Oliver Reinhard: Wenn wir über die AfD sprechen, müssen wir auch über das reden, was klassische Presseorgane in den Augen vieler Mitglieder und Anhänger dieser Partei sind: „Mainstream-Medien“. Gibt es denn wirklich einen medialen Mainstream?
Kai Kollenberg: Es ist ja eine Binse, dass die Bevölkerung 2015 in der sogenannten Flüchtlingskrise den Eindruck hatte, in der gesamten Presselandschaft werde Frau Merkels Willkommenspolitik gutgeheißen. Tatsächlich zeigen Erhebungen und Analysen der Berichterstattung in den großen Medien, dass diese Meinung da durchaus sehr verbreitet war und nicht viele Gegenpositionen abgebildet wurden. Aber ich würde sagen, dass es seit einigen Jahren dazu eine Gegenbewegung gibt und man in neuen Genres wie Pro & Contra bei kontroversen Themen versucht, beide Meinungen gleich abzubilden und auch mal einer Gegenhaltung zur Mehrheitsmeinung in Deutschland größeren Raum zu geben.
Das Format Pro & Contra wird in der ARD inzwischen stark kultiviert. Wie wird das intern angenommen?
Gabor Halasz: Wir machen das total gerne. Und wer immer glaubt, es gebe nur eine Meinung in den öffentlich-rechtlichen Medien, den würde ich gerne mal Mäuschen spielen lassen in unseren Redaktionskonferenzen. Wir diskutieren und streiten viel, da können auch mal die Fetzen fliegen. Wir laden auch Leute zu Gastkommentaren ein, die nicht für die ARD arbeiten, und achten schon darauf, das Meinungsspektrum so breit wie möglich zu spannen.
Cornelia Schiemenz: Es gibt bei uns im ZDF zwar nicht die regelmäßigen Kommentare wie in den Tagesthemen der ARD. Aber dafür versuchen wir, Meinungsvielfalt durch die Wahl der Gesprächspartner herzustellen, und ich finde, das ist schon breit gestreut. Dieser Vorwurf des „linksgrün versifften“ öffentlich-rechtlichen Mainstreamrundfunks kommt ja aus einer bestimmten politischen Ecke, in der kritischer Journalismus generell nicht gerne gesehen wird. Das sind Diskreditierungsversuche, dem muss man sich halt immer wieder stellen.
Nun galt das ZDF lange als konservativ, heute längst nicht mehr. Gibt es einen progressiven Medien-Mainstream?
Schiemenz: Ich kann mich an die Zeit, als das ZDF als konservativ galt, gar nicht mehr erinnern. Aber ich halte unsere heutige Medienlandschaft für absolut vielfältig. Da gibt es doch alles, von der rechten Jungen Freiheit und der Welt und Bild bis nach links zur Jungen Welt und taz.
Von den Behauptern eines linksgrünen Medien-Mainstreams wird immer wieder gerne eine Umfrage unter Volontärinnen und Volontären nach deren politischen Neigungen zitiert, die dem ARD-Nachwuchs durchaus einen Hang Richtung Grüne und SPD belegt. Was ist davon zu halten, Herr Halasz?
Halasz: Diese Umfrage – in Anführungsstrichen – haben die Volontärinnen und Volontäre aus eigenem Antrieb gemacht, es haben sich auch nicht alle daran beteiligt. Ich frage mich da eher: Was soll uns das jetzt sagen? Sollen wir etwa unseren Nachwuchs danach rekrutieren, welche parteipolitischen Präferenzen die jungen Leute haben? Und wenn sie älter werden und sich das verändert – was dann?
Kommt der Großteil Ihres Nachwuchses eher aus Großstädten?
Halasz: Das ist so, und es gibt natürlich teils unterschiedliche Meinungen zwischen jungen Menschen aus der Stadt und vom Land. Aber mein Mutterhaus ist ja der NDR, und wir haben seit einigen Jahren das Regional-Volontariat, für das wir bewusst Leute suchen, die vom Land kommen und auch dortbleiben möchten, etwa in Mecklenburg-Vorpommern. Auch das ist für die Meinungsvielfalt wichtig.
