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"Männer sind gerade dann wichtig, wenn sie dasselbe tun wie Frauen"

In Sachsen gibt es immer mehr Männer, die in Kindergärten arbeiten. Warum das gut für die Erziehung ist - und welche Herausforderungen es immer noch gibt.

Von Carlotta Böttcher
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Maik Mulansky arbeitet in der Prohliser Kita "Spatzennest" als Erzieher.
Maik Mulansky arbeitet in der Prohliser Kita "Spatzennest" als Erzieher. © SZ/Veit Hengst

Am liebsten wäre Maik Mulansky Fußballprofi geworden. Er war schon auf einem guten Weg dahin: Als Kind stand er für die Dynamo-Jugend auf dem Platz, talentiert am Ball, beliebt bei den Mitspielern. Er sagt: „Es ist ja nur normal, dass man als Junge davon träumt, Profi zu werden.“ Als er 15 Jahre alt wurde, musterte ihn Dynamo aus: zu wenig Wachstum, zu schmal.

16 Jahre später sitzt Mulansky auf einem grünen Teppich im Schneidersitz, um ihn herum elf Kinder zwischen drei und sechs Jahre alt. Die Froschgruppe trifft sich zur Morgenrunde. Max* erzählt, was er am Wochenende gemacht hat. Adham fragt, ob er doch lieber neben Julian sitzen darf. Marc hängt an Mulanskys Arm. Mulansky sagt: „Pscht“ und alle Kinder werden ruhig. Sie fassen sich an den Händen und singen: „Guten Morgen, ein neuer Tag beginnt, da freuen wir uns alle, dass wir beisammen sind.“

Maik Mulansky ist Erzieher in der Kita Spatzennest in Dresden-Prohlis. Damit gehört er zu den knapp elf Prozent sächsischer Erzieher, die als Männer in diesem Beruf arbeiten. In Dresden liegt der Anteil mit 15,5 Prozent etwas höher. Die Zahlen veröffentlichte das sächsische Kultusministerium Mitte Februar. Verglichen mit 2006, als lediglich 1,5 Prozent der sächsischen Erzieher Männer waren, scheint es immer normaler zu werden, als Mann in einer Kita zu arbeiten. Doch wie sieht es in der Realität aus?

Mulansky beschreibt sich selbst als sensiblen Typ

Zurück in die Froschgruppe. Der 31-Jährige Erzieher erzählt, dass er in seiner Jugend selbst von männlichen Stereotypen geprägt wurde. Mit 17 fing er an, Kinder im Fußball zu trainieren – in seiner Freizeit. Beruflich kam ihm die Arbeit mit Kindern noch nicht in den Sinn. Stattdessen orientierte er sich nach seinem Vater: „Mein Papa war Kraftfahrer und handwerklich sehr interessiert. Er hat mir viel beigebracht. Ich wusste nicht so recht, was ich machen soll, also fing ich eine Lehre als Maler und Lackierer an.“

Mulansky beschreibt sich selbst als sensiblen Typ. Er hat kurze blonde Haare, einen leichten Dreitagebart, sein Blick ist freundlich. Die Arbeit als Maler habe ihm zwar Spaß gemacht, mit dem Arbeitsumfeld kam er jedoch nicht zurecht. Nach drei Monaten brach er die Ausbildung ab und landete für ein Praktikum in der Kita Spatzennest.

„Da habe ich gemerkt: Das ist ein sozialer Beruf, da hat man meistens Menschen um sich herum, die wissen, dass Beziehungsarbeit wichtig ist.“ Als Praktikant habe er außerdem viel Zeit gehabt, mit den Kindern zu spielen. „Das hat riesigen Spaß gemacht. Zu sehen, wie die Kinder mich annehmen und dann auch viel zurückgeben.“ Nach dem Praktikum sei für ihn klar gewesen, dass er Erzieher werden will.

