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Das ist Ihr Familienerbstück wirklich wert

Kupfer für Krempel oder Bares für Rares? Auktionator Stefan Günther aus Dresden schätzt historische Erbstücke – und sorgt für so einige Überraschungen.

Von Kornelia Noack
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Auf der Suche nach dem Künstler: Nicht nur der feine Pinselstrich, auch das Motiv hat es Auktionator Stefan Günther aus Dresden angetan.
Auf der Suche nach dem Künstler: Nicht nur der feine Pinselstrich, auch das Motiv hat es Auktionator Stefan Günther aus Dresden angetan. © Matthias Rietschel

Stefan Günther beugt sich tief über das Gemälde. So tief, dass seine Nse fast den vergoldeten Rahmen berührt. Schon zum dritten Mal setzt er die Lupe an, scannt den unteren Rand – von links nach rechts, von rechts nach links. Doch er findet nur ein einzelnes Wort in der rechten Ecke: „Ödenburg“ – ein ungarisches Städtchen, kurz hinter der Grenze, südlich von Wien. „Dass ein Maler die Ortsbezeichnung aber keine Signatur und kein Jahr hinterlässt, ist wirklich ungewöhnlich“, sagt Günther.

Der Kunsthändler sitzt an einem großen, schweren Schreibtisch mitten in seinem Kunstauktionshaus in Dresden. Mehrere Jahrhunderte Kunstgeschichte hängen hier an den Wänden. Schmuckvolle Vasen und Büsten stehen auf hohen, verzierten Sockeln. In breiten Glasvitrinen strahlen kleine Porzellanfiguren mit blank geputzten Tellern und Gläsern aus längt vergangenen Zeiten um die Wette. In massiven Holzregalen schlagen historische Simsuhren.

Eine DDR-Eisenbahn, Spur H0, aus den 60er-Jahren ist schön als Anfang für den jungen Sammler, aber nicht teuer. Anders als etwa eine Bahn aus der Zeit um 1900 in großer Spurweite.
Eine DDR-Eisenbahn, Spur H0, aus den 60er-Jahren ist schön als Anfang für den jungen Sammler, aber nicht teuer. Anders als etwa eine Bahn aus der Zeit um 1900 in großer Spurweite. © Matthias Rietschel

Mehr als 100 Leser warten heute bei Günther. Denn sie wollen nach dem Aufruf der SZ ihre Schätze schätzen lassen. Seit Jahrzehnten schon sei das Gemälde innerhalb der Familie vererbt worden, erzählt das Besitzer-Ehepaar. Doch auch die Widmung auf der Rückseite gibt keinerlei Hinweise, wer das Bild geschaffen hat. „Wenn das Jahr 1840 erwähnt ist, kann es das Jahr der Entstehung sein, aber auch des Verschenkens“, so Günther. Nicht nur der feine Pinselstrich hat es ihm angetan, auch das Motiv. Ein Mädchen steht gefährlich nah am Rande einer Klippe, vor ihm öffnet sich das weite Meer. Man möchte ihm zurufen: „Bleib stehen!“ Im Hintergrund ist eine Frau zu erkennen, die wild gestikuliert. Man hört sie förmlich kreischen.

Kriegsbeute aus Holland

Günther hat lediglich eine Vermutung: „Früher wurden junge Damen aus gutem Hause oft in eine Malschule geschickt. Von solch einer Künstlerin könnte das Gemälde stammen.“ Auch der komplett grundierte Malgrund, der noch zu erkennen sei, spräche dafür. Ärmere Menschen hätten sich das nicht leisten können. Der Experte legt sich auf einen Wert fest: Etwa 1.000 bis 1.200 Euro würde er für das Bild ansetzen.

Der prachtvolle „Eros“ aus der Porzellanmanufaktur Meißen: Tessa Kliemann zeigt die zwei gekreuzten Schwerter mit einem Punkt dazwischen. Sie verweisen auf die Zeit um 1930.
Der prachtvolle „Eros“ aus der Porzellanmanufaktur Meißen: Tessa Kliemann zeigt die zwei gekreuzten Schwerter mit einem Punkt dazwischen. Sie verweisen auf die Zeit um 1930. © Matthias Rietschel

Am Tisch nebenan hat Gudrun Alt Platz genommen. Die Wilsdrufferin möchte eine kleine Porzellangruppe schätzen lassen: ein junges Mädchen in Pantinen, ein junger Mann, der ihr Avancen macht, dazwischen ein Korb. „Mein Urgroßvater hat die Figur nach dem Ersten Weltkrieg aus Holland mitgebracht“, sagt Alt. „Ich weiß, dass meine Mutter immer Schneeglöckchen darin hatte.“ Kunsthistorikerin Anne Karge, die Günther bei den Bewertungen unterstützt, betrachtet die Keramik von allen Seiten. Sehr filigran ist sie nicht gearbeitet, dafür hat sie keine Beschädigungen. Auf der Unterseite ist eine Nummer zu erkennen und ein Stempel: „Delft“.