Annette Binninger: Unserem Nachwuchs vermitteln wir als Teil der Ausbildung, wie man außerhalb von Kommentaren die eigene persönliche Meinung zurückstellt und professionell arbeitet als Journalist. Deshalb finde ich diese Befragungen und angeblichen Linksgrün-Hinweise auch sehr fadenscheinig. Es hat viel mit Zeitgeist zu tun, und das finde ich gar nicht schlimm. Die jungen Menschen begeistern sich momentan eben sehr für Umwelt und Naturschutz und lassen sich von den „Klimaklebern“ faszinieren. Wir „bremsen“ sie dabei und erklären ihnen: Ihr berichtet über diese Bewegung, ihr seid nicht Teil davon.
Wie ist es mit Ihnen, Kai Kollenberg? Wie gehen Sie mit Ihrer persönlichen Meinung und Ihren Haltungen professionell als Journalist um?
Kollenberg: Wenn ich mich mit einem Thema beschäftige, habe ich natürlich eine Haltung dazu. Die Frage ist, ob diese Haltung auch den Zugang prägt, mit dem ich mich journalistisch dem Thema nähere. Da muss man sich immer auch etwas zurücknehmen, je nachdem, welches Genre man bedient. An klassische Nachrichtentexte oder Berichte sollte ich nicht über meine Haltung gehen, sondern über Nachrichtenlage, Faktenlage, Quellenlage. Beim Kommentar ist es natürlich etwas ganz anderes, da will ich ja erfahren, wie der Journalist über das Thema denkt. Ich weiß natürlich, dass viele Menschen glauben, wir hätten alle die gleiche Haltung und dürften auch nichts anderes schreiben. Aber das ist mir echt zu billig. Und wenn uns die AfD vom rechten Rand her betrachtet, sind wir natürlich alles Mainstream.
Die Behauptung, es gebe einen medialen Anti-AfD-Mainstream, steht ebenfalls im öffentlichen Raum. Kann man über die AfD berichten wie über die anderen Parteien auch?
Halasz: Ja und nein. Nein, weil die AfD keine Partei wie jede andere ist, sondern in Teilen rechtsextrem ist. Das sagt der Verfassungsschutz, das ist auch meine Haltung auf Basis einer intensiven Beschäftigung mit dieser Partei. Ich war zum Beispiel jetzt sechs Tage beim Parteitag in Magdeburg und konnte sehen: Der Artikel Eins unseres Grundgesetzes – die Würde des Menschen ist unantastbar – gilt für die AfD immer öfter nicht mehr. Und über Zuwanderung und Abschiebung wurde gesagt: Es ist uns egal, was der Europäische Gerichtshof dazu meint. Das ist eindeutig verfassungsfeindlich. Und anderseits – ja: Ich würde über jede andere Partei, die solche Dinge von sich gibt, genauso berichten wie über die AfD.
Anders als andere Parteien wird die komplette Bundestagsfraktion der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet, die Landesverbände von Thüringen und Sachsen-Anhalt gelten als gesichert rechtsextrem. Wie gehen Sie mit dieser Besonderheit als Journalistin um?
Schiemenz: Man kann über die AfD nicht berichten, als sei es eine ganz normale Partei. Verstoßen Reden offensichtlich gegen das Grundrecht, muss man das aufzeigen. Das Problem: Wenn wir mit AfD-Politikern zu tun haben und sie interviewen, hören wir im Zweifel eben nicht die rassistischen Auswürfe. Deshalb muss man sich in den Hinterzimmern und auf Parteitagen umhören, wenn man wissen will, wie die Partei wirklich tickt. Andererseits können wir uns ihr natürlich nicht völlig verschließen.
Mehr als ein Drittel der Menschen in Sachsen neigen momentan der AfD zu.
Schiemenz: Richtig, und wir müssen über diesen Bevölkerungsteil genauso berichten und deren Meinungen abbilden wie bei den Anhängern anderer Parteien. Die Frage ist, wie wir das dann einordnen. Eine Normalität, wie sie etwa im Umgang mit anderen Parteien herrscht, gibt es da sicherlich nicht. Auch nicht im Umgang der Partei mit Pressevertretern auf Parteitagen. Da werden Kollegen ausgeschlossen, Journalisten in die hinterste Hallenecke verbannt hinter fünf Meter Absperrband, damit man den Delegierten nicht zu nahekommt. Nichts davon ist wie bei anderen Parteien.
Wie und wann aber vermittelt man, dass die AfD keine ganz normale Partei ist? Indem man stets die Information „in Teilen rechtsextrem“ mitliefert, die sie von allen anderen Parteien unterscheidet?