Mulansky: "Wenn all die unterschiedlichen Qualifikationen zusammenkommen, kommt etwas Gutes dabei rum"

Fragt man den Erzieher, ob er Unterschiede zwischen seiner Arbeit und der seiner Kolleginnen sieht, überlegt er kurz. Dann sagt er: "Eigentlich gibt es kaum Unterschiede. Wir sind gleich ausgebildet und arbeiten dementsprechend auch sehr ähnlich." Außerdem sei die Rolle des Geschlechts nur ein Aspekt der Vielfalt in ihrem Team. „Eine Kollegin spricht beispielsweise sechs Sprachen. Auch das ist eine große Bereicherung. Wenn all die unterschiedlichen Qualifikationen zusammenkommen, kommt etwas Gutes dabei rum.“

Tim Rohrmann beschäftigt sich schon lange mit Geschlechterrollen in der Kindererziehung.
Tim Rohrmann beschäftigt sich schon lange mit Geschlechterrollen in der Kindererziehung. © Hochschule für angewandte Wisse

Tim Rohrmann bestätigt das. Er arbeitet als Professor für Kindheitspädagogik an der Hochschule in Hildesheim und hat sich schon viel mit Geschlechterrollen in der Kindererziehung beschäftigt. Er sagt: "Kinder beschäftigen sich schon im Kindergarten-Alter mit ihrem Geschlecht und schauen, was andere Jungs und Mädchen machen. Da spielt es natürlich eine Rolle, wie vielfältig die Bilder sind, die sie vorgelebt bekommen."

Männer haben immer noch mit einem Vorurteil zu kämpfen

Wenn - wie in der Kita Spatzennest - 39 Erzieherinnen und sechs Erzieher mit den Kindern interagieren, erleben die Kinder rein rechnerisch eine viel größere Vielfalt an Frauen als an Männern. Schon allein deswegen sei es wichtig, dass mehr Männer als Erzieher arbeiten, so Rohrmann. Und: "Männer sind gerade dann wichtig, wenn sie dasselbe tun wie Frauen." Also zum Beispiel als Erzieher arbeiten. "Dann sehen Kinder, dass es nicht vom Geschlecht abhängt, ob jemand fürsorglich ist oder gut Fußball spielen kann."

In großen Städten ist es inzwischen normal, dass jeder Zehnte Erzieher ein Mann ist. "Es gibt aber immer noch Kitas, in denen Männer nicht wickeln dürfen, weil es ein diffuses Unbehagen gibt, dass sie irgendwie Missbraucher sein könnten." Zum Einen werden Männer in Kitas also zunehmend selbstverständlicher, zum Anderen bestehen Stereotype fort. "Fachlich ist so eine Sonderregelung überhaupt nicht zu begründen", sagt Rohrmann. "Im schlimmsten Fall führt es dazu, dass Männer aus dem Bereich wieder rausgehen, weil sie nicht grundsätzlich unter Verdacht stehen wollen."

Auch Männer sollen Zuneigung zeigen können

Auch Mulansky sagt, er sei in puncto Körperkontakt etwas vorsichtiger als seine Kolleginnen. Und trotzdem äußern die Kinder ihr Bedürfnis nach Nähe - vor allem dann, wenn sie zu Hause wenig davon erfahren. "Für diese Kinder ist es enorm wichtig zu sehen, dass auch Männer sie umarmen und Zuneigung zeigen können", sagt Mulansky.

Auf dem Fußballplatz steht der Erzieher inzwischen nur noch in der Kita. Gemeinsam mit seiner Kollegin aus der Nachbargruppe, die ebenfalls jahrelang im Verein gespielt hat. Vor ein paar Jahren entschied sich Mulansky, nicht mehr als Fußballtrainer zu arbeiten. Die Belastung der beiden Jobs zusammen sei zu groß gewesen. Er sagt: "Das ist aber völlig in Ordnung für mich. Ich bin in der Kita sehr glücklich."

Vielleicht werden Max, Julian, Adham und Marc aus der Froschgruppe irgendwann an ihren Erzieher zurückdenken, wenn sie sich entscheiden müssen, was sie einmal werden wollen.

*Anmerkung der Redaktion: Die Namen aller Kinder wurden geändert.