Einer der bedeutendsten Porzellanplastiker

Die Stadt im Westen der Niederlande ist seit dem 17. Jahrhundert berühmt für die Keramik Delfter Blau. Es galt als kostengünstigere Alternative zu blau-weißem Porzellan aus China. Zahlreiche Manufakturen in Delft stellten es her. Trotz der Modellnummer lässt sich nur schwer herausfinden, wer die Figur entworfen hat. Anne Karge schätzt den Ursprung auf das späte 19. Jahrhundert. Und der Wert? Sie sucht am Rechner in einer Datenbank nach ähnlichen Stücken. „Ich ordne sie bei 125 bis 150 Euro ein, mehr nicht. Oftmals wurde so etwas auch als Souvenirware verkauft“, sagt Karge. „Außerdem ist Meißner Porzellan für Sammler einfach interessanter.“

Ein wahres Schmuckstück aus der Traditionsmanufaktur hat Günthers Mitarbeiterin Tessa Kliemann vor sich stehen. Ein gertenschlanker Mann mit gelbem Hut und gelben Stiefelchen, der elegant auf einem Sockel sitzt. Der ist, wenn man genauer hinsieht, aus einem Wasserstrahl geformt, der vom Boden nach oben gepustet wird. Mit etwa 25 Zentimetern ist das filigrane Kunstwerk recht stattlich. „Selbst die Fingerspitzen sind heil. Das ist sehr gut“, erklärt die Studentin der Kunstgeschichte.

Stefan Günther weiß genau, was echtes Meißner Porzellan ausmacht.
Stefan Günther weiß genau, was echtes Meißner Porzellan ausmacht. © Matthias Rietschel

Auf der Unterseite sind eine Zahl und die zwei gekreuzten Schwerter zu erkennen – mit einem Punkt zwischen den Klingen. Das erleichtert die Einordnung, denn die Signatur steht für die sogenannte Pfeiffersche Zeit. Von 1924 bis 1933 leitete Max Adolf Pfeiffer das Haus in Meißen. Doch wie heißt die Figur? Tessa Kliemann holt sich den „Bergmann“ und schlägt nach. Fünf dicke Bände umfasst die Gesamtübersicht über „Meissener Figuren und Künstler-Figuren“.

Es dauert eine ganze Weile, dann wird sie fündig: „Eros und Venus“. Der Entwurf stammt von Paul Scheurich, einem der bedeutendsten Porzellanplastiker zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Besitzerin schüttelt ungläubig den Kopf. Bisher habe der „Eros“ bei einer Verwandten unbeachtet auf einem Fensterbrett gestanden. Sammler würden rund 2.000 bis 2.500 Euro dafür zahlen, schätzt Tessa Kliemann.

300 Euro für eine Puppe

Als Antiquität gilt etwas, wenn es mindestens 100 Jahre alt ist. Aber das Alter allein macht es noch nicht wertvoll. Frank Peter aus Löbau ist mit hohen Erwartungen gekommen. Sein Kochbuch „Der Dresdner Koch“ von Johann Friedrich Baumann stammt von 1831. „Der Zustand ist wunderbar und Kochbücher werden gesammelt“, erklärt Stefan Günther. Dennoch: Mehr als 80 bis 100 Euro sei das historische Werk, das in schwer lesbarem alten Deutsch verfasst sei, nicht wert. Deutlich weniger, als Peter sich erhofft hatte.

Mehr als 100 Jahre alt ist auch die Puppe, über die Bettina Simon mehr erfahren möchte. Sie stammt von ihrer Großmutter, die 1900 in der Nähe von Chemnitz geboren wurde. „Später heiratetet sie in eine kleinbäuerliche Landwirtschaft ein. Dort gab es eine gute Stube, wo die Puppe aufbewahrt wurde, man durfte nur zu Geburtstagen mit ihr spielen“, erzählt die Dresdnerin. Dann nimmt sie einen kleinen Schlüssel, steckt ihn in das Schloss an der Unterseite der Puppe, dreht ihn herum und stellt sie auf den Tisch. Schon läuft die kleine Dame mit den blauen Augen los – direkt in die Hände von Kunsthistorikerin Katja Peschel.