Kollenberg: Muss ich das unbedingt in jedem Text über die AfD erwähnen oder nicht – das ist, glaube ich, die Grundfrage, um die es geht, darüber wird ja auch unter Journalisten viel diskutiert. Ich habe da eine klare Meinung: Ich muss den Leser nicht bei jeder Gelegenheit unbedingt sagen, dass sie in Teilen rechtsextremistisch ist.
Wann zum Beispiel nicht?
Kollenberg: Etwa wenn sie den Landwirtschaftsminister kritisiert, weil der die EU-Agrarmittel zu spät auszahlt. Überhaupt: Die Wähler wissen sowieso, dass die Partei teils rechtsextremistisch ist, aber es juckt sie schlichtweg nicht, im Gegenteil.
Die AfD gewinnt weiter hinzu.
Kollenberg: Eben. Wenn es aber um Themen geht, die den Kern des Demokratieverständnisses der AfD berühren, muss man unbedingt sagen, dass sie in Teilen rechtsextremistisch ist. Und natürlich die Widersprüche aufzeigen, wenn AfD-Politiker mal wieder Stuss reden oder sogar Unwahrheiten verbreiten. Ansonsten muss man sie, auch und gerade in Sachsen, wo sie die größte Oppositionspartei ist, mit den Sachthemen so ernst nehmen, wie man das bei den anderen Parteien auch macht.
Binninger: Bei uns in der Sächsischen Zeitung und auf Sächsische.de gilt der Grundsatz: professioneller Umgang auch mit der AfD. Das klingt banal, ist es aber nicht. Zum Beispiel, um das auch Nichtjournalisten zu verdeutlichen, wenn es um die Rede von Björn Höcke auf dem Dresdner Schlossplatz geht, die ich mir anhören musste. Wir haben weder die ganze Rede wiedergegeben noch alle zentralen Passagen. Denn Höcke hat dort wieder derart viele rechtsextremistische Inhalte von sich gegeben und damit so eindeutige Belege für dieses Etikett „rechtsextremistisch“ geliefert hat, dass wir diese Inhalte nicht auch noch bei uns im Blatt oder online wiederholen.
Weshalb?
Binninger: Weil wir sie damit weiterverbreiten würden und das die Wirkung hätte – da bin ich mir ganz sicher –, als wäre das, was dort gesagt wurde, etwas ganz Normales. Das ist es aber nicht. Aus diesen Kreisen wird immer wieder der Gewalt Vorschub geleistet, es geht Gewalt daraus hervor, und es wird eindeutig die Grenze der Menschenwürde überschritten. Auch die von Privatheit, ob man jetzt vor dem Haus des Ministerpräsidenten aufkreuzt oder sogar mit Fackeln vor dem der Sozialministerin.
Kollenberg: Pegida und Höcke und Freie Sachsen – diese Extrembeispiele fallen uns allen ein, und ganz viele Journalisten führen sie auch immer wieder an. Aber wir haben ja nicht jeden zweiten Tag Björn Höcke hier, und nicht jede Woche Pegida vorm Landtag. Und wenn es allein um Sachthemen geht, weiß ich nicht, ob uns Journalisten nicht in Teilen auch mal die Nüchternheit fehlt, zu sagen: Okay, dann schreibe ich einfach mal ganz sachlich auf, was die AfD zu diesem Thema sagt.
Binninger: Aber das tut ihr doch. Wir machen es ja auch.
Kollenberg: Ja, aber ich weiß nicht, ob wir der AfD da einen Vorteil zugestehen, wenn wir nicht im gleichen Maße über deren Sachthemen berichten. Wenn wir sie als Schmuddelkinder behandeln, gönnen wir ihnen den Triumph, sagen zu können: „Seht ihr, die Medien haben schon wieder nicht über unsere Sachthemen berichtet.“
Binninger: Das ist so ein Satz, der mich echt sauer macht. Auf viele Presseanfragen reagiert die AfD gar nicht, und dann wundern sie sich, dass sie nicht vorkommen.
Kollenberg: Ja, unbedingt.
Binninger: Wenn wir über den Umgang von Journalisten mit der AfD reden, müssen wir auch über den Umgang der AfD mit Journalisten reden. Das ist ein sehr schwieriges Verhältnis, da gibt es von deren Seite keine Professionalität. Im Gegenteil: Da werden auch schon mal Kollegen bedroht, ausgeschlossen oder wie der letzte Dreck behandelt. Die AfD tritt die Pressefreiheit mit Füßen, wann es ihr beliebt.
