Ein Atommüll-Zwischenlager für Riesa?

Riesa. Platz genug ist jedenfalls: Gut zwei Kilometer weit schweift der Blick über freies Feld. Das Gewerbegebiet Rio zwischen dem Ende der B-169-Ausbaustrecke bei Seerhausen, der B 6 und Bloßwitz existiert seit fast 20 Jahren nur auf dem Papier. Das muss nicht so sein, findet Joachim Wittenbecher. "Ich habe bereits im August dem OB Unterlagen geschickt, dass ein großes Logistikunternehmen einen Gewerbestandort mit mehr als 30 Hektar sucht", sagt der Chef der AfD-Stadtratsfraktion.
Es gehe dabei um ein Investitionsvolumen von 450 Millionen Euro; Eigentümer der Gesellschaft ist der Bund. Und der Haken dabei? Es geht hier nicht um irgendein Logistikunternehmen: Die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) betreibt bundesweit Zwischenlager für radioaktive Abfälle aus Kernkraftwerken - für ausgediente Brennelemente genauso wie für schwach- und mittelradioaktive Abfälle.
Und genau so ein Zwischenlager könnte sich Wittenbecher für das Gewerbegebiet Rio vorstellen. "Dabei geht es ja nicht um Castorbehälter mit hoch radioaktivem Material, sondern etwa um Bauteile, die beim Abriss von Kernkraftwerken anfallen", sagt der Riesaer. Laut BGZ gehören mehr als 90 Prozent des in Deutschland anfallenden Volumens radioaktiver Abfälle in die Kategorie "schwach- und mittelradioaktiv": Sie stammen aus dem
Betrieb und Abriss von Kernkraftwerken oder aus der kerntechnischen Industrie - etwa benutzte Schutzkleidung, Filter, Werkzeuge oder ausgediente Anlagenteile. Ein weiterer Teil falle bei der Forschung, in industriellen Prozessen und
der medizinischen Anwendung von Radionukliden an.
Das Gewerbegebiet Rio sei groß genug für so ein Zwischenlager, in dem die Abfälle für eine spätere Endlagerung im Endlager Konrad (bei Salzgitter) vorbereitet werden sollen. Und das Areal an der Gemeindegrenze von Riesa und Stauchitz könne mit einer Bahnanbindung punkten, wie sie die BGZ fordere. Tatsächlich verläuft die Bahnstrecke Riesa-Chemnitz direkt am Areal vorbei.
Weitere Kriterien sind ein Abstand zur nächsten Wohnbebauung von 300 Meter - was zwischen den Dörfern Bloßwitz, Grubnitz und Reppen auch kein Problem sein dürfte. Die Lage in Sachsen allerdings dürfte für das BGZ nicht ideal sein: Verlangt sie doch eine Entfernung von maximal 200 Kilometer bis zum Endlager Konrad - tatsächlich sind es rund 250 Kilometer.
Dennoch sollte sich Riesa um den Standort bemühen, findet der Riesaer AfD-Fraktionschef. "Es wäre eine Chance, einige Arbeitsplätze vor Ort zu bekommen und auch ein gutes Argument für den Weiterbau der B 169." Mehrfach habe er seit dem Sommer bei der Stadt nachgehakt, was aus seinem Vorschlag geworden sei - zuletzt diese Woche im nichtöffentlichen Teil der Stadtratssitzung. "Da hieß es, es sei noch in Bearbeitung - nach vier Monaten!", ärgert sich Wittenbecher.
Tatsächlich sei bisher noch kein Kontakt zum Unternehmen zustande gekommen, heißt es auf Nachfrage von sächsische.de aus dem Riesaer Rathaus. Generell sei Riesa für alle Interessenten offen, die in den Gewerbegebieten der Stadt und auch im Rio-Gebiet investieren wollen, sagt Stadt-Sprecher Uwe Päsler.
Allerdings gelte es, mehrere Punkte zu beachten. "So ist das Industriegebiet Rio im Regionalplan als Industriegebiet für produzierendes Gewerbe ausgewiesen mit der Forderung, mindestens 250 Arbeitsplätze zu schaffen. Bei einem Zwischenlager für radioaktive Abfälle sind der Fakt der Industrieproduktion und auch diese Zahl der Arbeitskräfte augenblicklich nicht zu erkennen", so Päsler.
Außerdem dürfte bei einer teilweisen Nutzung durch ein BGZ-Zwischenlager, so die Befürchtung der Stadt, die übrige Gewerbefläche kaum noch entwicklungsfähig sein. "Es ist zu erwarten, dass das Interesse anderer Unternehmen auf eine Ansiedlung in unmittelbarer Nachbarschaft vermutlich sehr begrenzt ist." Und man wolle unbedingt bei so einem Projekt auch die Nachbarkommunen einbeziehen - die an das Rio-Gebiet direkt angrenzenden Dörfer gehören zur Gemeinde Stauchitz.
Dort dürfte die Aussicht auf ein Zwischenlager für radioaktive Abfälle in der Nachbarschaft für wenig Begeisterung sorgen. "Die Anwohner bei so einem Projekt zu beteiligen, sollte selbstverständlich sein", sagt Joachim Wittenbecher. Vor einer großen zusätzlichen Lkw-Belastung bräuchte sich jedenfalls niemand fürchten, da die Transporte per Bahn geplant seien.
„Wir sind stets erfreut, wenn es Interessenten für die Rio-Fläche gibt", sagt Riesas OB Marco Müller (CDU). "Doch gerade bei solch einem sensiblen Vorhaben müssen im Vorfeld wirklich alle Aspekte sehr exakt betrachtet und Für und Wider genau abgewogen werden.“
Beim Unternehmen BGZ selbst hat man mittlerweile den Fokus ohnehin in eine andere Region gelegt: Nach einem ausführlichen Auswahlverfahren habe man beschlossen, das Logistikzentrum für das Endlager Konrad am Standort Würgassen zu planen - eine Gemeinde an der Weser, gut 100 Kilometer südlich vom Endlager Konrad. "An dieser Planung halten wir fest", sagt BGZ-Sprecher Tobias Schmidt.
Es sieht also so aus, als bliebe das Gewerbegebiet Rio bis auf Weiteres Ackerland: Man habe in den vergangenen Jahren immer wieder mal Anfragen von Unternehmen gehabt, heißt es aus dem Riesaer Rathaus. Konkrete Planungen könne man aber nicht nennen.