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Reichenbach: Wenn die Klinik selbst zum Patient wird

Viele Krankenhäuser plagen finanzielle Probleme. Für das Klinikum in Reichenbach sind sie so massiv geworden, dass dort Ende des Monats die Lichter ausgehen - nach 160 Jahren.

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Die Paracelsus-Kette war 2017 in die Insolvenz geschlittert.
Die Paracelsus-Kette war 2017 in die Insolvenz geschlittert. © Paracelsus Kliniken

Wer nachts mit einem Notfall am Krankenhaus Reichenbach Hilfe sucht, hat schlechte Karten. Von 22.00 bis 6.30 Uhr bleibe die Notaufnahme geschlossen, warnt die Klinik rot im Internet und verweist Betroffene auf andere Krankenhäuser.

Ein Vorbote dessen, was bald auf alle Patienten in der rund 20.000 Einwohner zählenden Stadt im Vogtland zukommt. Denn die Paracelsus-Klinik Reichenbach ist seit der Insolvenz im Sommer selbst ein schwerer Pflegefall, dem Ende des Monats die lebenserhaltenden Maschinen abgestellt werden. Dann schließt das Haus mit rund 180 Betten und 300 Mitarbeitern endgültig.

"Das ist eine Katastrophe für unsere Stadt und die Region des nördlichen Vogtlandes", konstatiert Oberbürgermeister Raphael Kürzinger (CDU). Die Paracelsus-Kette als Betreiber war 2017 in die Insolvenz geschlittert.

Mögliche Investoren winkten ab

Doch ihre Übernahme durch eine Beteiligungsgesellschaft verschaffte dem Standort Reichenbach nur eine Verschnaufpause: Im Juli 2022 stellte die Geschäftsführung dort Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit.

Und mögliche Investoren winkten ab. Keiner habe sich nach Prüfung der Daten in der Lage gesehen, das Krankenhaus erfolgreich aus den roten Zahlen zu führen, hieß es zuletzt vom Insolvenzverwalter.

Die Klinik im Vogtland ist mit ihren finanziellen Problemen nicht allein. Zu Jahresbeginn hatte der Deutsche Städtetag Alarm geschlagen und gewarnt, dass viele kommunale Kliniken akut in ihrer Existenz bedroht seien. Etliche Häuser seien völlig unterfinanziert und überschuldet, jedes fünfte Krankenhaus insolvenzgefährdet.

Die Paracelsus-Klinik Reichenbach wird geschlossen.
Die Paracelsus-Klinik Reichenbach wird geschlossen. © Paracelsus Kliniken

Anfang März hatten zudem 19 Oberbürgermeister in einem Brief an die Gesundheitsminister deutliche Verbesserungen bei der finanziellen Ausstattung ihrer Kliniken gefordert. Sollten nicht rasch grundlegend veränderte Rahmenbedingungen beschlossen werden, stehe ihr Fortbestand auf dem Spiel, heißt es in dem Brief, den auch die Stadtchefs von Dresden, Chemnitz und Leipzig unterzeichnet haben.

Denn die finanzielle Lage vieler Kommunen selbst ist angespannt. Die Klinik in Reichenbach zurück in kommunale Trägerschaft zu holen hätte den Haushalt überfordert, sagt der Landrat des Vogtlandkreises Thomas Hennig (CDU). Dabei verweist er auf strukturelle Millionendefizite des Krankenhauses und erforderliche Investitionen. Zudem sei die Auslastung in den vergangenen Jahren niedrig gewesen. Die stationäre Versorgung der Patienten kann laut Hennig von anderen Kliniken der Region übernommen werden - etwa in Plauen oder Zwickau.

