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Eine Stadt, fünf Kandidaten und viele Fragen: Pirna vor der Oberbürgermeisterwahl

Das Interesse am Urnengang am 26. November ist groß, das Bewerberfeld breit. Prognosen sind schwierig. Eines scheint aber festzustehen.

Von Domokos Szabó
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Wer zieht als Chef in Pirnas Rathaus ein? Von links nach rechts im Bild: die OB-Kandidaten Wätzig (SPD), Thiele (Freie Wähler), Dollinger-Knuth (CDU), Lochner (für die AfD) und Liebscher (Einzelbewerber).
Wer zieht als Chef in Pirnas Rathaus ein? Von links nach rechts im Bild: die OB-Kandidaten Wätzig (SPD), Thiele (Freie Wähler), Dollinger-Knuth (CDU), Lochner (für die AfD) und Liebscher (Einzelbewerber). © Bildstelle

Kräftezehrende Wochen liegen hinter den vier Männern und einer Frau. Begegnungen mit Wählern, Demos und Besuche von Parteiprominenz. Etwas matt wirken die Kandidaten bei einem Wahlforum der Sächsischen Zeitung im Tom-Pauls-Theater in Pirna. Im Podiumsgespräch geht es anderthalb Wochen vor dem Wahlsonntag um Themen von mehr Platz für Radfahrer bis hin zum geplanten Industriepark Oberelbe am Rande der Stadt.

Aber auch für die rund 40.000 Einwohner zählende Stadt am Rande der Sächsischen Schweiz sind diese Wochen außergewöhnlich. Selten in der jüngsten Vergangenheit war das Interesse an einer Wahl so groß. Denn einen Kandidaten mit Amtsbonus gibt es nicht, der langjährige Oberbürgermeister Klaus Peter Hanke (Freie Wähler) wird bald 70 und verabschiedet sich demnächst in die Rente; nach Kritikern hat er das innerlich schon eine Weile getan. Ein scharfer Konkurrent Hankes von der letzten Wahl vor sieben Jahren steht nun wieder in den Startlöchern, diesmal unter AfD-Flagge, daneben vier Mitbewerber, die sich alle gute Chancen ausrechnen.

Kandidaten alle 50 plus und Mitglied im Pirnaer Stadtrat

Zudem hat Pirna Reiz und Ausstrahlung - hier Rathauschef zu sein, ist mit Prestige verbunden. Seit der Friedlichen Revolution hat sich die Stadt herausgeputzt, glänzt mit einer sanierten historischen Altstadt, mit guter Infrastruktur und profitiert als Wohnstandort von der Nähe zu Dresden; ist zugleich eine gefragte Adresse unter Unternehmen. Allein der Platz für neue Ansiedlungen ist mittlerweile so knapp wie in Dresden - daher auch die Bemühungen um den Industriepark Oberelbe.

Noch nie gab es im Vorfeld einer OB-Wahl in Pirna so viele Chancen für die Kandidaten, sich öffentlich zu präsentieren. Vom Kreissportbund über die Volksbank bis hin zu einem Ortschaftsrat luden viele das Quintett ein, Fragen der Wähler zu beantworten. Selbst Organisationen wie etwa die Agentur „Stark4Sachsen“, die zuvor in Pirna nie öffentlich in Erscheinung traten, stiegen in den Wahlforum-Marathon ein.

Zum Schluss: das SZ-Wahlforum. Ralf Wätzig von der SPD, Ralf Thiele von den Freien Wählern, die CDU-Frau Kathrin-Dollinger Knuth, der von der AfD aufgestellte Tim Lochner und Einzelbewerber André Liebscher, alle Generation 50 plus, kennen sich nicht nur aus dem Wahlkampf. Als Stadtratsmitglieder entscheiden sie schon heute ehrenamtlich und gemeinsam über die Geschicke von Pirna mit, duzen sich außerhalb der Bühne sogar. Auf der werden an diesem Abend scharfe Attacken auf die Konkurrenz vermieden, über Seitenhiebe geht es nie hinaus.

