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Die Autobahnmeisterin

Yvonne Milster ist in Sachsen die einzige Chefin einer Autobahnmeisterei. Ihre Männer verstehen sich als Hausmeister, die mehr leisten, als Autofahrer ahnen.

Von Olaf Kittel
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Die Autobahnmeisterin Yvonne Milster und ihr riesiger Streusalzberg. 200 bis 250 Tonnen davon werden an Wintertagen täglich auf die Autobahn gestreut. Jetzt hofft ihr Team, dass der Winter endlich vorbei ist.
Die Autobahnmeisterin Yvonne Milster und ihr riesiger Streusalzberg. 200 bis 250 Tonnen davon werden an Wintertagen täglich auf die Autobahn gestreut. Jetzt hofft ihr Team, dass der Winter endlich vorbei ist. © Matthias Schumann

Vor diesem gewaltigen Berg aus Streusalz könnte Yvonne Milster glatt übersehen werden, wenn sie nicht ihren knallorangenfarbenen Dienstanorak tragen würde. 2.200 Tonnen Salz lagert die Autobahnmeisterei Dresden-Hellerau hier in einer Halle. „Ach, so viel ist das gar nicht“, meint die Chefin. „Das reicht gerade mal für zehn Wintertage.“

Und davon gab es 2020/21 mehr als genug. Noch bis vergangene Woche, als die Autobahnmeisterei eigentlich schon auf Sommerbetrieb umstellen wollte. Ihre 43 Mitarbeiter hatten zum ersten Mal seit Jahren wieder monatelang mit Schnee und Kälte zu kämpfen, ganz besonders am berüchtigten Burkauer Berg, dort herrschen oft Zustände wie im Gebirge. Eine anstrengende Zeit. Da hat sich Yvonne Milster schon ab und zu über böse Anrufe von Autofahrern geärgert, oft direkt von der Autobahn. „Das kann doch nicht sein, dass …“ bekam sie manchmal lautstark zu hören, wenn sie zeitig morgens im Büro kam und ihre Männer gerade abgekämpft von der Nachtschicht auftauchten. Oder: „Was ist denn hier los? Da müssten Sie doch …“

Straßenwärter Rocco Märker kontrolliert die 500 Meter langen Röhren unter der Dresdner Elbe-Autobahnbrücke.
Straßenwärter Rocco Märker kontrolliert die 500 Meter langen Röhren unter der Dresdner Elbe-Autobahnbrücke. © Matthias Schumann

So etwas muss der Chef einer Autobahnmeisterei aushalten. Auch wenn der Chef eine Frau ist, 37 Jahre jung und in einem klassischen Männerberuf unterwegs. Auch deshalb vielleicht ist Yvonne Milster die einzige Chefin einer Autobahnmeisterei in Sachsen, deutschlandweit gibt es nur zehn Chefinnen in 189 Unternehmen.

Vielseitiger geht es kaum

Aber die Autobahn hat sie schon immer gereizt und die Ausbildung zur Straßenwärterin auch, die sie nach der Schule in Weißenberg in der Oberlausitz begann. „Straßenwärterin“ klingt jetzt nicht so wahnsinnig spannend, ist es aber für handwerklich Interessierte, die Wind und Wetter nicht scheuen. Man lernt da nicht etwa nur Schnee schippen, Gras mähen und Straßen absperren. Straßenwärter und Straßenwärterinnen müssen mauern und fliesen können, Beton gießen, Bäume beschneiden, Metall und Holz bearbeiten. Vielseitiger geht kaum. Und sie müssen alle möglichen Fahrzeuge fahren können – vom Kleintransporter bis zum Schneepflug. All das hat Yvonne Milster gelernt, bevor sie erst eine Weiterbildung zur Technikerin und dann zur Straßenmeisterin absolvierte. Seit drei Jahren darf sie sich nun Autobahnmeisterin nennen und das Kommando führen in Dresden-Hellerau. Ihre Autobahnmeisterei ist für die A4 zwischen Dreieck Nossen und dem Burkauer Berg sowie für die A13 bis zur Landesgrenze Brandenburg zuständig. Sie ist Chefin einer Männertruppe, viele davon selbstbewusst und wettergegerbt, die sich als Hausmeister der Autobahn verstehen.

