Der Mann, der ohne Beine den Kilimandscharo bestieg

Dresden/Dodoma. Sein Leben ist ein Kreativitätstraining. „Wenn ich Arme und Beine brauche, dann leihe ich sie mir“, sagt er. Für dieses Abenteuer musste er sich ganz starke Beine leihen. Janis McDavid träumte davon, einmal den Kilimandscharo zu besteigen, den höchsten Berg Afrikas. Er hat keine Beine, er hat keine Arme, aber er hat diesen unbändigen Willen. Im Juli dieses Jahres flog er zusammen mit vier Freunden nach Tansania. In acht Tagen wollen sie den 5.859 Meter hohen Gipfel besteigen. In einem Trekking-Rucksack trägt ihn sein Freund Torsten den Berg hinauf. „Ich wiege allein 30 Kilo, dazu kommen noch zehn Kilo Gewicht vom Rucksack und meiner Kleidung“, erzählt er. Schwerstarbeit ist das für seinen Freund, vor allem mit zunehmender Höhe.
Für Janis McDavid ist der Rucksack allerdings auch „kein gemütlicher Kinosessel“, in dem er sich hängenlassen kann. „Es ist anstrengend, auch wenn es anders aussieht. Jede einzelne Bewegung muss ich ausgleichen.“ Dazu muss er sich auf unterschiedliche Träger einlassen. Er und sein Team haben die Machame-Route eingeschlagen, die schönere, aber anspruchsvollere Strecke auf das Dach Afrikas.
Am zweiten Tag muss Janis McDavid die Tour beinahe abbrechen. Der 30-Jährige kämpft extrem mit der Höhe, Kopfschmerzen und Übelkeit begleiten ihn fast bis zum Gipfel. Ingwer-Zitronen-Tee, den die einheimischen Helfer ihm kochen, hilft ein wenig. Trotzdem sei dieser zweite Tag mit der schönste auf dem achttägigen Trip. „Als wir plötzlich das erste Mal freien Blick auf den Kili hatten, waren die gesundheitlichen Sorgen für einen Moment vergessen.“
Der Aufstieg, den ein ZDF-Team für die Dokumentation „37 Grad“ begleitet, ist beschwerlicher. Der größte Beitrag, den Janis McDavid leisten kann, ist seine mentale Stärke für die Gruppe. Sein Freund und Hauptträger Torsten sagt später im Film. „Ohne Janis hätten wir den Trip nicht durchgezogen.“ Obwohl er sich zwischendurch für seine Idee verflucht habe, lässt er das die anderen nicht spüren. Im Gegenteil. Gedanklich malt er immer wieder positive Bilder, spricht ihnen gut zu, ohne die Jungs in der Ausnahmesituation zu nerven. „Ich habe einen extrem starken Drang in mir, Grenzen verschieben zu wollen.“
Wie selten zuvor spürt er: Das Leben ist ein Geben und Nehmen. Zum Glück, sagt er, gestehen sich die Freunde auch Schmerzen ein, die durch das Tragen von Janis irgendwann nicht mehr zu vermeiden sind. Jeder ist gefragt, und so werden sie alle zu Gipfelstürmern, eine „Wahnsinnserfahrung“, findet McDavid, gibt aber auch zu. „Ich war völlig fertig. Nach einer Viertelstunde hatte ich nur einen Gedanken: Ich muss hier wieder runter.“
Der Kilimandscharo wirkt nach, auch fünf Monate nach der Tour sei McDavid noch im Modus Genießen und will „gedanklich noch weiter darin verweilen“. Das Band zwischen den Freunden, die schon viele Jahre zusammen verreisen, ist nun noch enger. Viel und weit waren sie in der Welt unterwegs, aber noch nie so sportlich.
Janis McDavid, der ohne Arme und Beine auf die Welt kam, fährt einen Rollstuhl. Prothesen trägt er seit der Schulzeit nicht mehr. Kurze Wege hüpft er auf seinem Gesäß. Seine Freunde, die schon Marathons gelaufen sind und bei Triathlon-Wettkämpfe teilnahmen, wollten mehr in der Natur erleben, wandern, bergsteigen. Aber wie sollte das mit Janis gehen?
Bei einer Tour in der Sächsischen Schweiz kam ihnen die zündende Idee. Als Erstes probierten sie ein Manduca-Tragetuch für Babys und Kleinkinder aus. „Es war eine wackelige Angelegenheit, viel zu instabil. Das ging nicht länger als eine halbe Stunde“, sagt er. Auch eine Rückentrage für Kinder wurde getestet, hat sich aber auch nicht als praktikabel erwiesen. „Da kam uns die Idee mit einem Trekkingrucksack. Wir sind gleich nach Dresden in einen Outdoor-Laden gefahren und haben einen gekauft“, erzählt der gebürtige Bochumer, der abwechselnd in seiner Heimatstadt und in Berlin lebt.