Kollenberg: Das stimmt. Und trotzdem würde ich mir ein bisschen mehr Gelassenheit auch bei uns wünschen.
Binninger: Ich auch. Aber ich glaube, wir sind hier mittlerweile auch schon viel gelassener geworden, schließlich sitzt die AfD hier länger im Landtag als irgendwo sonst. Manchmal wundere ich mich auch über den Blick einiger überregionaler Medien auf uns. Nach dem Motto: „Wie könnt ihr denn zu diesem oder jenem Thema bloß jemanden von der AfD interviewen?“ Aber das gehört eben dazu. Es erfordert einen erheblichen Vorbereitungsaufwand.
Mehr als vor Interviews mit CDU, SPD, Grünen und FDP?
Halasz: Ja, weil die AfD gerne in diesen Gesprächen Behauptungen aufstellt, für die sie keine Belege liefert, weil es gar keine gibt. Ein Beispiel: Der Parteivorsitzende Tino Chrupalla war bei „Hart, aber fair“ und hat dort gesagt, die Postbank habe ihm sein Konto gekündigt. Ich habe bei der Postbank angerufen, aber die haben die Geschichte nicht bestätigt. Also ich persönlich möchte ebenfalls nicht, dass jemandem wegen einer Parteimitgliedschaft das Konto gekündigt wird, aber weder Tino Chrupalla noch die Postbank waren bereit, über die Geschichte zu reden. Interessant ...
Frau Schiemenz, finden Sie wie Kai Kollenberg, dass man es nicht übertreiben sollte beim Berichten über die AfD mit der ständigen Ergänzung „in Teilen rechtsextremistisch“?
Schiemenz: Wenn man diese Information jedes Mal mitliefert, besteht die Gefahr der Abnutzung. Man muss das man vom Thema abhängig machen. Wenn ich in einer Nachricht von 1.30 Minuten zur Rentenerhöhung auch den rentenpolitischen Sprecher der AfD dazu befrage, muss ich nicht davor sagen, dass er Mitglied in einer teilweise rechtsextremistischen Partei ist.
Wie beurteilen Sie demgegenüber die Gefahr der Normalisierung der AfD?
Schiemenz: Hier in Sachsen wird sie ja längst von einem Teil der Bevölkerung als völlig normale Partei angesehen. Ich bin vor 3 Jahren nach Sachsen gekommen. Wenn ich am Anfang hier bei Straßenumfragen nach der AfD gefragt habe, wollten viele Leute nicht ihren Namen sagen oder erst gar nicht gefilmt werden. Bin ich heute in Sachsen an AfD-Wahlständen unterwegs, kommen die Leute freiwillig auf mich zu, wollen von sich aus reden und sagen, dass die AfD die Partei ist, die die Interessen des kleinen Mannes vertritt. Man schämt sich nicht mehr dafür, dass man AfD wählt, es ist Normalität geworden.
Binninger: Ich glaube ebenfalls, dass das Etikett rechtsextremistisch nicht mehr abschreckt, auch deshalb, weil vielen Menschen gar nicht klar ist, was der Begriff eigentlich meint. Ich glaube, wir müssen viel deutlicher machen, was „rechtsextremistisch“ bedeutet. Aber es gibt kein Rezept für den Umgang mit der AfD, wir entscheiden das von Fall zu Fall. Es ist auch nicht unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Zustimmungszahlen der AfD sinken. Wir sind Journalisten, wir berichten.
Nun sollten Journalisten Attribute wie „rechtsextrem“ ohnehin nicht benutzen, um etwas damit auszurichten. Ist es nicht vielmehr unser Job, die wesentliche Info mitzuliefern, die zeigt, dass die AfD keine Partei wie jede andere ist?
Halasz: Richtig, es ist nicht unsere Aufgabe als Medien, irgendwas auszurichten. Jeder und jede, die AfD wählt, weiß genau, wen sie da wählen. Das ist nun wirklich kein Geheimnis mehr, dass diese Partei in Teilen rechtsextrem ist, dass es verfassungsfeindliche Aussagen gibt und sie mit der Achtung der Menschenwürde ein Problem hat.
Ich glaube nicht, dass alle Wählerinnen und Wähler der AfD wissen, inwiefern deren Programm oder viele Aussagen von Mitgliedern gegen die Menschenwürde verstoßen.
