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Dieser Sachse soll Deutschland auf die Sprünge helfen

Die Bundesregierung selbst bescheinigt der deutschen Wirtschaft, nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein. Rafael Laguna hat den Auftrag, das mit einer Agentur in Leipzig zu ändern.

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Rafael Laguna de la Vera wurde 1964 in Leipzig geboren, zog mit der Familie in den Westen und kehrte nun nach Sachsen zurück, um in Leipzig die Bundesagentur für Sprunginnovationen aufzubauen.
Rafael Laguna de la Vera wurde 1964 in Leipzig geboren, zog mit der Familie in den Westen und kehrte nun nach Sachsen zurück, um in Leipzig die Bundesagentur für Sprunginnovationen aufzubauen. © SPRIND GmbH

Von Oliver Voß

Die womöglich größte Hoffnung deutscher Wirtschaftspolitik verbirgt sich also hier, in einem Leipziger Gewerbegebiet. Am östlichen Rand des Hauptbahnhofs wehen Fahnen eines Baumarkts, vor einem Zoogroßhandel sind Paletten gestapelt, daneben parken die Transporter eines Autovermieters. Das „T&H Elektrolager“ bietet Kühlschränke auf dem Gehweg an, erste und zweite Wahl, zu „Heissen Preisen!“ Soll hier tatsächlich die Zukunft des Landes zu finden sein?

Jenes Landes, dessen Regierung sich ausgerechnet gerade darin einig ist, es sei nicht mehr wettbewerbsfähig? Wirtschaftsminister Robert Habeck gebrauchte den Begriff vor kurzem ebenso wie Finanzminister Christian Lindner. Die hohen Steuern, die hohen Energiepreise.

Ganz am Ende der Lagerhofstraße führt eine Metalltreppe in den ersten Stock. Hier hat Rafael Laguna de la Vera sein Büro. Er leitet die Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind) und ist damit der deutsche Chefscout für neue, umwälzende Unternehmens- und Produktideen. „Die letzte bahnbrechende Erfindung aus Deutschland war vor 120 Jahren das Auto“, sagt Laguna.

Deutschland bekomme zu spüren, dass sein altes industrielles Geschäftsmodell nicht mehr funktioniere, sagt Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Doch die Konsequenzen daraus werden nicht gezogen. „Wir sind Veränderungsangsthasen“, sagt Schularick. Bis wirklich etwas passiert, müsse der Druck noch steigen, vielleicht ein großer Autokonzern pleitegehen.

Laguna, der privat seinen dritten Tesla fährt, soll der ängstlichen, an sich selbst zweifelnden Nörgelnation wieder auf die Sprünge helfen. „Ich würde gern das Angst-Gen durch ein Mut-Gen ersetzen“, sagt der Sprind-Chef. Er will Forscher animieren, Firmen zu gründen und Gründern zur Startfinanzierung verhelfen, wenn Banken und selbst Wagniskapitalgeber das Risiko scheuen. Den Auftrag dafür hat noch die Vorgängerregierung erteilt, Kanzlerin Angela Merkel selbst hat sich für die Agentur stark gemacht.

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Die Agentur hat seit ihrer Gründung 2019 fünf „Challenges“ ausgerufen. Fünf Herausforderungen. In den „Wettbewerben für Weltveränderer“ sollen sie Energiespeicher entwickeln, Technologien, um Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen, antivirale Medikamente oder Konzepte für neue Computerchips finden.

Es ist eine unmöglich anmutende Aufgabe, die der 59-Jährige bekommen hat. Kein Wunder, dass sich dafür zunächst niemand fand. 2019 hatte eine Gründungskommission monatelang nach einer Leitung für die geplante Agentur gesucht, Laguna gehörte zu den zwölf Mitgliedern. Er war da noch Chef einer Softwarefirma. „Ich hatte eigentlich nicht vor, einen neuen Job anzutreten.“ Doch nach einem Abendessen fragte ihn der Kommissionschef Dietmar Harhoff, ob Laguna nicht selbst die Agentur aufbauen wolle.

„Multikulti-Unternehmer-Freiberufler-Familie“ aus der DDR

„Gesucht war jemand mit unternehmerischem Drive, einem exzellenten naturwissenschaftlichen Verständnis und sehr guten Kontakten in die Innovatoren-Community“, sagt Harhoff. Laguna erfüllte das Anforderungsprofil, überlegte nicht lange und wurde so zum neuen deutschen Chefinnovator.

