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Wie der Wald im Nationalpark sich erholen kann

Ebenso wie die Sächsische Schweiz hatte auch der Nationalpark Bayerischer Wald mit dem Borkenkäfer und heftiger Kritik zu kämpfen. Das ist daraus geworden.

Von Dirk Schulze
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Nationalpark Bayerischer Wald: Der abgestorbene Wald am Berg Lusen hat sich von selbst erneuert.
Nationalpark Bayerischer Wald: Der abgestorbene Wald am Berg Lusen hat sich von selbst erneuert. © Franz Leibl/Nationalpark Bayerischer Wald

Die Bilder, die Franz Leibl an die Wand projiziert, dürften allen Einwohnern und Besuchern der Hinteren Sächsischen Schweiz bekannt vorkommen: Abgestorbene Fichten so weit das Auge reicht. "Apokalyptisch" nennt der Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald den Anblick, den der Höhenzug zwischen den Bergen Lusen und Rachel noch vor einigen Jahren bot.

Der Borkenkäfer hat die Fichtenwälder im Bayerischen Wald schon Mitte der 1990er-Jahren großflächig heimgesucht. Innerhalb von fünf Jahren ist ein kompletter Hochwald abgestorben - 6.000 Hektar am Stück. In Wellen wiederholte sich der Befall seitdem. Dennoch bezeichnet Leibl den Käfer ganz bewusst als einen "Waldgestalter". Denn: "Nach dem Borkenkäfer kommt noch was", erklärt der promovierte Biologe.

Was da kommt, das wollten bei Franz Leibls Vortrag im Nationalparkzentrum in Bad Schandau so viele Menschen hören, dass der Platz im Vortragssaal nicht ausreichte. Unterstützer und Gegner des Nationalparkgedankens waren gleichermaßen gekommen. Auch das ist eine Parallele: So wie aktuell dem Nationalpark Sächsische Schweiz schlug auch dem 1970 gegründeten Nationalpark Bayerischer Wald immer wieder heftige Kritik entgegen. Es gab Unterschriftensammlungen, vernichtende Presseartikel, sogar Einrichtungen brannten.

Borkenkäfer im Nationalpark nicht bekämpft

Von einem regelrechten Aufschrei in der Bevölkerung berichtet Nationalparkchef Leibl. "Die Leute waren bestürzt und irritiert." Im Inneren des Nationalparks hatte die Verwaltung den Borkenkäfer nicht bekämpft, sondern gewähren lassen. "Natur Natur sein lassen" lautet das Motto, das der Nationalpark Bayerischer Wald als erster und heute ältester in Deutschland geprägt hat.

Dr. Franz Leibl bei seinem Vortrag in Bad Schandau. Er leitet den Nationalpark Bayerischer Wald, der seit 52 Jahren besteht und der erste in Deutschland war.
Dr. Franz Leibl bei seinem Vortrag in Bad Schandau. Er leitet den Nationalpark Bayerischer Wald, der seit 52 Jahren besteht und der erste in Deutschland war. © Daniel Schäfer

Die Befürchtungen waren immens. Auf den rauen Höhenlagen über 1.000 Meter werde nach dem Absterben der Fichten nie wieder ein neuer Wald wachsen, hieß es. Skeptiker prophezeiten eine künftige Steppe, andere sahen die Buche im Kommen. Beides ist nicht eingetreten. Stattdessen setzte eine Naturverjüngung ein - neue Bäume wuchsen nach. "Und diese Naturverjüngung hat eine Vehemenz erreicht, die wir vorher nie erwartet hätten", sagt Franz Leibl.

Vom Totholz zum vitalen Wald

Der Nationalparkchef belegt dies mit eindrücklichen Fotos. Aufgenommen vom immer selben Standpunkt zeigen die Bilder im Laufe der Jahre zunächst die apokalyptische Mondlandschaft, dann erste Bäumchen und schließlich immer mehr sattes Grün. Wie Phönix aus der Asche sei aus dem Meer der toten Bäume ein vitaler junger Wald entstanden.