Halasz: Aber wir senden das doch, man kann es sehen und hören, es ist öffentlich, nicht nur hinter verschlossenen Türen.
Ich meine: Vielen Menschen ist es egal, ob oder dass gewisse Aussagen gegen die Menschenwürde verstoßen. Manche stimmen da sicher auch zu, gerade wenn es um Zuwanderer geht.
Halasz: Das ist Fakt. Und es ist Sache der Zivilgesellschaft, damit umzugehen und das zu diskutieren. Es ist als Journalist nicht mein Job, zu bekehren oder Leuten zu sagen, sie müssten unbedingt darauf achten, dass das Grundgesetz eingehalten wird.
Kollenberg: Eine Frage, auf die ich für mich noch keine Antwort gefunden habe: Wir haben schon vor zehn Jahren über diesen damals noch kleinen, aber vielleicht wesentlichen Teil der AfD berichtet, der radikal war. Damit haben wir ihn sehr prominent gemacht, ins Licht gerückt und gesagt: Das sind die Schmuddelkinder. Dann wurde dieser Teil immer größer, und wir haben immer mehr darüber berichtet.
War das falsch?
Kollenberg: Nein, das war richtig, weil es auch da schon um Rechtsextremisten ging. Aber ich weiß nicht: Haben auch wir Medien dazu beigetragen, dass sich diese Partei selbst radikalisiert hat? Weil viele auch aus Trotz gesagt haben: Na, wenn wir jetzt schon alle als Nazis und Faschisten gelten – bitte, dann sind wir es jetzt auch?
Halasz: Warum steht dann niemand mehr auf in dieser Partei? Beim Bundesparteitag werden sechs Tage lang extreme Reden gehalten, und eine einzige Abgeordnete hat Björn Höcke auf offener Bühne widersprochen. Das war alles. Also müssen Sie das die AfD selber fragen, Herr Kollenberg: Warum ist es so gekommen, dass Jörg Meuthen, Frauke Petry, Bernd Lucke und Konrad Adam alle nicht mehr in dieser Partei sind?
Kollenberg: Dass Teile der AfD opportunistisch agieren, ist klar. Also werden sie das Lied singen, das jetzt sozusagen populär ist, das Höcke-Lied. Die Frage bleibt aber doch: Haben die Medien dazu beigetragen, Höcke so populär zu machen?
Halasz: Er ist Fraktionsvorsitzender. Natürlich ist es Aufgabe der Medien, über ihn zu berichten und über das, was er sagt.
Binninger: Tja, haben wir in irgendeiner Weise einen Anteil daran, dass sich bestimmte Dinge entwickeln, nicht nur in Bezug auf die AfD? Was ist unsere Rolle? Haben wir richtig gehandelt? Haben wir Fehler gemacht? Selbstkritisch sollten wir immer sein. Es gibt bestimmt mediale Mechanismen, die mit dazu beigetragen haben, dass das Thema AfD immer größer wurde.
Zum Beispiel Empörungsreflexe, mit denen manche Journalistinnen und Journalisten wie auf Knopfdruck reagieren, wenn zum Zwecke reiner Provokation mal wieder ein rechtsextremistischer Spruch aus den Reihen der AfD ertönt?
Binninger: Das würde ich nicht völlig abstreiten. Aber wir sollten darüber nicht das Eigentliche vergessen: die Frage an die Politik, was von ihr unterlassen wurde, dass diese Partei so groß werden konnte. Etwa dass man in Kenntnis der wachsenden Fluchtbewegungen mögliche Lösungen für die sich daraus ergebenden Herausforderungen noch nicht mal vorbereitet hatte, und die Strategien, die es dann irgendwann gab, nicht sichtbar und transparent gemacht hat. Und wenn ich mir den Umgang vieler Medien mit Sonneberg anschaue …
Wo die AfD das erste Landratsmandat in Deutschland geholt hat …
Binninger: Damals waren die Medien wie ein Bienenschwarm, der ganz gebannt auf die dortigen Ereignisse und die Menschen geschaut hat. Seitdem habe ich aber nichts mehr gehört aus Sonneberg. Dabei fände ich es total spannend zu erfahren, wie der AfD-Landrat nun arbeitet und wie sich seither die Stimmung entwickelt hat.
Kollenberg: Die zentrale Medienfrage für das nächste Jahr ist doch schon klar: Wird die AfD stärkste Kraft?
