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Schülerin wird zur Vorgesetzten

Die Freitalerin Julia Feist kehrt mit 27 Jahren als jüngste Wassersprung-Trainerin nach Dresden zurück. Ihre eigene Karriere wurde durch schlimme Unfälle ausgebremst.

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© Ronald Bonß

Von Daniel Klein

Freital. Der Ton ist ruhig, die Ansage dagegen deutlich: zehn Liegestütze als Strafe wegen eines wiederholt verpatzten Anlaufes. Ohne großes Murren streckt sich das Wassersprungtalent auf den Kacheln neben dem Becken und macht, was ihm aufgetragen wurde. Julia Feist kontrolliert und schaut gleichzeitig, wie die anderen vom Brett springen, lobt, korrigiert, spornt an: „Na siehste, geht doch.“

Es ist ein neues und doch altbekanntes Gesicht in der Halle am Freiberger Platz. Bis 2009 trainierte die aus Freital stammende Julia in Dresden, nun kehrte sie zurück. Mit 27 ist sie die jüngste Wassersprungtrainerin an den fünf Bundesstützpunkten. Dazwischen liegen sieben Jahre in Leipzig, in denen sie Sport studierte, und als Springerin vergeblich versuchte, sich für EM, WM oder Olympia zu qualifizieren. „Ich war eine Trainingsweltmeisterin“, sagt sie. Ein weiterer Grund: Sie wurde immer wieder von Unfällen und Stürzen ausgebremst, die in ihrer Summe fast schon tragisch sind.

Angefangen hat alles 2005, Julia ist 15, als sie in Dresden mit dem Kinn aufs Brett knallt. Sie bricht sich den Unterkiefer, die Haut im Mundraum platzt auf, die Zähne sind entweder nach vorne geklappt oder haben sich in den Kiefer gebohrt. Sieben Operationen dauert es, bis ihr Lächeln dank Kronen und Implantaten wieder ein hübsches ist.

Dann reißt sie sich beim Fußball und Badminton jeweils die Bänder am Fußgelenk, 2013 schließlich stürzt sie beim Training mit dem Rad, ihr Unterarm ist kompliziert gebrochen, wieder braucht es sieben OPs und ein Jahr, bis alles im Lot ist. Wenn sie auf ihre Karriere zurückblickt, sagt sie, sei sie vor allem stolz, nie aufgegeben und immer gekämpft zu haben.

Die Springer-Laufbahn mit einer Junioren-Weltmeisterschaft als Höhepunkt bleibt eine unvollendete. Das soll sich nun ändern. Aus der Sportlerin ist die Trainerin Julia Feist geworden, der Übergang war fließend. Im Juli bekam sie in Leipzig den Master in Sportwissenschaften, am 1. September begann ihre Anstellung am Olympiastützpunkt. Ein Neuling ist sie trotzdem nicht. Ein Jahr trainierte sie bereits in Leipzig Talente, als in Dresden eine Stelle frei wurde. Christoph Bohm zog es nach Berlin, er betreut dort ab sofort mit Patrick Hausding den erfolgreichsten deutschen Wasserspringer.

Räumliche Trennung vom Freund

Seine Nachfolgerin ist glücklich, wie sich alles gefügt hat: „Hier ist mein Zuhause, hier kenne ich die Bedingungen, die einfach perfekt sind.“ Allerdings musste sie sich von ihrem Freund trennen – rein räumlich. Sie ist mit dem Ruderer Tim Grohmann liiert, der bei den Olympischen Spielen in London im Doppelvierer Gold gewann und in Rio als Ersatzmann dabei war. Grohmann stammt zwar auch aus Freital, möchte jetzt aber zunächst in Leipzig sein Sportstudium beenden. „Er will aber auch irgendwann zurück nach Dresden“, erklärt sie. So lange behalten sie die gemeinsame Wohnung in Leipzig, Julia ist vorerst „wieder bei Mama eingezogen“.

Der Weg zur Springerhalle ist also ein altbekannter – wie auch das Umfeld. Die Nachwuchstrainerin von einst, die Julia die ersten Sprünge vom Beckenrand beibrachte, ist noch immer da. „Früher war ich für sie die kleine Jule, jetzt bin ich ihre Vorgesetzte. Das ist schon komisch“, findet Feist. Das jugendliche Alter hat jedoch auch seine Vorteile im neuen Job. Beim Wasserspringen zeigen die Trainer fast immer mit Handbewegungen, was noch besser werden soll. Julia macht das mit ganzem Körpereinsatz. „Allerdings nur an Land, also in unserem Gymnastikraum. Da kann ich bestimmte Übungen vormachen, die Beweglichkeit ist schon noch da“, sagt sie.

Ihre acht Schützlinge sind zwischen zwölf und 17 Jahre jung, sie müssen ihre neue Trainerin siezen. „Keiner von ihnen kennt mich als Springerin“, meint sie. „Dann wäre es etwas anderes.“ Durch ihr Sportstudium mit dem Schwerpunkt Wasserspringen hat sie bereits die Trainer-B-Lizenz, für den A-Schein müsste sie noch zwei Wochenenden investieren. Das ist geplant, aber noch nicht terminiert.

Viel profitiere sie beim Erarbeiten der Pläne ohnehin von ihrer eigenen Karriere, viel habe sie sich von ihren Trainern Frank Taubert (Dresden) und Uwe Fischer (Leipzig) abgeschaut. „Und nun kann ich von Boris profitieren.“ Gemeint ist Boris Rozenberg, der mit Tina Punzel, Sascha Klein und Martin Wolfram drei Dresdner zu Olympia nach Rio führte. Für Julias Schützlinge sind in der gerade gestarteten Saison die Junioren-Europameisterschaften das größte Ziel. „Aber dorthin zu kommen, wird schwer“, sagt sie. Zumal mit Karl Schöne das größte Dresdner Talent seinem Trainer nach Berlin folgte. Julia Feist muss also noch viel korrigieren – und manchmal auch Liegestütze verordnen.