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Sachsens schönste Flecken - die neue Serie von Sächsische.de

Redakteurinnen und Redakteure aus dem Feuilleton verraten ihre Lieblingsorte, an die es sie immer wieder zieht. Teil 1: die Bergwiesen im Osterzgebirge.

Von Oliver Reinhard
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Trollblumen und Knabenkraut säumen die Bergwiesen des Osterzgebirges, einer einzigartigen Kulturlandschaft. Besonders reichhaltig ist sie an den Hängen des Geisingberges.
Trollblumen und Knabenkraut säumen die Bergwiesen des Osterzgebirges, einer einzigartigen Kulturlandschaft. Besonders reichhaltig ist sie an den Hängen des Geisingberges. © SAE Sächsische Zeitung

Es wird schon seinen Grund haben, warum man ihn in Deutschland außerhalb der Alpen weder im Bayerischen Wald noch im Sauerland noch im Harz trifft. Sondern nur hier oben, im Grenzgebiet von Sachsen zu Tschechien, auf bescheidenen – aber immerhin – 700 Metern Höhe: jenen Korbblüter mit dem ebenso schönen wie schrägen Namen Bergwohlverleih.

Gut, man könnte auch zur Fachbezeichnung greifen und ihn „Echte Arnika“ nennen oder gleich „arnica montana“ schlaumeiern. Doch das wäre weniger besonders, und besonders ist das Bergwohlverleih mit seinen dottergelben Röhrenblüten wie sein Habitat, die Bergwiesen im Osterzgebirge zwischen Geisingberg und Fürstenauer Heide, wie es sie kein zweites Mal in heimischen Mittelgebirgen gibt.

Ein Traum in Grün: die Grenzwiesen bei Fürstenau.
Ein Traum in Grün: die Grenzwiesen bei Fürstenau. © Holger Menzer

Wo das männliche Knabenkraut blüht

Hier fühlt sich eine Vielzahl pflanzlicher und tierischer Exoten wohl, die man andernorts nur selten oder gar nicht mehr findet. Die riesige Feuerlilie etwa oder die letzten einheimischen Karpaten-Enziane, das Pyrenäen-Vermeinkraut und das Männliche Knabenkraut. Nicht minder beliebt sind die Bergwiesen bei Insekten und Vögeln. Mit ein bisschen Glück sieht man einen Wachtelkönig, mit ein bisschen mehr Glück sogar ein Birkhuhn.

Was man ebenso selten erblickt: Menschen. Abgesehen vom vielbestiegenen Geisingberg samt Turm wird dieses alte, von Wind und Wasser über Jahrmillionen weitgehend abgetragene Gebirge von den meisten Ausflüglern links liegengelassen. Sie besuchen lieber im Süden das Mückentürmchen, im Westen das Hochmoor oder gleich die Bergbaustädte Zinnwald und Altenberg samt Drumherum.

Dottergelbe Schönheit: Wem „Bergwohlverleih“ zu altmodisch klingt, der darf die Pflanze gerne auch nur Arnika nennen.
Dottergelbe Schönheit: Wem „Bergwohlverleih“ zu altmodisch klingt, der darf die Pflanze gerne auch nur Arnika nennen. © Nabu

Tourismus gerne, aber bitte naturverträglich

Einerseits ist die ungestörte Wiesenruhe Kai Drilling sehr recht. „Schließlich ist das hier ein Naturschutzgroßprojekt“, sagt der 1979 nahe Weißwasser geborene Biologe, der beim Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge Projektmanager ist von „Bergwiesen im Osterzgebirge“. Es gibt auch ein Leitmotiv, verwaltungssprachlich verschlungen:

„Erhaltung und Entwicklung eines repräsentativen Ausschnittes der osterzgebirgischen Kulturlandschaft, vor allem mit Bergwiesen, Feuchtwiesen und Steinrücken, begleitet von naturnahen Wäldern, Fließgewässern, Mooren und Sümpfen als leistungsfähiger Naturhaushalt für den Arten- und Biotopschutz, eine naturverträgliche Bewirtschaftung sowie einen naturverträglichen Tourismus.“