Das war die Lösung, spürt McDavid sofort. Rucksack-Tourist – er sei nun der Erste in der Welt, der diesem Wort gerecht werde, meint er etwas scherzhaft. Mit einem Schlafsack wird der Boden ausgepolstert, das sorgt für ein bisschen Komfort. Auf einmal können die Freunde gemeinsam wandern, wieder ein Stück mehr Freiheit. Als Vorbereitung auf den Kilimandscharo waren sie häufiger im Elbsandsteingebirge unterwegs. „Das ist eine extrem schöne Landschaft“, schwärmt er. „Torsten kennt sich dort gut aus, es ist nicht weit von Berlin.“
Janis McDavid lebt sein Leben, als sei es das Normalste der Welt, keine Arme und Beine zu haben, und deshalb sagt er bewusst provozierend. „Solange ich mich nicht einschränken lasse, bin ich auch nicht behindert.“ Dass er so selbstbewusst und selbstbestimmt durch die Welt kommt, hat er seinen Eltern zu verdanken, besser gesagt: seinen Pflegeeltern. „Sie haben versucht, mir eine größtmögliche Normalität zu bieten. Daher habe ich lange gar nicht realisiert, dass ich so anders bin.“
Sein gelber Rollstuhl war damals einfach nur „ein cooles Spielzeug“. Von seinen Eltern wurde das immer ein „bisschen inszeniert“, und dafür sei er ihnen „extrem dankbar“. Mit acht Jahren erlebte Janis McDavid einen „Bruch“, erinnert er sich. „Das war eine schwierige Zeit mit meinem Körper. Mir wurde auch klar, mit Fäusten kannst du dich nie wehren, nur mit Worten.“ Nach außen lässt er sich seine Unsicherheit trotzdem nicht anmerken
.Mittlerweile verdient er mit Worten sein Geld. Er ist ein gefragter Motivationsredner und hat schon zwei Bücher geschrieben, ein drittes ist in Arbeit. Sein Credo: Ich lasse mich nicht behindern.

Freilich ist er auf Hilfe angewiesen. In Berlin lebt er mit Sven, einem Rechtsanwalt, zusammen in einer WG. Er legt früh die Sachen raus und kocht Kaffee. Auf längeren Reisen, wie zuletzt als Unicef-Botschafter für Inklusion in der Ukraine, begleitet ihn meist einer seiner Freunde.
Im Alltag ist McDavid auch oft allein unterwegs. Seit elf Jahren fährt er Auto mit einem digitalen Fahrsystem. Den Joystick, der ein wenig an eine alte Spielekonsole erinnert, bedient er mit seinem linken Armstumpf. „Im Auto ist die einzige Situation, in der ich komplett gleich behandelt werde. Das ist für mich Freiheit“, erzählt der Mann, der sogar schon Motorsport-Luft geschnuppert hat.
In der DTM durfte er in einem umgebauten BMW eine Proberunde fahren und kam dabei auf Spitzengeschwindigkeiten bis 200 km/h. In diesem computergestützten Fahren sieht er die Zukunft – auch für die Inklusion im Sport.
Janis McDavid hat eine ganz große Vision: „In einer Welt zu leben, in der die Merkmale, die uns unterscheiden, nicht zu einem Unterschied führen.“
Am 23. März 2022, 19.30 Uhr, spricht Janis McDavid in der Veranstaltungsreihe Erfolgsmacher im Ostra-Dome in Dresden zum Thema: „Alle Anderen gibt es schon. Die Kunst Du selbst zu sein.“