Schule, Heimweh und Training im Stadtpark

Riesa. Mindestens fünfmal in der Woche trainieren und dann auch noch für die Schule büffeln. Von Tobias Vitera und Pia Schütze wird seit Monaten einiges abverlangt. Beide haben in dieser Woche ihre mündliche Prüfung in Englisch. Während Tobias schon alles hinter sich hat, steht für die 16-jährige Pia auch noch die Mündliche in Ethik bevor. Diese Prüfung wird allerdings verschoben. Denn vorher starten beide bei der Weltmeisterschaft der Sportakrobaten in Genf.
Am Dienstag wurden sie dazu in der Städtischen Turnhalle vom SC Riesa und Oberbürgermeister Marco Müller verabschiedet. Die Hoyerswerdaerin und der Dresdner werden hier von Nina Blintsov trainiert. Bereits seit vier Jahren bildet der 17-jährige Tobias mit dem vier Jahre jüngeren Albrecht Kretzschmar vom SC Riesa ein Herrenpaar im Nachwuchsbereich. Fast täglich nimmt Tobias die Strapazen des Hin- und Herpendelns zwischen Dresden und Riesa auf sich, um hier zu trainieren.
Pia Schütze vom SC Hoyerswerda gehört seit November 2019 zur Leistungssportgruppe der Riesaer Sportakrobaten. Weil das Pendeln zwischen ihrer Heimatstadt und Riesa nicht so einfach ist, ist sie bei Familie Blintsov eingezogen. Sohn Daniel ist ihr Partner im Mix-Paar. "Meine Mama war anfangs nicht begeistert", erzählt sie. Denn nur an den Wochenenden kommt Pia, die in Riesa auch zur Schule geht, nach Hause. Und manchmal auch nicht sonnabends und sonntags, wenn Wettkämpfe anstehen, so wie in den nächsten Wochen während der WM in der Schweiz.

Das ist der sportliche Höhepunkt des Jahres. Anfang Oktober steht auch noch die Europameisterschaft in Italien ins Haus. Normalerweise wechseln sich WM und EM jedes Jahr ab. Doch wegen der Corona-Pandemie wurde die Weltmeisterschaft 2020 auf diesen Sommer verschoben. Das bedeutet für die vier Nationalkader trainieren, trainieren und nochmals trainieren. Und für Pia ganz besonders: noch weniger zu Hause bei ihren Lieben in Hoyerswerda zu sein.
Und das alles für eine Sportart, die nicht olympisch ist und mit der man als deutscher Topathlet keine Millionen verdienen kann, so wie im Fußball. Sehr viel Enthusiasmus ist dabei.
Der war vor allem im ersten Lockdown enorm wichtig. Denn gemeinsames Training im Verein und in der Sporthalle war verboten. Alternativen mussten her. "Der Riesaer Stadtpark ist groß", sagt Trainerin Nina Blintsov. Täglich gingen die vier Nationalkader dort hin, um an der frischen Luft fit zu bleiben. "Parkbänke sind nicht nur zum Sitzen geeignet", sagt Sohn Daniel lachend. Auf ihnen könne man auch hervorragend Liege- und Beugestütze üben. Auch der Hinterhof und das Treppenhaus boten manche Gelegenheit, um Kraft und Ausdauer zu trainieren. Sie sind gerade für Sportakrobaten entscheidend. Tobias muss zum Beispiel den 36 Kilo "leichten" Albrecht mit einer Hand hochstemmen.
Riesaer Stadtverwaltung spielte mit
Etwa zehn Wochen hätten sie so im Frühjahr 2020 überbrückt. Dann hatte sich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) dafür starkgemacht, dass die Nationalkader aller Sportarten während der Corona-Pandemie unter bestimmten Hygienebedingungen trainieren dürfen. Das machte es Nina Blintsov und ihren Schützlingen möglich, sich auf die WM, die nächste Woche beginnt, vorzubereiten. Und auch die Riesaer Stadtverwaltung spielte mit. "Ohne ihre Zustimmung hätten wir die Turnhalle nicht nutzen dürfen", sagt SC-Abteilungsleiter Frank Schöniger dankend.
Doch Nina Blintsov denkt auch an die vielen anderen Kinder und Jugendlichen, die in der Abteilung Sportakrobatik des SC Riesa trainieren. "Ich weiß von vielen, dass sie Sehnsucht danach haben und es nicht erwarten können, endlich wieder in die Turnhalle zu dürfen", sagt sie. "Hoffentlich dürfen sie ab nächster Woche wieder trainieren."