicht. Das heißt, der Bund hat für sie Rentenbeiträge eingezahlt. Die wirken sich heute automatisch positiv auf die Rente aus. In der DDR gab es diese Pflichtversicherung nicht. Allerdings war der Wehrdienst im Rentenfall als Zeit der versicherungspflichtigen Tätigkeit zu berücksichtigen. Um die NVA-Soldaten heute nicht zu benachteiligen, wird zwar ihr Grundwehrdienst für die Rente anerkannt, aber eben nicht in gleichem Maße.

Christian Lindner ist Diplom-Verwaltungswirt und Mitglied im Bundesverband der Rentenberater. Er hat ein Büro in Langebrück.
Christian Lindner ist Diplom-Verwaltungswirt und Mitglied im Bundesverband der Rentenberater. Er hat ein Büro in Langebrück. © Wolfgang Wittchen

Wie viel Rente macht das denn aus?

Wir reden von knapp 170 Euro im Jahr. Der Grundwehrdienst in der DDR dauerte anderthalb Jahre. Das entspricht 0,375 Entgeltpunkten, die frühere NVA-Soldaten weniger erhalten. Beim aktuellen Rentenwert von 37,60 Euro sind das rund 170 Euro.

Nun scheint Bewegung in die Sache zu kommen. Wie ist der aktuelle Stand?

Ich hatte bereits einige Mandanten, die sich mit einer Klage gegen die Regelung gewehrt haben. Dabei arbeite ich mit dem Dresdner Rechtsanwalt Matthias Herberg zusammen. Die Fälle gingen bis zum Bundessozialgericht, das unseren Einwand allerdings immer als „unzulässig“ zurückgewiesen hat. Das war frustrierend. In diesem August wurde die Beschwerde eines Dresdners allerdings als „unbegründet“ zurückgewiesen. Das hat für uns den Weg freigemacht für eine Verfassungsbeschwerde, die der Betroffene auch bereits eingereicht hat.

Was bedeutet das genau?

Im besten Fall nimmt nun das Bundesverfassungsgericht den Sachverhalt zur Entscheidung an und kommt zu dem Schluss, dass die derzeitige Klausel im Sozialgesetzbuch verfassungswidrig ist und der Gesetzgeber sie zu ändern hat. Dann würden alle früheren Soldaten in Ost und West dieselben Rentenansprüche haben.

Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung?

Einige Monate, eventuell auch Jahre wird das sicher dauern.

Angenommen, das Gesetz wird geändert. Können dann alle früheren NVA-Soldaten davon profitieren?

Leider nein. Für alle, die bereits eine Rente beziehen, hat die Entscheidung dann keine Auswirkung auf ihre zurückliegenden Rentenbezugszeiten. Auch wer in der Vergangenheit Widerspruch gegen seinen Rentenbescheid wegen der ungleichen Bewertung der NVA-Zeiten eingelegt hat und dieses Widerspruchsverfahren abgeschlossen ist, geht leider leer aus. Ich weiß, dass wir dies selbst immer empfohlen haben. Doch diese Widersprüche wurden oft schnell zurückgewiesen und die Verfahren als beendet erklärt.

Wer könnte dann profitieren?

Alle Männer, die jetzt aktuell in Rente gehen und vor 1982 ihren NVA-Grundwehrdienst geleistet haben, haben gute Aussichten. Wenn sie jetzt ihren Rentenbescheid erhalten, sollten sie innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen und sich damit alles offen halten. Wichtig ist, im Schreiben auf das laufende Verfahren beim Bundesverfassungsgericht zu verweisen und anzuregen, das Widerspruchsverfahren bis zur Klärung ruhen zu lassen.

Wo können angehende Rentner sehen, wie ihre NVA-Zeit angerechnet wird?

Der Rentenbescheid gibt tatsächlich nur Auskunft darüber, welche Monate berücksichtigt werden. Wer wissen möchte, wie seine Armeezeit rentenrechtlich bewertet wird, muss bei der Rentenversicherung die sogenannte Rentenberechnungsanlage anfordern. Allerdings kann man sicher davon ausgehen, dass bei NVA-Zeiten vor 1982 immer die genannten 0,75 Entgeltpunkte herangezogen werden.