Naziverbrechen aus dem Geschichtsbild getilgt

Umso mehr Emotionen arbeiten im Publikum. Besonders der SPD-Mann Wätzig, der auch von den Grünen und den Linken mitgetragen wird, bekommt Häme und Spott ab. "Lüge" und "Lügner" werden gerufen, es wird gebuht. Dabei ist Wätzig nicht von der polarisierenden Art. Auf dem Wahlforum antwortet er selbst auf Fragen sachlich und souverän, wie er denn den Industriepark Oberelbe an die Grünen verkauft, die entschlossene Gegner des Vorhabens sind. Ähnliche Klarheit lässt Tim Lochner etwa bei der Frage missen, wie er zum Rechtsextremismus in der AfD steht. Dass bereits die Frage unerwünscht ist, das machen seine Anhänger im Publikum lautstark deutlich.

Bilder aus dem Wahlkampf sprechen da eine klarere Sprache. Prominenter Unterstützer von Lochner im Wahlkampf war unter anderem der AfD-Spitzenkandidat für die Europa-Wahl, Maximilian Krah, der heutigen Generationen nahe legt, aus ihrem Geschichtsbild den Nationalsozialismus zu streichen, und Verschwörungstheorien verbreitet.

Doch Sympathiebekundungen in einem Wahlforum oder auf einer Kundgebung sind das eine. Das andere ist, wem die Wähler letztlich das Vertrauen geben. Tischlermeister Lochner gelang vor knapp sieben Jahren ein Achtungserfolg, heimste damals 32,9 Prozent der Stimmen ein. Doch an Amtsinhaber Hanke kam er nicht mal im Ansatz heran, der schaffte mit 60,5 Prozent bereits in der ersten Runde die Wiederwahl.

Zumindest von der politischen und gesellschaftlichen Verortung her wäre Ralf Thiele ein logischer Nachfolger für Hanke. Thiele ist Unternehmer, hat aber auch Verwaltungserfahrung, zudem ist er als Vorsitzender der Lebenshilfe Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sozial engagiert. Das bringt ihm Anerkennung von vielen Seiten ein - aber auch genug Wählerstimmen?

Pirna: Am 26. November ist Oberbürgermeisterwahl

Soziales Engagement liegt auch dem Einzelkandidaten André Liebscher. Er war sich (schon lange vor dem Wahlkampf) nicht zu schade, sich selbst mit gelber Weste gekleidet als Verkehrshelfer für Schüler auf die Straße zu stellen, als Not am Mann war. Aus Wählersicht könnte ein Nachteil sein, dass Liebscher in dem Stadtrat keine Hausmacht hätte - dort stellen Freie Wähler, AfD und CDU die größten Fraktionen, und zwar in gleicher Stärke.

Ähnliches dürfte für den gestandenen SPD-Mann Ralf Wätzig gelten, zudem muss er bei dieser Wahl fürchten, von einigen Wählern ohne eigenes Verschulden ein Zeugnis für die Berliner Ampel-Koalition ausgestellt zu bekommen. Die CDU-Frau Kathrin Dollinger-Knuth gilt zwar als integer und bringt auch Verwaltungserfahrung mit - auf ihr lasten jedoch interne Probleme ihres Stadtverbandes, die jahrelang ohne Lösung blieben. Seit dem Frühjahr ist sie aber Stadtverbands-Chefin der Christdemokraten. Ob das stimulierend zur Mobilisierung der Wähler beiträgt, wird sich am Sonntag, 26. November, zeigen.

Zweite Wahlrunde bei OB-Wahl in Pirna wahrscheinlich

Mit Blick auf dieses Gesamtbild halten sich politische Beobachter mit einer Prognose für den Wahltag zurück. Nur eines scheint klar zu sein: Alle fünf Kandidaten dürften die im ersten Wahlgang für einen Sieg erforderlichen mindestens 50 Prozent plus eine Stimme verfehlen. Damit läuft es auf einen zweiten Wahlgang hinaus, für den es wiederum von großer Bedeutung ist, wie sich die nach der ersten Runde eher aussichtslosen Kandidaten positionieren. Wie viele und welche Namen bei diesem erwarteten zweiten Wahlgang am 17. Dezember auf dem Wahlschein stehen werden - das ist in und für Pirna die nächste spannende Frage.