Nur selten liefert Bert Stephan einfach ab, was man von ihm erwartet. Als Kommandeur des legendären New Art Orchestra of North, der ultimativen Dresdner Vorwende-Szene-Bigband, hatte er von Amts wegen für Chaos zu sorgen. Das zeichnete die vielköpfige Truppe schließlich neben ihrer Virtuosität aus. Doch schon als Mitglied einer Dixieland-Truppe fiel Stephan Anfang der 80er-Jahre dank seines grünen Kontrabasses auf.
Bei seinen Auftritten mit der Dresdner Kultband Dekadance verlor er bei Ansagen gelegentlich den Faden, nie jedoch die musikalische Linie aus dem Blick. Seit Jahren schien sich Stephan, nunmehr vor allem Bass-Begleiter von Olaf Schubert, mit einem gut dotierten Job in der zweiten Reihe zufriedenzugeben. Doch nein, das war’s mitnichten. Jetzt schlägt er wieder einen Haken und verpasst keinen Olaf-Schubert-Gags den passenden Sound, sondern den eigenen Naturfilmen.
Bert Stephan, 1961 in Zittau, „einer Stadt im äußersten Westen von Polen“, geboren, hat mit seinem Trio Ravenshope ein erstes Album aufgenommen und eben veröffentlicht. Ausschließlich auf Vinyl, denn „das CD-Zeitalter ist vorbei“, stellt er nüchtern fest. Bevor Ende 2022 die neuen Kollegen dazustießen, „gab es erste Versuche bereits vor fünf Jahren“, so Stephan. „Damals habe ich ein bisschen in Richtung Techno und Electro experimentiert.“ Genres, mit denen sich der gelernte Tischler und an der Dresdner Musikhochschule am Kontrabass ausgebildete Musiker in seiner Karriere bisher wenig befasst hatte.
Seine einstigen Vorlieben für Jazz, Funk, Rock und Avantgarde-Pop klingen dennoch bei Ravenshope an. Wenn auch gut versteckt unter grundsätzlich sehr sphärischen Klängen. Diese speisen sich aus eher diskret als vordergründig treibenden Beats, über denen synthetische Sounds flirren, dazu Stephans Spiel auf dem Flügelhorn, mal etwas Gitarre, mal Gesang, nie jedoch ein Anflug von Aufdringlichkeit oder Wichtigtuerei. Eben ursprünglich reines Mittel der Untermalung. Denn seit 2018 ist Bert Stephan als leidenschaftlicher Filmer unterwegs und wollte von Anfang an seine Bilder nicht nur laufen, sondern auch klingen lassen.„Angefangen hat es 2018 in Australien“, erzählt er. „Dort habe ich damals auch den Namen für das Projekt aufgeschnappt.“ Ravenshope leite sich ab von Ravensthorpe, einem „ziemlich verlassenen Nest im Südwesten Australiens, aber mit einer guten Bar.“
Stephan hält nicht einfach die Kamera auf markante Naturformationen, er lässt sie bevorzugt fliegen. Nicht zuletzt deshalb heißt das erste Album nun auch „From Above“, also „Von oben“. Ein Schlüsselerlebnis hätte es nicht gegeben. „Mich haben nur Luftaufnahmen schon immer begeistert“, so Stephan. „Man sieht die Dinge aus einem völlig anderen Blickwinkel und es eröffnen sich Horizonte – im wahrsten Sinne des Wortes.“ Die einzelnen Nummern auf dem Album bekamen jetzt keine kryptischen Titel, sondern heißen wie die Regionen, in denen die dazugehörigen Filme entstanden. „Australien“ etwa oder „Namibia 1“ und „Namibia 2“.
An Bert Stephans Seite waren im Studio Schlagzeugerin Reni Reichelt und Klangbastler Andreas Krug im Einsatz. Reichelt, eigentlich Volkswirtin, trommelt sonst bei den Swingin’ Bluebirds. Und Krug, gelernter Bauzeichner, arbeitete bisher bei vielen genreübergreifenden Musikprojekten mit. Sind die drei jetzt eine reguläre Band? „Na klar“, sagt Bert Stephan. „Wir verstehen uns als Band – und suchen noch einen Bassisten.“
Live-Premiere in der Schauburg
Obwohl er genau das mal gelernt hat, übernimmt er, der seit den 80ern in unterschiedlichsten Konstellationen Trompete und Flügelhorn spielt, bei Ravenshope keinesfalls diesen Job. Er hält den Laden zusammen, gibt die inhaltliche Richtung vor und erklärt: „Das ist für mich schon ein sehr ernsthaftes Hobby. Deshalb gilt auch mit Blick auf Konzerte: Was zuerst da ist, wird gemacht. Wir müssen also sehr langfristig planen.“ Steht ein Auftritt mit Ravenshope bereits fest, müsste Olaf Schubert im Zweifelsfall zurückstecken.
Wie beispielsweise am 3. November. Dann präsentieren Bert Stephan und Kollegen in der Dresdner Schauburg das Gesamtpaket aus Naturfilmen und Soundtrack erstmals live. Apropos live: Die Abschiedstour von Dekadance war erst wegen Corona ausgefallen, dann hatte Stephan die Band 2022 aufgelöst, die finalen Konzerte abgesagt. Und wie sieht er das heute? „Ich vermisse die alte Zeit nicht“, sagt er. „Aber ich habe sie in sehr guter Erinnerung.“
Das Album: Bert Stephan feat. Ravenshope, From Above. Zu haben in den Dresdner Plattenläden Sweetwater und Zentralohrgan sowie online hier.
Das Konzert zur Platte: 3.11., 20 Uhr, Schauburg, DD