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CDU-Parteitag in Chemnitz beginnt: Diese drei Fragen muss die Partei dringend klären

Der Landesparteitag am Wochenende wird für die Sachsen-CDU zum Stimmungstest vor der Landtagswahl. Dabei muss die Partei dringend drei grundsätzliche Fragen klären.

Von Tobias Winzer
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Kretschmers Beliebtheitswerte sind im Vergleich zu anderen Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen hoch und liegen deutlich über den Zustimmungswerten für die sächsische CDU.
Kretschmers Beliebtheitswerte sind im Vergleich zu anderen Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen hoch und liegen deutlich über den Zustimmungswerten für die sächsische CDU. © dpa

Wenn sich Sachsens CDU an diesem Wochenende in Chemnitz zu ihrem Landesparteitag trifft, dann ist Optimismus die Maxime. Ob bei der Parteichef-Wiederwahl von Michael Kretschmer, den sonstigen Vorstandswahlen oder der Verabschiedung des neuen Grundsatzprogramms – die Parteispitze wünscht sich Bilder der Einheit und Geschlossenheit für die Landtagswahl in neuneinhalb Monaten.

Es gibt ja auch allen Grund zu Optimismus. Die Partei, die seit 1990 aus allen Landtagswahlen als stärkste Kraft hervorgegangen ist und seither immer den Ministerpräsidenten stellte, hat beste Chancen, auch nach 2024 die Landesregierung anzuführen.

CDU-Landeschef Michael Kretschmer – getragen von hohen Beliebtheitswerten in der sächsischen Bevölkerung – hat zudem beste Aussichten, erneut Regierungschef zu werden. Trotzdem läuft längst nicht alles rund bei den Christdemokraten. Das liegt auch daran, dass die Partei endlich drei grundlegende Fragen klären muss.

1. Reicht der Einzelkämpfer Kretschmer aus für den Erfolg?

Der Ministerpräsident hat es in den vergangenen fast sechs Jahren geschafft, die Rolle eines sächsischen Regierungschefs neu zu definieren. So volksnah, diskussionsfreudig und präsent war keiner seiner drei Vorgänger im Amt. Bei den Wählern kommt das gut an – auch weil Kretschmer ein gutes Gespür dafür hat, was den "Durchschnitts-Sachsen" umtreibt. Seine Beliebtheitswerte sind im Vergleich zu anderen Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen hoch und liegen deutlich über den Zustimmungswerten für die sächsische CDU. Es ist deshalb verständlich, dass die Partei voll und ganz auf Kretschmer setzt.

Zugleich macht sie sich damit aber stark abhängig, von einem Politiker, der zuweilen impulsiv und häufig auch nach Bauchgefühl agiert – zum Beispiel bei seiner Äußerung zum Russland-Ukraine-Krieg, man solle den Konflikt "einfrieren". Es fehlt in der Partei eine ordnende und rationale Kraft, die auch öffentlich wahrnehmbar ist. Hinter Kretschmer klafft eine große Machtlücke. Wo bleibt die nächste Generation? Und wäre es nicht auch mal Zeit für eine starke weibliche Stimme in der Sachsen-CDU?

2. Wie konservativ soll die CDU sein?

Eine Partei, die auf das Bewahren ausgerichtet ist, gerät durch Megatrends wie den demografischen Wandel, Urbanisierung, Klimawandel und Ressourcenknappheit unter Druck. Zugleich ist es gerade dieser konservative Anspruch, der viele Wähler an die CDU bindet. Haben wir nicht alle den Wunsch, dass wir von den großen Umbrüchen, die unweigerlich bevorstehen, möglichst verschont bleiben? Eine verantwortungsvolle konservative Politik besteht aber nicht darin, die Umbrüche zu negieren.

Beispiel Migrationspolitik: Dass Kriege, Hungersnöte und Naturkatastrophen zu immer mehr Flüchtlingsbewegungen auf der Welt führen, ist Fakt. Kretschmer geht einen schmalen Grat. Er hat die Dimension der Problematik zwar früh erkannt. Aber er betont in seinen Äußerungen populistische Lösungsansätze.

Wenn er Bargeldzahlungen für Flüchtlinge abschaffen will, suggeriert er, dass die vermeintlich paradiesischen Sozialleistungen in Deutschland der hauptsächliche Fluchtgrund wären. Wenn er über Monate hinweg stationäre Grenzkontrollen fordert, suggeriert er, Deutschland könnte sich vor den Fluchtbewegungen abschotten. Wenn er immer wieder eine Flüchtlings-Obergrenze ins Spiel bringt, suggeriert er, dass sich das Problem so lösen lässt. Tatsächlich würden diese Vorschläge kaum zu weniger Flüchtlingen führen.

Eine gute konservative Politik – zumal christlich geprägt – müsste sich darauf konzentrieren, die Wege zu einer geordneten Migration und die Notwendigkeit von Zuwanderung aufzuzeigen anstatt den Stammtisch zu bedienen.

3. Was hat die CDU mit Sachsen vor?

Wenn man nicht wüsste, dass Kretschmer Ministerpräsident von Sachsen ist, könnte man ihn in der Opposition vermuten. Parteipolitisch liegt das an seiner Doppelrolle als Regierungschef in Sachsen und als CDU-Bundesvize in Berlin, wo sich die Christdemokraten an der Ampel-Regierung abarbeiten.

Weil der Sachsen-CDU mindestens eine zweite starke Stimme neben Kretschmer fehlt, definiert sich die Politik der Partei so vor allem in der Abgrenzung zur Ampel-Regierung: Flüchtlingspolitik – falsch, Russlandpolitik – falsch, Energiepolitik – falsch. In Sachsen ringt die CDU außerdem mit der AfD um die meisten Stimmen. Auch von den Rechtspopulisten muss sie sich ständig abgrenzen. Es ist zu bezweifeln, dass solch eine Dagegen-Politik reicht, um bei der Landtagswahl 2024 erneut stärkste Kraft zu werden.

Wenige Monate vor der Wahl ist noch viel zu unklar, was die CDU eigentlich mit Sachsen vorhat. Was ist die Idee der Partei, damit es den Sachsen in Zeiten der Wandel und Umbrüche weiterhin gut geht? Welche Vision bieten die Christdemokraten den Wählern an? Angesichts ihrer Historie und ihrer derzeitigen Stärke hat die Partei eine besondere Verantwortung gegenüber den Menschen in Sachsen. Um sie zu erfüllen, müsste die CDU beginnen, diese drei offenen Fragen schnellstens und überzeugend zu beantworten.