Damit Salz und Sole noch schneller auf die A4 kommen, wurde bei Ohorn ein weiterer Stützpunkt errichtet.
Damit Salz und Sole noch schneller auf die A4 kommen, wurde bei Ohorn ein weiterer Stützpunkt errichtet. © Matthias Schumann

Ja, doch, meint sie, wir Reporter könnten schon mal einen Tag mit rausfahren auf die Autobahn mit einem ihrer Männer. Kann nicht schaden, wenn die Öffentlichkeit erfährt, was hier zu leisten ist. Aber vorher besteht sie nachdrücklich auf Corona-Tests. Ihre Leute leben schließlich so schon gefährlich genug, wenn sie auf der Autobahn Schlaglöcher flicken oder verbogene Leitplanken ausbessern müssen. Nicht immer können sie sich auf ihre Warnwesten verlassen. Ihre Truppe wird den Tag nicht vergessen, als ein Lkw mit vollem Tempo auf ein Signalfahrzeug der Autobahnmeisterei prallte und ihren Leuten die Gerätschaften um die Ohren flogen. Nur kühne Sprünge verhinderten Schlimmeres.

Wir gehen also mit Straßenwärter Rocco Märker, 34, auf Streckenkontrolle. Sein Kleintransporter, ganz in Orange, ist ein kampferprobtes Gefährt, hat 400.000 Kilometer runter und einen langen Riss in der Windschutzscheibe. Über eine abgesperrte Notstrecke des Dresdner Flughafens sind wir überraschend schnell auf der A4. Rocco Märker übernimmt heute die Streckenkontrolle, die zu den ständigen Aufgaben der Autobahnmeisterei gehört. Gucken, Mängel notieren, weiterleiten an die Chefin, die dann entscheidet, was zu geschehen hat.

Die Mitarbeiter vom NOC überwachen in Hellerau sächsische Tunnel und die Netzwerke enlang der Autobahnen.
Die Mitarbeiter vom NOC überwachen in Hellerau sächsische Tunnel und die Netzwerke enlang der Autobahnen. © Matthias Schumann

Der erste Halt ist nicht an, sondern unter der langen Autobahn-Elbbrücke in Dresden. Rocco Märker öffnet eine unscheinbare Tür und klettert im Inneren des Brückenbaus durch ein Labyrinth an Treppen und Gängen bis ganz hoch unter die Fahrbahnen. Hier prüft er die Widerlager, die Hitze- und Kältespannungen der Brücke ausgleichen, und marschiert dann in vier 500 Meter lange Gänge, die unter den Fahrbahnen und über die Elbe hinwegführen. Man kann sie von unten als lange blaue Kästen erkennen. Hier kontrolliert er die Beleuchtung, achtet auf Kabelstränge und auf Sauberkeit in den Röhren. Allein hier ist er, während über ihm der Verkehr tobt, glatt zwei Kilometer zu Fuß unterwegs.

Wenn Dynamo-Fans Bäume absägen

Als es wieder auf die A4 geht, macht Rocco Märker auf ein Graffito aufmerksam, das offenkundig von Dynamo-Fans groß und breit an eine Mauer an der Autobahn gesprüht worden war. Für die Beseitigung solcher Werke ist prinzipiell auch die Autobahnmeisterei zuständig, allerdings kümmert sie sich nur um verfassungsfeindliche Aufschriften. Mehr ist nicht zu schaffen. Spaß haben Rocco Märker und seine Kollegen jedenfalls nicht daran, erst recht nicht, wenn wie in diesem Falle die Dynamo-Künstler nicht nur Spraydosen dabei hatten, sondern auch Sägen, um die Bäume ringsum zu beseitigen, damit die Aufschriften besser zu lesen sind.

Auf der Weiterfahrt registriert Rocco Märker dann genau, wie es auf und über, links und rechts der Autobahn zugeht. Sind die Hinweisschilder gut lesbar oder müssen Buchstaben ersetzt werden? Sind Gebüsch und Äste noch weit genug von den Fahrbahnen entfernt, oder müssen die Kollegen hier bald zum Ausschneiden herkommen? Ist die Dieselspur an der Abfahrt Dresden-Wilder Mann jetzt wirklich endgültig beseitigt oder muss noch mal nachgearbeitet werden? Sind die Verkehrsbrücken über der Autobahn in einwandfreiem Zustand oder muss ein Reparaturauftrag raus? All das registrieren Märkers geschulte Augen in Sekundenschnelle.

Rocco Märker auf Baustellen- und Wildbrückenkontrolle am Burkauer Berg.
Rocco Märker auf Baustellen- und Wildbrückenkontrolle am Burkauer Berg. © Matthias Schumann

Am Burkauer Berg klettern wir dann auf die berühmte Wildbrücke. Es geht ruhiger zu hier oben als erwartet, und es gibt tatsächlich reichlich Tierspuren, wir tippen vor allem auf Wildschweine. Allerdings sind auch Fahrrad- und Motorradspuren nicht zu übersehen. Es ist also ordentlich was los hier oben. Von wegen nutzt ja keiner.