Der plötzliche Wechsel passt in Lagunas Leben. Geboren wurde er 1964 in Leipzig und wuchs in einem Vorort auf, wo die aus Holland stammende Urgroßmutter und ihr zweiter Mann eine Maschinenfabrik hatten. Der Vater von Rafael Laguna de la Vera stammt aus Madrid, die Eltern arbeiteten als Dolmetscher und waren viel unterwegs. Diese für die DDR untypische „Multikulti-Unternehmer-Freiberufler-Familie“ prägte ihn früh. Als Laguna zehn war, reiste die Familie aus und zog ins Sauerland. Die Eltern starteten dort eine der ersten Skateboardfirmen.

Den wohl wichtigsten Einfluss auf sein künftiges Leben fand er nach der Ausreise noch viel weiter im Westen. „Ich war in den Sommerferien immer bei meinem verrückten Onkel in L.A.“, sagt Laguna. Im Kalifornien der späten Siebziger und frühen Achtziger entdeckte er die entstehende Welt der „personal computer“.

Während die damals dominierenden Hersteller von Großrechnern wie IBM die Idee eines Computers für zu Hause noch als absurd abtaten, besaß der Onkel schon die neuartigen, noch enorm teuren Tischrechner, wie den Xerox Alto oder den Apple II.

Riesige Begeisterung für Schaltkreise

Laguna war fasziniert, wollte wissen, wie die Geräte funktionierten, und begann, selbst Platinen zusammenzuschrauben. Die Begeisterung für Schaltkreise ist geblieben, in seinem Keller lötet der Fan elektronischer Musik in der Freizeit ab und zu analoge Synthesizer zusammen. Mit 16 gründete er seine erste Firma, Elephant Software, die Programme für die neuen Mikrocomputer aus den USA importierte. Während des Zivildienstes programmierte Laguna nebenbei ein Kassensystem für die Getränkewirtschaft. Mit seiner nächsten Firma kümmerte er sich um Computernetze für Versicherer.

Nun hilft er einer neuen Gründergeneration. Lagunas Optimismus ist riesig, seine Erwartungen sind es ebenso, wie sich beim letzten Besuch der Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger in Leipzig im Sommer zeigte. Bei Brezeln und Gebäck präsentiert der Sprind-Chef die bisherigen Projekte.

Auf zwei großen Bildschirmen zeigen kreisförmige Bilder DNA-Stränge, Computerchips und silbrig glänzende Maschinen. Darüber stehen die Ziele: „Daten speichern wie im Gehirn“, „Krebs heilen“ oder „Alzheimer besiegen“. Gerade im Medizinbereich gibt es viele Aktivitäten. „Wir wollen Biochips bauen, mit denen man schnelle Tests machen kann und wir wollen Adapter für Krebsantikörper bauen“, zählt Laguna auf. Grundlage für viele dieser Ansätze ist eine neue Technologie, die er „DNA-Origami“ nennt. Analog zur japanischen Papierfaltkunst, werden hier DNA-Stränge in bestimmte Formen gebracht, mit denen man dann beispielsweise gezielt an Krebszellen andocken oder Viren fangen kann.

So baut ein Sprind-Team nanometergroße Schalen, in denen Viren wie in einer Kapsel gefangen werden. „Wir haben bereits zehn verschiedene Virentypen mit der Virenfalle verkapseln können“, sagt Ralf Wagner von der Universität Regensburg. In Zellkulturen konnten so unter anderem Infektionen mit Influenza-, Corona- und Hepatitis-Viren verhindert werden.

In den Mühlen der deutschen Politbürokratie

Und Laguna präsentiert der Ministerin eine weitere Vision: Ein kleines Gerät, dass man beispielsweise an das Handy steckt. Darauf könne man dann einen Blutstropfen geben und Millionen von Molekülen und Proteinen analysieren, darunter Krebsmarker. „Das ist die ultimative Früherkennung“, schwärmt Laguna.

Laguna ist ein begnadeter Verkäufer von Ideen. Er wirkt dabei wie der Chef eines großen Wagniskapitalfonds, der Anlegern sein Start-up-Portfolio schmackhaft macht. Und etwas in der Art soll er nun auch werden, denn ab diesem Jahr kann sich die Agentur auch direkt an jungen Unternehmen beteiligen. Bislang gab es für die Förderung der Gründer nur komplizierte Hilfskonstruktionen.