Längere Fahrzeiten zu den Notaufnahmen

Sorgen bereitet ihm ebenso wie Kürzinger aber die fachärztliche Versorgung in der Region. Paracelsus betreibt außer dem Krankenhaus ein Medizinisches Versorgungszentren (MVZ) in Reichenbach, wo Sprechstunden etwa für Chirurgie, Gynäkologie und Urologie angeboten werden. Die werden zwar trotz der Krankenhausschließung fortgeführt, doch auch hier stehen Änderungen an. Laut Paracelsus gibt es Verhandlungen zu einem Trägerwechsel. Und auch auf den Rettungsdienst kommen Veränderungen zu und dürften manche Wege länger werden.

"Wir sind hier in Reichenbach ein unterversorgter Bereich - sowohl bei Haus- als auch bei Fachärzten", beklagt Kürzinger. Für viele Menschen sei das Krankenhaus bisher ein Notanker gewesen, der nun wegfalle. Wegen Änderungen in der Kliniklandschaft schrumpft die Zahl der Notaufnahmen in der Region insgesamt. Auch die in Kirchberg wurde geschlossen, in Adorf sei das perspektivisch geplant, erläutert der Geschäftsführer des zuständigen Rettungszweckverbandes, Jens Leistner. "Wir werden in der Konsequenz etwas längere Fahrzeiten haben." Das bedeute für den Rettungsdienst Mehrbedarf an Fahrzeugen und Personal. Zudem müssten sich die verbleibenden Notaufnahmen darauf einstellen, mehr Patienten versorgen zu müssen.

Als Lehre aus der Misere um die Reichenbacher Klinik mahnt Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD), nötige Umstrukturierungen nicht zu verschlafen. Reichenbach soll nach ihrem Willen ein warnendes Einzelschicksal bleiben. Wenn die Auslastung eines Krankenhauses sinke und außerdem noch Personal fehle, wachse der Handlungsdruck. Auch andere Standorte stünden vor der Hausforderung, sich für die Zukunft fit zu machen. Dafür hält die Ministerin auch Geld aus den Kassen des Freistaates für notwendig.

Braucht es eine stärkere Spezialisierung?

Unlängst hatte sie eine Forderung aus den Tagen der Corona-Pandemie bekräftigt. Es geht um einen 100 Millionen Euro teuren "Rekommunalisierungsfonds", mit dem Landkreise und kreisfreie Städte bei der medizinischen Versorgung finanziell bei Investitionen unterstützt werden und Anreize für ein "Fitnessprogramm" in eigener Sache erhalten sollen. "Reichenbach zeigt deutlich, dass solch ein Angebot benötigt wird", betont Köpping.

Auf finanzielle Hilfe vom Land bauen die Stadt Reichenbach und der Vogtlandkreis, um die medizinische Versorgung der Bevölkerung auch ohne die Klinik zu sichern. Im Dezember hat der Stadtrat beschlossen, ein Konzept zu erarbeiten. "Wir sind dabei, ein Gesundheitszentrum auf den Weg zu bringen", erklärt Kürzinger. Er verwies darauf, dass im Krankenhaus noch viel Technik vorhanden sei, die genutzt werden könnte. Doch brauche es dringend eine Anschubfinanzierung vom Land.

Kürzinger hofft auf eine Regelung im Sächsischen Krankenhausgesetz, wonach das Land Modellvorhaben "zur Entwicklung, Erprobung, Überprüfung und Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen" fördern könne. Am Montag sei ein Gespräch im Ministerium geplant, hieß es.

Der Chef der Techniker Krankenkasse in Sachsen, Alexander Krauß, sieht insgesamt großen Veränderungsbedarf mit Blick auf die Kliniken. Auf viele Operationen könne verzichtet werden und mehr Behandlungen könnten ambulant erfolgen, erklärt er. "Notwendig ist eine stärkere Spezialisierung, die auch zu mehr Qualität führt." Das werde auch dazu führen, dass sich die Rolle mancher Standorte verändere vom klassischen Krankenhaus hin zum medizinischen Versorgungszentrum, in der mehr Behandlungen ambulant erfolgen. "Für den Patienten ist das keine Verschlechterung." (dpa)