Von Totholz zu vitalem Wald: Dieselbe Stelle im Nationalpark Bayerischer Wald im Wandel von anderthalb Jahrzehnten.
Von Totholz zu vitalem Wald: Dieselbe Stelle im Nationalpark Bayerischer Wald im Wandel von anderthalb Jahrzehnten. © Franz Leibl/Nationalpark Bayerischer Wald

Im Bayerischen Wald führt man diese Entwicklung ausdrücklich darauf zurück, dass die abgestorbenen Bäume damals liegen gelassen wurden. "Totholz bringt Leben in Wälder", sagt Franz Leibl. Schon eine alte Försterweisheit besage, dass totes Holz die "Ammenmilch des Waldes" sei.

Naturwald sorgt für Artenvielfalt

Die inzwischen über 50 Jahre währende natürliche Entwicklung hat den Nationalpark Bayerischer Wald zu einem Hotspot der Artenvielfalt gemacht. Mehr als 14.000 verschiedene Tiere, Pflanzen und Pilze sind hier zu finden. Darunter Urwaldreliktarten wie seltene Pilze oder Käfer, die vorher seit mehr als hundert Jahren aus dem Gebiet verschwunden waren. Sie sind vermutlich aus dem benachbarten tschechischen Nationalpark Šumava wieder eingewandert.

"Wenn wir die biologische Vielfalt unserer Wälder erhalten wollen, brauchen wir Naturwälder in Nationalparks", sagt Franz Leibl.

Der Nationalpark gilt längst als Motor der Tourismuswirtschaft im Bayerischen Wald, und im Laufe der Zeit ist auch die Zustimmung in der Bevölkerung gewachsen. Noch 2007 gaben 16,3 Prozent der direkten Anwohner bei einer Umfrage an, sie würden für die Auflösung des Nationalparks plädieren, 76,5 Prozent waren für den Erhalt (Rest Enthaltungen). Bei einer Wiederholung im Jahr 2018 war die Zustimmung auf 85,8 Prozent gestiegen, nur noch 8,6 Prozent der Einwohner waren gegen den Nationalpark.

Bayerischer Wald: Mehr Fläche, weniger Leute

Gleichwohl gibt es natürlich Unterschiede zur Sächsischen Schweiz. Den Nationalpark Bayerischer Wald besuchen jährlich 1,4 Millionen Touristen, das sind in etwa so viele wie bei einer anderen bayrischen Attraktion, dem Schloss Neuschwanstein. Im wesentlich kleineren Nationalpark Sächsische Schweiz sind es geschätzt über als 3 Millionen, im gesamten Elbsandsteingebirge mitunter doppelt so viele - also deutlich mehr als in Bayern.

Kritiker argumentieren, dass die Gäste auch ohne das Nationalpark-Siegel ins Elbsandsteingebirge kommen würden, schließlich haben sie dies vor dessen Gründung auch schon getan. Ebenso ist der Bayerische Wald deutlich größer und wesentlich dünner besiedelt als das Elbsandsteingebirge. Darauf zielten in der an den Vortag anschließenden Diskussion die Fragen von Mitgliedern der Hohnsteiner Bürgerinitiave für einen Naturpark.

Nationalparksprecher: "Wege bleiben begehbar"

Hanspeter Mayr, der Sprecher des hiesigen Nationalparks, machte zu den oft befürchteten weiteren Einschränkungen für Touristen und Wanderer in der Sächsischen Schweiz eine klare Aussage: "Die Kernzone im Nationalpark bleibt unverändert und auf den markierten Wegen weiter begehbar." Das Erleben der Natur werde auf jeden Fall weiterhin möglich sein. Die Region soll in die Gestaltung der künftigen Nationalparkverordnung eingebunden werden.

Die nächste Möglichkeit zur Diskussion gibt es am 3. Mai im Max-Jacob-Theater in Hohnstein. Dann verwirklicht Hohnsteins Pfarrer Sebastian Kreß in der Gesprächsreihe "Ohne Schubladen" das, was der CDU-Kreisverband kürzlich bei seiner Podiumsdiskussion nicht zustande gebracht hat: ein öffentliches Gespräch zwischen beiden Seiten - den Nationalpark-Kritikern der Hohnsteiner Bürgerinitiative Naturpark und der Nationalparkverwaltung Sächsische Schweiz.