Schiemenz: Wir Medien dürfen aber auch nicht über jedes Stöckchen springen, das die Partei uns hinhält. Und nicht, wenn irgendein Stadtrat in irgendeinem Landkreis irgendwo irgendetwas Provokantes twittert, das gleich aufgreifen und aufblasen und der Provokation damit eine große mediale Öffentlichkeit verschaffen.
Gibt es einen richtigen und einen falschen Umgang mit der AfD?
Halasz: Das kann ich nicht so leicht beantworten. Falsch wäre auf jeden Fall, gar nicht oder zu wenig darüber zu berichten. Wenn ich zum Beispiel wissen möchte, warum die AfD gewählt wird, muss ich mit den Wählerinnen und Wählern sprechen. Und ich muss über die Themen arbeiten, die sie dazu bewegen, der AfD ihre Stimme zu geben. Ich als Ostdeutscher kämpfe in der ARD auch immer dafür, dass wir intensiv über den Osten berichten, gerade dort hat sie das größte Wählerpotenzial. Und das tun wir ja auch. Heute zum Beispiel kommen die Tagesthemen aus Bitterfeld-Wolfen.
Kollenberg: Wie ich schon sagte: Wir sollten ein bisschen gelassener mit der AfD umgehen. Man muss nicht versuchen, den AfD-Politiker oder den AfD-Wähler vom Gegenteil dessen zu überzeugen, was er denkt. Sachlich, ausgeruht, ohne Schaum vorm Mund über die AfD berichten – ich glaube, das wäre der richtige Umgang.
Auch angesichts der Tatsache, dass sich die AfD immer weiter rechtsextremisiert?
Kollenberg: Ich denke ja. Ich will auch den rechtsextremistischen Truppenteilen um Höcke keinen Vorwand liefern, über mich sagen zu können: Guck mal, da ist schon wieder Meinungsjournalismus. Man kann auch hart in der Sache berichten, ohne gleich eine Meinung mitzutransportieren.
Binninger: Ja, ein professioneller journalistischer Umgang mit der AfD bedeutet Gelassenheit, aber auch Klarheit. Und nochmals: Es bedeutet einen besonders sorgfältigen Faktencheck, also viel Nacharbeit.
Schiemenz: Wir dürfen kein Wähler-Bashing betreiben und müssen die Sorgen und Ängste derer ernst nehmen, die von dieser multiplen Krisenlage, in der wir uns befinden, stärker betroffen sind. Und wenn wir diese Themen ordentlich abbilden, können wir auch platten populistischen Botschaften etwas entgegensetzen, nämlich Fakten, Fakten, Fakten.
Obwohl sich immer deutlicher zeigt, dass vielen Menschen Fakten egal sind und sie lieber Lügen glauben, wenn diese sie in ihrem Denken bestätigen?
Halasz: Ich finde Gelassenheit ebenfalls wichtig. Es ist viel Arbeit, man muss viel kommunizieren – wir reden ja mit Politikern regelmäßig auch mal ohne Mikrofon und Kamera – und genug Zeit in solche Hintergrundgespräche investieren, um zu wissen, wie die Leute denken, wie auch diese Partei funktioniert.
Das klingt eher nicht nach weniger Medienpräsenz für die AfD …
Halasz: Wohl kaum, denn wir sprechen von einer Partei, die gerade hier im Osten in mehreren Bundesländern nach der Macht greift. Das bleibt ein sehr, sehr wichtiges Thema für die kommenden Jahre.
Notiert nach dem Podcast „Debatte in Sachsen“
DIE GESPRÄCHSPARTNER:
Cornelia Schiemenz, geboren 1975 in Leipzig, arbeitete bis 2000 im Hauptstadtstudio des „Zweiten“ und leitet seither das ZDF-Landesstudio Sachsen.
Annette Binninger zog 1997 von Bayern nach Sachsen und kam 2005 zur Sächsischen Zeitung. Seit 2012 ist sie Politikchefin und Mitglied der Chefredaktion.
Gabor Halasz wurde 1977 in Leipzig geboren. Seit 2017 arbeitet er beim NDR als Redakteur für Investigation und Information im ARD-Hauptstadtstudio.
Kai Kollenberg (40) stammt aus Bottrop. 2021 wechselte er von der Freien Presse als Chefkorrespondent Landespolitik zur Leipziger Volkszeitung.