Eine vermeintlich wertvolle Puppe aus dem vergangenen Jahrhundert: Doch eine kleine Markierung am Nacken der Puppe verrät Kunsthistorikerin Katja Peschel Hersteller und Alter.
Eine vermeintlich wertvolle Puppe aus dem vergangenen Jahrhundert: Doch eine kleine Markierung am Nacken der Puppe verrät Kunsthistorikerin Katja Peschel Hersteller und Alter. © Matthias Rietschel

„Eine Markierung ist bei Puppen unter der Perücke oder im Nacken zu finden“, erklärt sie. Tatsächlich entdeckt sie eine kleine Schildkröte – ein untrügliches Zeichen dafür, dass das Spielzeug aus einer der ältesten Puppenmanufakturen der Welt stammt, der Firma Schildkröt. Zumindest der Kopf. „Es sieht aus, als wenn dieser später als Ersatz draufmontiert wurde. Die Übergänge sind nicht sonderlich gut verarbeitet“, sagt Peschel.

Die Bestimmung des Alters ist relativ leicht. „Der Hersteller verwendete die Schildkröte als Markierung zwischen 1895 und 1910. Außerdem weist der Kopf aus Zelluloid auf die Jahrhundertwende hin. Davor waren diese immer aus Porzellan und leicht zerbrechlich“, sagt Peschel. Sie schätzt den Wert auf 300 Euro. Bettina Simon will sich nun überlegen, die Puppe an ein Spielzeugmuseum zu geben.

So erkennt man echtes Porzellan

Stefan Günther hat nun eine Gürtelschnalle aus China aus der Zeit um 1700 vor sich liegen. „Wir haben sie als Kinder in den 60er-Jahren im Schutt gefunden“, erzählt Hans-Peter Knorr aus Schmölln-Putzkau. Die prachtvolle Schnitzarbeit aus Jade leuchtet in Pastellgrün, aufgebracht ist sie auf eine Metallplatte, die schwarz angelaufen ist. Günther nimmt das Fässchen mit der Prüfsäure und gibt einen Tropfen auf eine Stelle am Rand. „Wenn die Flüssigkeit blutrot anläuft und etwas zu blubbern beginnt, dann ist es echtes Silber“, erklärt er und schaut durch die Lupe. Das Ergebnis ist eindeutig. „Nach dem Krieg sind viele Städter aufs Land gezogen, damals war es üblich, Schmuck gegen Lebensmittel einzutauschen“, sagt Günther. So könnte das Accessoire nach Ostsachsen gelangt sein. „Dafür gibt es Sammler.“

Hans-Peter Knorr entscheidet sich, sein Fundstück aus Kindertagen gleich dazulassen und für die nächste Kunstauktion zur Verfügung zu stellen. Pro Jahr organisiert das Dresdner Kunstauktionshaus vier bis sechs Versteigerungen – mit internationalem Publikum aus fünf Ländern. „Ich würde das Mindestgebot bei 1.200 Euro festlegen“, sagt Günther. Knorr ist einverstanden und überrascht – so eine Summe hatte er gar nicht erwartet. Anders als so manch anderer. „Viele Menschen überschätzen den Wert alter Gegenstände“, sagt Günther. Umso größer sei oft die Enttäuschung.

Ein prachtvolles Reliefdekor - nur woher stammt es? Und vor allem: Was ist es wert?
Ein prachtvolles Reliefdekor - nur woher stammt es? Und vor allem: Was ist es wert? © Matthias Rietschel

Sauber, unbeschädigt, idealerweise mit einem bekannten Dekor und aus einer namhaften Manufaktur – solch Porzellan hat einen Wert für Sammler. „Viele ergänzen ihre Sammlungen durch Einzelstücke“, sagt Stefan Günther. Manufakturen verwenden eigene Stempel, die im Laufe der Geschichte oft verändert oder ergänzt wurden. Inzwischen gibt es solch eine Vielzahl der Marken, dass selbst Fachleute hin und wieder in entsprechenden Lexika nachschlagen. Die Stempel sind meist blau, grün oder rot. Bunte können auf eine Fälschung hinweisen. Die bekanntesten Marken sind Porzellanmanufaktur Meißen, Rosenthal, Königliche Porzellanmanufaktur Berlin, Kahla, Villeroy & Boch, Ritzenhoff & Breker, Fürstenberg.