Nach der Gründung lief das Projekt Sprind zwei Jahre durch das Räderwerk der Berliner Politbürokratie. Von der Vision einer Einrichtung, die unbürokratisch und unkonventionell Ideen fördert, war wenig übrig. Statt in futuristischen Visionen verlor sich Rafael Laguna in den Verästelungen der Bundeshaushaltsordnung.

Laguna ist ein begnadeter Verkäufer von Ideen.
Laguna ist ein begnadeter Verkäufer von Ideen. © Sprind/dpa

Zwar wird der Sprind ein Budget von zehn Milliarden Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren versprochen, doch bei der Vergabe der Mittel ist die Flexibilität extrem begrenzt. So wollen die Ministerien immer mitreden, wer Geld bekommen soll. „Das ist das Gegenteil der eigentlichen Idee, diese Aufgabe zu delegieren und damit aus dem Bürokratiebunker herauszukommen“, kritisiert Dietmar Harhoff. Am problematischsten ist jedoch der Zwang, für größere Förderungen hundertprozentige Tochterfirmen gründen zu müssen.

Für Harhoff sind diese Bundes-GmbHs eine „wirklich verquere Konstruktion“, da sie die Unternehmer zwingen, sich den Tarifvorgaben des öffentlichen Dienstes zu unterwerfen. Marktübliche Gehälter für Programmierer oder KI-Spezialisten zu zahlen, ist so nicht möglich. Zwei Drittel der Interessenten sind wegen der Bundes-GmbHs abgesprungen. Die Politik hat die Geburtsfehler inzwischen erkannt.

Doch auch die bisher unter erschwerten Bedingungen gestarteten Innovationen sollen schon in absehbarer Zeit im Alltag ankommen. So führt das Unternehmen Priavoid für sein neues Alzheimer-Präparat jetzt eine klinische Studie durch, die Ergebnisse werden 2026 erwartet. „Ein Medikament könnte also vor 2030 auf den Markt kommen“, sagt Laguna. Die Agentur fördert auch Start-ups und Gründer, die an neuartigen Energiespeichern tüfteln oder Mikroplastik aus dem Wasser eliminieren wollen. Dazu gehört eines der ersten Projekte, die Laguna vorgeschlagen wurden.

Bei der Eröffnungsfeier 2022 drückt ihm ein Rentner ein blaues Buch mit seinen Konstruktionsideen in die Hand. Rafael Laguna hält ihn zunächst für einen Spinner, doch es stellt sich heraus, dass Horst Bendix einer der wichtigsten Ingenieure der DDR war. Als 28-Jähriger war er Chefkonstrukteur des Schwermaschinenbauers VEB S. M. Kirow. Der Spezialist für Drehkräne war auch gefragt, als es darum ging, den Berliner Fernsehturm zu bauen. Bendix entwickelte die Krantechnologie, mit der die tonnenschweren Kugelteile auf gut 200 Meter Höhe gehievt wurden.

Rafael Laguna (r.) mit Horst Bendix, einem der wichtigsten Ingenieure der DDR. Bendix’ Vision von extrem hohen Windrädern könnte eine der ersten umgesetzen Innovationen der Agentur werden.
Rafael Laguna (r.) mit Horst Bendix, einem der wichtigsten Ingenieure der DDR. Bendix’ Vision von extrem hohen Windrädern könnte eine der ersten umgesetzen Innovationen der Agentur werden. © Spring

„Geht nicht, gibt’s nicht“, lautete das Lebensmotto des Leipzigers. Bendix las, dass Höhenwinde viel kräftiger und vor allem beständiger wehen, und fragte sich, warum niemand versucht, ihre Energie auszubeuten. Er entwickelte Konzepte, wie man Windräder etwa doppelt so hoch bauen kann wie bisher. Statt eines Säulenturms soll eine Gitterstahlkonstruktion genutzt werden.

Windradbauer winkten ab: unrealistisch oder zu riskant. In solchen Fällen soll die Sprind einspringen, tatsächlich soll Bendix’ Vision in diesem Jahr wahr werden. Bis Jahresende soll ein Prototyp entstehen, mit 365 Metern fast genauso hoch wie der Fernsehturm. Es wäre die erste umgesetzte Innovation der Agentur.