Normalerweise lebt das Birkhuhn auf Höhen ab 1.500 Metern, ist aber auch dort wie überall fast völlig verschwunden.
Normalerweise lebt das Birkhuhn auf Höhen ab 1.500 Metern, ist aber auch dort wie überall fast völlig verschwunden. © Nabu

Manche fahren hier Quad, andere klauen Orchideen

18 Jahre lang, bis 2018, waren die Bergwiesen ein Förderprojekt des Bundes. Seither betreut der Landkreis die 3.000 Hektar. Tatsächlich durchstreifen sie gelegentlich auch schwarze Schafe. „Manche knattern hier mit dem Quad durch, andere pflücken Orchideen – und beides ist nicht in Ordnung.“ Aber andererseits, sagt Drilling, „wollen wir ja auch, dass die Leute hier raufkommen und sich das anschauen.“

Deshalb gibt es zwar klare Grenzen zwischen erlaubt und nicht erlaubt. Aber der Weg heißt eben nicht immer nur Abschreckung und Zäune, sondern immer wieder auch „sanfte Kontrolle“, wie Kai Drilling das nennt: zum Beispiel Hinweisschilder und Führungen, derer es viele gibt. Unlängst war auch er im Morgengrauen auf Birkhuhn-Ansitz. Gesehen hat er leider keines. „Aber gehört.“ Immerhin.

Beliebt bei Langfingern und deshalb besonders oft von Streife-Gängern besucht ist die Orchideenwiese, deren genau Lage wir hier nicht verraten.
Beliebt bei Langfingern und deshalb besonders oft von Streife-Gängern besucht ist die Orchideenwiese, deren genau Lage wir hier nicht verraten. © Holger Menzer

Über Bergkuppen durch Wiesentäler ins Niedermoor

Birkhuhn und Besuchern gefällt es gleichermaßen, dass man sie meistens mutter- und vaterseelenallein durchstreifen kann, die in den Neunzigern wegen Unrentabilität endgültig als Wirtschaftsflächen aufgegebenen Hochflächen und Bachtäler und geduckten Bergkuppen, die Wälder, die Niedermoore. Und vor allem die weitläufigen Mähwiesen mit Steinrücken, diese für die Gegend typischen Wälle, die sich über die Hänge ziehen wie hinterbliebene Rückgrate längst zu Staub zerfallener Riesenviecher aus dem Mesozoikum.

„Stein um Stein sind die langen, flurbegrenzender Steinmengen oder die mitten auf dem Felde ruhenden runden Halden aus dem Boden gehiben“, heißt es in einer Veröffentlichung des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz von 1924. „Nach jedem krümmte sich ein Rücken, jeden fasste eine Hand. Urväter warfen den ersten Stein zur Halde, die Geschlechter in Jahrhunderten weiter formten“, blüht es stilistisch weiter im fast hundertjährigen Text.

Auch dem Wachtelkönig droht die fortschreitende Zerstörung seines natürlichen Lebensraumes. Obendrein macht ihm der Klimawandel zu schaffen.
Auch dem Wachtelkönig droht die fortschreitende Zerstörung seines natürlichen Lebensraumes. Obendrein macht ihm der Klimawandel zu schaffen. © LBV

Ganze Dörfer verschwanden nach dem Krieg

Die grauen Wälle trennten einst die Flurstücke in den Fürstenauer Grenzwiesen. Man erwandert sie am besten von der Südspitze des Ortes im weiten Bogen nordwestwärts, wobei man beinahe die schmale Straße von Cinovec nach Fojtovice und zum Mückentürmchen streift. Ungefähr dort, wo im heute Tschechischen die Fundamente der Marienkapelle liegen, verschwunden nach dem Krieg mit dem gesamten Dorf Vorderzinnwald. Auch historisch ist die Gegend ziemlich spannend.

Den schönsten Überblick über ihren Südwesten hat man auf der Kuppe namens Traugotthöhe, wo sogar eine Bank steht. „Eigentlich gehört die da nicht hin“, sagt Projektmanager Kai Drilling, der auch in diesem Punkt ein wenig zwiegespalten ist. Denn „es ist ja ein wirklich herrlicher Ort.“ Und auf dem kürzesten Nenner lautet Drillings Job eben: Balance halten.