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Abwanderung stärkt die AfD

Neue Midem-Studie belegt: Zwischen dem Wegzug junger, qualifizierter Fachkräfte und hohen Wahlergebnissen für rechte Parteien besteht ein Zusammenhang.

Von Nora Miethke
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Hans Vorländer ist Midem-Direktor und Professor für Politikwissenschaft an der TU Dresden.
Hans Vorländer ist Midem-Direktor und Professor für Politikwissenschaft an der TU Dresden. © dpa-Zentralbild

In Rumänien ist der Ministerpräsident Ludovic Orban zurückgetreten. Er zieht damit die Konsequenz aus dem Ergebnis der Parlamentswahl am Sonntag, bei denen die ultra-nationalistische Partei AUR überraschend viertstärkste Kraft wurde. Sie profitierte vermutlich vom großen Wahlkampfthema Corona und dem schlechten Zustand des Gesundheitssystems. Rund 200 000 Ärzte und Ärztinnen haben Rumänien in den letzten Jahren verlassen.

Genau dieser Zusammenhang, ob und wie Auswanderung und Abwanderung innerhalb Deutschlands Treiber für rechtspopulistische Strömungen ist, ist Schwerpunkt der neuen Studie des Mercator Forum Migration und Demokratie (Midem), die am Dienstag in Dresden vorgestellt wurde. Zehn Länder einschließlich die Bundesrepublik Deutschland wurden untersucht.

Klarer Zusammenhang

Das Ergebnis: In wirtschaftlich schwachen Regionen in Europa können hohe Auswanderungsraten rechten Parteien zu Stimmengewinnen verhelfen, betonte Professor Hans Vorländer, Midem-Direktor und Politikwissenschaftler an der TU Dresden. Und Rumänien wie auch Bulgarien gehören zu den wirtschaftlich Schwachen in Europa.

Bulgarien muss laut Prognosen damit rechnen, bis zum Jahr 2050 ein Fünftel seiner Bevölkerung zu verlieren. Generell können rechtspopulistische Parteien in ganz Europa jedoch nicht vom Wegzug ins Ausland profitieren, wie die Forscher und Forscherinnen feststellten.

Und in Deutschland? Da lässt sich laut Vorländer auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte ein klarer Zusammenhang zwischen Abwanderung und der Wahlneigung für Rechtspopulisten belegen. Je stärker eine Region in den vergangenen drei Jahrzehnten vom Wegzug betroffen war, umso besser schneidet dort heute die AfD bei Wahlen ab, so das Ergebnis der Studie.

Regionale Unterschiede sehr groß

In Westdeutschland sei dieser Trend sogar noch etwas stärker ausgeprägt als in Ostdeutschland. Bemerkenswert dort: Nicht die erste Abwanderungswelle unmittelbar nach der Wiedervereinigung fällt ins Gewicht, sondern die Wegzüge nach der Jahrtausendwende. Seit dem Jahr 2000 haben vor allem junge, gutausgebildete Frauen die ländlichen Regionen verlassen in Richtung Dresden, Leipzig oder noch weiter weg.

„Dieses Ergebnis legt nahe, dass die Stärke der AfD auch mit den Verlustgefühlen der Zurückgebliebenen zu tun hat, die vor Ort die Folgen einer Ausdünnung der sozialen Infrastruktur spüren“, betont Vorländer. Dies erzeugt eine emotionale Dynamik und Frustration, die sich die AfD zunutze macht.

Auffällig sind jedoch die regionalen Unterschiede in Ostdeutschland. Trotz gleich hoher Abwanderung von Arbeitskräften sind die Wahlergebnisse für die AfD etwa im Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge doppelt so hoch wie in vergleichbaren Landkreisen in Mecklenburg-Vorpommern.

Die Forscher vermuten, dass sich noch politisch-kulturelle Besonderheiten wie zum Beispiel die Nachwirkungen der wirtschaftlichen Transformation nach der Wende auswirken und den Zusammenhang zwischen Abwanderung und Wahlneigung für die AfD diffuser machen und damit schwerer messbar als in Westdeutschland. „Aber er ist dennoch da und belegbar“, bekräftigt Vorländer.