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Größter Betrugsskandal im Journalismus seit Jahrzehnten

Ein Star-Autor hat beim "Spiegel" Texte manipuliert und betrogen. Was sagt das über die Journalistenbranche aus?

Von Oliver Reinhard
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© action press

Fast jeder in der Branche kennt seinen Namen und seine Arbeit: Claas Relotius war einer der angesehensten und höchstprämierten Reporter des Hamburger Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Der 33-Jährige wurde mit Auszeichnungen überschüttet und holte erst kürzlich den renommierten deutschen Reporterpreis für den bemerkenswerten Text über einen jungen Syrer, der sich für mitschuldig hält am Bürgerkrieg. Die Jury lobte die Reportage auch deshalb, weil ihr Autor „nie offenlässt, auf welchen Quellen er basiert“.

Nun stellt sich heraus: „Vieles ist wohl erdacht, erfunden, gelogen. Zitate, Orte, Szenen, vermeintliche Menschen aus Fleisch und Blut. Fake“, so der Spiegel am Mittwoch in eigener Sache. Man kann es nicht anders bewerten: Der Fall Relotius ist wohl der größte deutsche Journalistenskandal seit Jahrzehnten. Zudem trifft er die Branche in einer Zeit, da sie wie lange nicht um ihre Glaubwürdigkeit und gegen eine Flut von Fake-News kämpft.

Jahrmarkt der Medien-Eitelkeiten

Der Syrer-Text ist Anlass, aber nicht Alleinursache für den Eklat. Das Betrügen hatte Methode beim Star-Reporter. Er „hat in großem Umfang eigene Geschichten manipuliert“, so der Spiegel. Nach internen Hinweisen und Recherchen habe sich ein bereits schwelender Verdacht erhärtet und Relotius die Fälschungen inzwischen zugegeben. Die Redaktion ist umso erschütterter, weil ihre „Sicherheitsmaßnahmen“ zu den härtesten in der Medienlandschaft gehören. Eine ganze Abteilung kümmert sich darum, jeden Text vor dem Abdruck auf Wahrheitsgehalt und sachliche Richtigkeit zu prüfen. Das „tut besonders weh“, heißt es in der „Selbstanklage“. Und es „stellt Fragen an die interne Organisation, die unverzüglich anzugehen sind“.

Vor allem aber stellt die Causa Relotius Fragen an eine Qualitätsmedienbranche, deren Verpflichtung zu Sachlichkeit und Checks und Balance für etliche ambitionierte Glieder offenbar zunehmend zweitrangiger werden gegenüber der Sucht nach Star-Autoren, deren Texte immer stylisher und inhaltlich sensationeller werden. In den sozialen Medien lobt man einander über den grünen Klee, falls man sich nicht gerade gegenseitig an den Pranger stellt. Auch die Journalistenpreispolitik zollt diesem Boom der Eitelkeiten Rechnung, indem sie sich etwa am Relotius-Kult beteiligt und ihm nahezu sämtliche wichtigen Auszeichnungen umgehängt hat, den Reporterpreis gleich viermal.

Wohin sicher nicht nur, aber auch das Claas Relotius letztlich trieb, hat er dem Spiegel so geschildert: „Mein Druck, nicht scheitern zu dürfen, wurde immer größer, je erfolgreicher ich wurde.“ Ein Druck, der nicht etwa durch die Leser ausgeübt wurde. Sondern von der Branche selbst.