Von der Brücke aus in Fahrtrichtung Dresden ist ein Regenrückhaltebecken zu erkennen, auch um so etwas kümmert sich die Autobahnmeisterei. Regenwasser von den Fahrbahnen wird hier gesammelt, weil ja Verunreinigungen durch Öl vorkommen können. Im Becken am Burkauer Berg etwa wird das Wasser gesammelt, unterirdisch vom Öl befreit und das saubere Wasser in Rohrleitungen über den Berg in ein dahinterliegendes Flüsschen geleitet. Ein enormer Aufwand. Auch hier kontrolliert Rocco Märker, ob alles seine Ordnung hat.

Alles, was er unterwegs registriert und zunächst im Kopf gespeichert hat, gehört zu den klassischen Arbeiten im Frühjahr. Seine Chefin ist mit ihrer Mannschaft längst darauf eingestellt, dass jetzt Schlaglöcher notgeflickt werden müssen – nach dem langen Winter eher mehr als sonst und eine der gefährlicheren Arbeiten. Wildzäune müssen repariert werden. Die eigene Fahrzeugwerkstatt hat jetzt gut zu tun mit der Reparatur und dem Umrüsten der Schneepflüge und Streufahrzeuge.

Hintergrund: Wie wird die Autobahn digital überwacht?

Auf dem Hof der Autobahnmeisterei Dresden-Hellerau fällt ein modernes Gebäude auf, das ein besonderes Eigenleben führt. Dort gibt es einen Kontrollraum mit einer enormen Monitorwand, zwei Mitarbeiter des Network Operations Center (NOC) tun hier in der erst 2020 eröffneten Einrichtung Dienst. Ein Mitarbeiter schaut auf die Bilder vieler Überwachungskameras in Sachsens Autobahntunneln. Im Ernstfall, einem Brand etwa, setzt er sich mit der Feuerwehr in Verbindung, ordnet die Sperrung des Tunnels an und informiert alle Behörden. Dieser Mitarbeiter ist von hier aus auch in der Lage, den Verkehr über Geschwindigkeitsbegrenzungen und Spurensperrung so zu steuern, damit in den Tunneln kein Stau entsteht.

Mitarbeiter Nummer zwei hat die kompletten Netzwerksysteme der Autobahn zu überwachen. Die kann man nicht mit Kameras zeigen, weil es sich um 4.100 Kilometer Datenleitungen unter der Erde handelt. Dieses autobahneigene Netzwerk verbindet alle Liegenschaften, darüber werden auch die Verkehrsströme gesteuert. Auch hier können Pannen auftreten, die schnell beseitigt werden müssen.

In Deutschland gibt es nur zwei solcher NOC, eines in Dresden, das andere in Frankfurt/Main. Sie überwachen das komplette deutsche Autobahnnetz. (OK)

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Aber Yvonne Milster schickt ihre Männer auch jeden Tag, sommers wie winters, auf die Parkplätze. Grünflächen in Ordnung halten, Picknickbänke säubern. Besonders beliebt bei ihren Kollegen ist das Aufsammeln unzähliger Zigarettenkippen, die mal wieder nicht im Aschenbecher gelandet sind. Na ja, und das tägliche Reinigen der Toilettenanlagen auf den Parkplätzen gehört jetzt auch nicht zu den besonderen Highlights eines Straßenwärters. „Ist aber notwendig, jeder weiß das hier“, meint Yvonne Milster. Echte Hausmeister jammern nicht. Gerade in Corona-Zeiten ist das eine wichtige Aufgabe.

Autobahnmeisterin, ist das nun ein reiner Bürojob? Freilich, meint Yvonne Milster, es gibt viel Papierkram, tägliche Arbeitsberatungen, Dienstpläne müssen aufgestellt werden, Abstimmungen mit ihren Stellvertretern sind nötig. .Aber wenn es wirklich ernst wird, ist sie auch auf der Autobahn dabei. Bei schweren Unfällen zum Beispiel fährt sie raus, um sich selbst ein Bild zu machen, was zu tun ist. „Ich muss das sehen.“ Wie muss die Unfallstelle abgesichert werden? Sind Leitplanken beschädigt? Muss die Geschwindigkeit um die Unfallstelle herum reduziert werden? Sie muss es sehen und dann entscheiden.

Denn die Verantwortung dass nicht noch mehr passiert, trägt ja immer noch der Chef.

In diesem Falle die Chefin.

Alle Teile unserer Reportagen-Serie "Lebensader A4" finden Sie hier.